Dostojewski lässt grüssen – Gaito Gasdanows phantastischer psychologischer Roman «Die Rückkehr des Buddha»

Gaito Gasdanow ist mit die grösste Wiederentdeckung an russischer Exilliteratur nach dem Untergang der Sowjetunion. Erneut ist ein suggestiver Roman aus seiner lange vergessenen Feder erschienen.

Ilma Rakusa
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Schauplatz der Handlung ist Paris Ende der zwanziger Jahre.

Schauplatz der Handlung ist Paris Ende der zwanziger Jahre.

Fazry Ismail / EPA

Wer vor vier Jahren an Gaito Gasdanows Roman «Das Phantom des Alexander Wolf» Gefallen fand, wird auch «Die Rückkehr des Buddha» mit Faszination lesen. Der Russe schrieb dieses «Zwillingsbuch» nach dem Zweiten Weltkrieg in der Pariser Emigration und veröffentlichte es 1949/50 in der Exilzeitschrift «Nowy Schurnal». Nun liegt es in der virtuosen Übersetzung von Rosemarie Tietze auf Deutsch vor.

Schauplatz der Handlung ist Paris Ende der zwanziger Jahre, doch dient die Stadt vor allem als Kulisse für Begegnungen aller Art, in deren Zentrum der junge Ich-Erzähler, ein russischer Student und ehemaliger Bürgerkriegskämpfer, steht. Dass er in einem Hotelzimmer im Quartier Latin lebt, zum Geldverdienen als Ghostwriter über den Dreissigjährigen Krieg schreibt, zeichnet ihn kaum aus. Sehr wohl aber sein «Seelenleiden»: Immer wieder entgleitet ihm die Wirklichkeit und verliert er sich an eine Phantomwelt, die Macht über ihn ergreift. Dabei verschwimmen die Konturen seines Ichs ebenso wie die Grenzen seines Bewusstseins, alles löst sich in einem «undefinierbaren Seelennebel» auf und hinterlässt ein Gefühl akuter Ohnmacht.

Irritierende Fährten

Gasdanow, sichtlich ein Kenner solcher halluzinatorischen Zustände, was er schon mit seinem Roman «Das Phantom des Alexander Wolf» bewies, führt subtil vor, wie sein Held wegdriftet – aus einer Pariser Gasse in einen Albtraum, der ihn zum Mörder und schliesslich zum Gefängnisinsassen in einem orwellschen «Zentralstaat» macht. Als Leser folgt man gleichsam somnambul diesen irritierenden Fährten und Übergängen, um jäh in der Handlungsrealität zu landen, die ihrerseits mysteriös und voll sonderbarer Zufälle ist.

Da sitzt der Ich-Erzähler auf einer Parkbank im Jardin du Luxembourg, in die Lektüre eines russischen Buches vertieft, als ein Bettler ihn in gewähltem Französisch um ein Almosen bittet. Beim Anblick des Buches wechselt er zum Russischen, bedankt sich für die Gabe und verschwindet. Zwei Jahre später begegnet der Held in einem Café demselben Mann, der nun vornehm gekleidet ist, spricht ihn an und erfährt dessen unglaubliche Geschichte.

Pawel Alexandrowitsch, so der Name des ehemaligen Bettlers, hatte nach dem Unfalltod seines Bruders dessen ganzes Vermögen geerbt und lebte nun in einer feudalen Wohnung ein ruhiges, komfortables Leben. Aus dem Trinker und Penner war über Nacht ein Herr geworden. Fortan besucht der Ich-Erzähler seinen älteren Freund regelmässig; hier trifft er auf ärmliche Existenzen des russischen Emigrantenmilieus und auf die junge Sängerin Lida, die – aus Mitleid oder Berechnung – Pawel Alexandrowitschs Geliebte gibt.

Heimlich liebt sie einen tuberkulösen Tunesier, der es auf den Besitz des Russen abgesehen hat. Doch Pawel Alexandrowitsch wirkt arglos und vollkommen glücklich. Eines Abends zu zweit zeigt er dem Ich-Erzähler eine neu erworbene Buddha-Statuette aus Gold. Das Gespräch dreht sich um Gott, den Tod und den Buddhismus, um Ekstase und das Nirwana. Auf dem Heimweg durchzuckt den jungen Russen der Gedanke, dass es für seinen Freund das Beste wäre, in diesem glücklichen Zustand zu sterben und «dorthin überzuwechseln, wo es weder Gebresten gibt noch Wehklagen, sondern ewiges Leben». Zugleich rügt er sich für «diese kriminelle Finsternis der Einbildungskraft, dieses abstossende Laster und diese theoretische Tötung».

Komplexität und Spannung

Am nächsten Morgen wird er von der Polizei verhaftet. Pawel Alexandrowitsch sei nachts ermordet worden, der Verdacht falle auf ihn. Monate verbringt er im Gefängnis, unschuldig, doch ohne seine Unschuld beweisen zu können. Bis eines Tages die Buddha-Statuette Wunder wirkt. Der Täter wird identifiziert und zum Tode verurteilt, während der Ich-Erzähler durch seine Freilassung einen heilsamen Schock erfährt, der ihn von seinen Wahngesichten weitgehend kuriert. Mehr noch: Als testamentarischer Alleinerbe seines alten Freundes zieht er in dessen Wohnung ein. Zumindest zeitweilig. Denn als er die Spuren seiner verflossenen Liebe entdeckt, bricht er kurzentschlossen zu ihr nach Australien auf.

Ein phantastischer Plot, der sich freilich vor allem auf der psychologischen Ebene entfaltet, im verwickelten Innenleben des Helden, in seinen Gedankengängen und Halluzinationen, in seinen Todes- und Angstvisionen, in seinen Schuldgefühlen und Sehnsüchten. Gaito Gasdanow hat einen suggestiven Psychothriller geschrieben, in dem Komplexität nirgends billiger Spannung geopfert wird. Fjodor Dostojewski lässt von ferne grüssen.

Gaito Gasdanow: Die Rückkehr des Buddha. Roman. Deutsch und mit einem Nachwort von Rosemarie Tietze. Carl-Hanser-Verlag, München 2016. 221 S., Fr. 26.90.