Gross in Form: Erzählungen von Saša Stanišić

Nach zwei hervorragenden Romanen beweist Saša Stanišić mit einer Sammlung von Erzählungen, dass er auch in der kurzen Form Grossartiges zustande bringt.

Karl-Makrus Gauss
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Nach zwei formidablen Romanen glänzt der Schriftsteller Saša Stanišić auch mit kürzeren Erzählungen. (Bild: Katja Sämann)

Nach zwei formidablen Romanen glänzt der Schriftsteller Saša Stanišić auch mit kürzeren Erzählungen. (Bild: Katja Sämann)

Mit Erzählbänden und Sammlungen von kurzer Prosa haben die Verlage nicht viel Freude, verheisst in einer schnelllebigen Zeit merkwürdigerweise der dickleibige Roman doch den grössten Erfolg. Nach seinen zwei formidablen Romanen «Wie der Soldat das Grammofon repariert», der in die bosnische Welt seiner Herkunft zurückführt, und «Vor dem Fest», der eine Art von Heimaterkundung in der ostdeutschen Uckermark darstellt, hat Saša Stanišić jetzt eine Sammlung mit Erzählungen vorgelegt. An dem Buch, das auf immerhin fast 300 Seiten zwölf teils neue, teils weit verstreut publizierte Texte vereint, ist allenfalls zu kritisieren, dass es um knappe hundert Seiten zu umfangreich und um drei, vier Texte zu repräsentativ angelegt ist; aber selbst dieser Einwand ändert nichts daran, dass sich der 1978 in Višegrad geborene, seit 1992 in Deutschland lebende Stanišić auch in «Fallensteller» als glänzender Erzähler erweist, der sprachwitzig, humorvoll und, ja, menschenfreundlich zu fabulieren weiss.

Wildschweine und Mäuse

In der titelgebenden, mit Abstand längsten Erzählung kehrt Stanišić nach Fürstenfelde zurück, jenem Ort in der brandenburgischen Uckermark, in dem sein Roman «Vor dem Fest» spielt, für den er 2014 den Leipziger Buchpreis erhielt. Was man befürchten könnte, tritt gerade nicht ein: Hier versucht ein Autor nicht die erzählerischen Restposten zu verwerten, die er für die Romanfassung hatte ausscheiden müssen. Es handelt sich vielmehr um eine eigenständige, wunderbar schräge Erzählung, in der auch der Roman und sein Verfasser, der «verweichlichte Jugo-Schriftsteller», der einst durch das Dorf zog, eine Rolle spielen – in der Erinnerung der Fürstenfelder, die noch immer ihre Probleme haben und immer noch wie ein Chor ihre kollektive Geschichte selbst erzählen.

Dieses Mal ist ein «Fallensteller» ins Dorf gekommen, der offenbar vom Wildschwein bis zum Floh mit den Tieren zu reden und tief ins Innere eines jeden Menschen zu blicken vermag; er verspricht den Leuten, ihre Konflikte für sie zu lösen und sie von der lästigen Tierplage im Ort zu befreien, aber ausser mit dem Festsetzen einer Ratte ist er eher damit beschäftigt, in Reimen zu sprechen und eine womöglich heilsame Unruhe im Dorf zu verbreiten: «Nationalismus, Protektionismus . . . Europas grösste Fallen . . . Sich Ressourcen krallen, bis vor Ort sich Fäuste ballen . . . Waffen liefern, Kriege schüren, dann verschliessen jene Türen, die vom Blutvergiessen in Sicherheit führen.»

Am Ende heulen die Wölfe immer noch, im Intershop dringen nächtens weiterhin die Wildschweine ein, um sich an neuseeländischem Obst zu bedienen, und die Mäuse flitzen durch die Backstube der Familie Zieschke wie ehedem, man könnte meinen, «wir wären das Tiersozialamt der Welt»! Aber Lada, der Sohn des prächtigen Bäckerpaars, hat als Dorfchronist selbst zu schreiben begonnen und fährt am Ende mit seiner Entourage aus Fürstenfelde in die Grossstadt und empfängt einen Literaturpreis für die Erzählung, die wir gerade gelesen haben. Stanišić ist dem kollektiven Helden, Fürstenfelde, und den einzeln aus der Gemeinschaft heraustretenden Gestalten merklich zugetan, ohne dass er sie in ihrem Misstrauen dem und den Fremden gegenüber zu kauzigen Repräsentanten der guten alten Provinz verklärte.

Drei Geschichten des Bands sind der Gestalt des Justiziars Georg Horvath gewidmet, der von Berufs wegen nach Brasilien muss, eine Sprachkrise erlebt, die Worte und den Namen verliert und endlich in Bukarest bei einem germanistischen Vortrag landet, von dem ihm nur die Worte «groteskul» und «kafkaeskul» einleuchten. Offenbar handelt es sich um drei Abschnitte aus einem Romanprojekt, das der Autor aufgegeben hat, aber das stört so wenig wie bei drei weiteren Geschichten, die den heiteren Wegen von zwei Taugenichtsen folgen und ebenfalls wirken, als gehörten sie zu einem leider abgebrochenen Roman.

Ein Finder und Erfinder

Schade, denn Mo, ein Deutscher aus gutem Haus, und sein Begleiter – oder seine Begleiterin, so klar wird das nicht, das Geschlecht des Erzählers, der Erzählerin changiert – wachsen uns wie Rebellen, die sich in einer ewigen Kinderwelt eingerichtet haben, rasch ans Herz. Sie oder er, wie auch immer, sagt einmal: «Als ich etwa sieben oder zehn oder fünf war, habe ich geglaubt, es gäbe einen Ort, an den all unsere Sätze fliegen, nachdem sie ausgesprochen wurden. Stirbt man, kommt man dahin und kann allen Gesprächen zuhören, die seit Anbeginn des Mundes geführt wurden.»

Ein solch beständiges Rauschen von Stimmen ist die Literatur des Saša Stanišić, der mit liebenswürdigen Einfällen bezaubert und mit seinem Sprachwitz überzeugt. Ein Finder und Erfinder von Geschichten, in der grossen wie der kleinen Form.

Saša Stanišić: Fallensteller. Erzählungen. Luchterhand-Literaturverlag, München 2016. 280 S., Fr. 26.90.