Hamsun auf der Couch

Als er Mitte der zwanziger Jahre in eine Schreibkrise geriet, unterzog sich Hamsun einer Psychoanalyse. Die Patientenakte war bisher unter Verschluss – nun wird sie in einer Osloer Galerie gezeigt.

Aldo Keel
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Die stenografierte Akte Hamsuns als Kunstinstallation in Oslo. (Bild: STR / Keystone)

Die stenografierte Akte Hamsuns als Kunstinstallation in Oslo. (Bild: STR / Keystone)

Als einer der ersten Norweger unterzog sich Knut Hamsun einer Psychoanalyse. Was er dem Psychiater anvertraute, hielt dieser stenografisch fest. Jetzt sind Teile des Patientendossiers, von einem Künstler zu einer Installation verarbeitet, in einer Osloer Galerie zu bestaunen.

An einem Herbsttag des Jahres 1925 las der 66-jährige Hamsun Dr. Irgens Strømmes Buch «Nervosität». Die Nervösen seien das feinste Menschenmaterial, hiess es da. Hamsun, der in seinen Romanen aus der neurotischen Not eine aristokratische Tugend machte, war stolz auf die Empfindlichkeit seiner Nerven. Schon als junger Autor erzählte er in einem Brief, wie er sich beim Schreiben ein Taschentuch um die linke Hand wickelte, weil er den Atem auf der Haut nicht ertragen konnte.

Täglich ausser sonntags

Strømme, der 1913 als Eugen Bleulers Assistent an der Zürcher Burghölzli-Klinik gewirkt hatte, war damals Norwegens einziger psychoanalytisch geschulter Arzt. Die Presse titulierte ihn als «Geistheiler», Ärztekollegen hielten ihn für einen «Scharlatan». Er war Hamsuns Mann. Von ihm erhoffte sich der Nobelpreisträger Hilfe bei der Überwindung einer Schreibblockade.

Am 3. Januar 1926 reiste er mit dem Küstenschiff nach Oslo und bezog ein Hotel. Strømme versprach ihm einen neuen Frühling. Sechs Monate lang konsultierte er den Arzt täglich ausser sonntags. An seine skeptische Frau schrieb er: «Der Doktor ist sehr zufrieden mit mir. (. . .) Mein Unbewusstes arbeite gut, sagt er, seltsame Träume und wilde Phantasien. (. . .) Ja, ja, klappt es bei mir, dann musst Du die Kur auch machen.»

Geburt von «Landstreicher»

Die Kur zahlte sich aus. Eines Nachts wachte Hamsun, von Erinnerungen überwältigt, auf. Noch im Dunkeln fasste er diese in Worte. Er fand Zugang zu Erlebnissen, die über fünfzig Jahre zurücklagen. Im Juni kehrte er auf sein Gut zurück, im Gepäck Notizen, die er zum Roman «Landstreicher» verarbeitete. Einige Monate später legte sich auch seine Frau auf Strømmes Couch. Sie leistete aber Widerstand, die Besessenheit des Seelenarztes von sexueller Symbolik fand sie lächerlich.

Hamsuns Patientenakte ist ein Mysterium, alle reden davon, keiner kennt sie. Denn Strømmes Kurzschrift konnte bisher nicht entziffert werden. Vom «heiligen Gral der Hamsun-Forschung» spricht deshalb der Künstler Thomas Kvam, der jetzt Teile des Dossiers, kombiniert mit Malereien und Drucken, unter dem Titel «The Hamsun Sessions» in der QB Gallery Oslo ausstellt. Er beschreibt seine Installation als «Kunst im Grenzbereich von Ethik und Ästhetik». Seine Absicht sei es, erklärt er in «Dagbladet», eine Diskussion darüber anzuregen, «was öffentlich und was privat sein soll».

Ethische Bedenken

Wie er in den Besitz der Papiere gelangte, verrät er freilich nicht. Die Nationalbibliothek als Hüterin der Akte bestreitet «jegliche Zusammenarbeit mit dem Künstler». Tatsächlich dürften einige Kopien des Materials existieren. Strømme handelte fragwürdig, als er vor seinem Tod die Akte einem Freund in Obhut gab, worauf sie nach einer Odyssee schliesslich zur Nationalbibliothek gelangte. Als diese vor nunmehr fünfzehn Jahren eine wissenschaftliche Edition erwog, obsiegten ethische und rechtliche Bedenken.

Jetzt hofft der Hamsun-Forscher Lars Frode Larsen, dass sich dank Kvams brisanter Installation endlich ein Experte findet, der in der Lage ist, den Code zu knacken. Bis dahin bleibt die Akte stumm, so laut der Streit um die Hieroglyphen des Psychiaters Strømme auch toben mag.