Sommer 2016: Das liest die Litaffin Redaktion #1

Sommer, Sonne, Strandlektüre und die Litaffin Redaktion mittendrin. Für heiße Tage, lange Nächte und langersehnte Urlaube haben wir für euch unsere Lieblingsbücher zusammengestellt. Alle, die noch auf der Suche nach der passenden Strandlektüre sind oder die sich noch mit Lesestoff für unterwegs eindecken wollen, sollten unbedingt ein Auge auf unsere erfrischende Auswahl werfen! 

Keil+Tempest

Luisa

… hat gerade gelesen: Kate Tempests Gedichte aus ihrer zweiten Sammlung Hold Your Own. Edition Suhrkamp. Broschur. 200 Seiten. Englisch/Deutsch. 16 Euro.

Darum geht’s: Die junge britische Rapperin, Wortkünstlerin und nun auch Schriftstellerin Kate Tempest hat bei Suhrkamp ihre zweite Gedichtsammlung veröffentlicht. Mit ihrem Poesie Debüt „Brand New Ancients“ gewann sie bereits 2013 den Ted Hughes Award. In „Hold your Own“ widmet sich die gefeierte Newcomerin dem Leben der Götter und Monster der griechischen Mythologie und erzeugt mit ihrer lässigen Slang-Sprache Spannung, Kraft und eine erstaunliche Intensität. Die Geschichte über den blinden Propheten Teiresias eröffnet ihr Werk und bietet gleichzeitig die thematische Grundlage. Teiresias lebte als Mann und Frau, wurde von den Göttern geblendet und mit einer prophetischen Begabung ausgestattet. Nach einem Streit zwischen den Göttern soll Teiresias die Antwort auf die Frage liefern, welches Geschlecht die größere Lust beim Sex empfinde. Als er die Wahrheit verriet, ließ ihn die wütende Hera erblinden – so sagt es jedenfalls die Legende.

Tempest hat den Propheten zu ihrem Hauptmotiv erhoben und führt ihn in ihrem Gedichtzyklus präzise durch ein Teenagerleben, ein Frauenleben und ein Männerleben der Gegenwart. Was ihre Arbeit so unwiderstehlich macht, ist ihre Methode der Synthese, ihr virtuoser Umgang mit Gedankenspielen. Ihre Gedichte sind nicht einfach Nacherzählungen griechischer Sagen, vielmehr nimmt sie die fabelhaften, bekannten Sagengestalten, gibt ihnen ein neues Gewand und schleppt sie in die Gegenwart – in das London des 21. Jahrhunderts.

In der zweisprachigen Suhrkamp Edition begegnen wir den erwähnenswerten Übersetzungen von Johanna Wange, die dem Sound der Spoken-Word-Artistin schon sehr nahe kommt. Mit einer Mischung aus Rap und traditioneller Lyrik zeigt Kate Tempest beachtliches Talent und die Fähigkeit, immer wieder aufs Neue zu überraschen.

… nimmt mit in den Urlaub: Die Novelle Raum in einem Raum von Eric Keil. Korbinian Verlag. 64 Seiten. 10 Euro.

Wohin? Kroatia, Norddalmatien.

Warum? Die Wälzer hat jeder schnell im Rucksack verstaut, Badekappe und Sonnenhut oben drauf und los geht’s. Wer aber perfekt für seine Reise vorbereitet sein möchte, sollte die gute Lektüre für unterwegs nicht vergessen. Für die Zeit, in der ich zwischen S-Bahn, Flugzeug und Fähre dem Urlaub entgegenfiebern werde, stecke ich  mir eines der schönen Leseheftchen vom Korbinian Verlag in die Hosentasche. Nach dem Nirvana Baby erwarte ich von der Novelle über Bernard, der von der Bedeutungslosigkeit gelangweilt, an seiner vollständigen inneren Aushöhlung arbeitet, guten Stoff. Wenn sich ein Verlag selbst als Anmaßung betitelt, scheint nicht nur die Reise ein guter Trip zu werden. Eric Keil ist Berliner, studierter Jurist und unter anderem als Justus in der deutschen Rapszene für seinen gesellschaftskritischen Battle-Rap bekannt. Ich war zu neugierig und musste mir eine kleine Kostprobe gönnen. Keils Novelle handelt von einem erotischem Verwirrspiel, in dem eine handvoll unreifer Erwachsener, für ihr Tun keine Verantwortung übernehmen können oder wollen. Ich fühle mich sofort an Jacques Derays Film „Swimming Pool“ erinnert. Die Fahrt wird keinesfalls langweilig. Vidimo se uskoro!

Clara

… hat gerade gelesen: Szenen aus Schottland von James Leslie Mitchell. Aus dem Englischen und mit einem Nachwort von Esther Kinsky. Guggolz Verlag. Gebunden. 170 Seiten. 19 Euro.

Schottland_Guggolz

Darum gehts:

Auf kleineren Ausflügen an den See habe ich die Erzählungen von James Leslie Mitchell im wunderschönen Einband dabei. Es sind insofern Urlaubsgeschichten, als dass man sich außerhalb der Städte am besten darauf einlassen kann. Die Geschichten vom Landleben und den Städten Glasgow und Aberdeen zu Beginn des 20. Jahrhunderts sind aber keine weltfremden Geschichten. Mitchells essayistische Porträts reflektieren seine Verbindung zu Schottland oft sehr kritisch. Aus einer Bauernfamilie zu stammen nennt er ein Glück und warnt gleichzeitig davor, das Landleben zu romantisieren, wie er es in den Künstlerkreisen in den Städten erlebt. Die separatistischen Bestrebungen und den feindlichen Nationalismus vieler Schotten verachtet er. Angesichts seiner Beschreibungen von Landschaft, Wetter und skurrilen Gestalten stelle ich fest, dass ich ausgedehnte Naturbeschreibungen nicht per se ablehne. Diese hier sind sehr stark und einfach großartig übersetzt von Esther Kinsky, die nur einige der vielen Erzählungen für diesen Band ausgewählt hat. So wie Mitchell kann nur jemand schreiben, der sich sehr lange Wind und Wetter ausgesetzt hat und dabei nicht müde geworden ist, die Veränderungen in der Landschaft mitzuverfolgen und nachzuschreiben. Seine politisch ambivalente Einstellung gegenüber Schottland ist in den Städteporträts von Glasgow und Aberdeen spürbar, in denen er als marxistischer Autor über soziale Ungleichheit schreibt. Auch der leicht spöttische Unterton Mitchells macht dieses Buch zu einer unschlagbaren See-/ Abend- oder Zugebegleitung.

James Leslie Mitchells Arbeit für das Militär im Nahen Osten, Indien und Ägypten gab er 1929 für den Wunsch auf, Autor zu werden. Bis zu seinem Tod sechs Jahre später verfasste er mehrere Bücher und Artikel. Passt zu:

Wohin? Nach Norwegen, auf eine Farm am Hardangerfjord.

… hat gerade gelesen: CITIZEN: An American Lyric von Claudia Rankine. Graywolf Press. Taschenbuch. 170 Seiten. ca. 17 Euro.

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Worum geht`s: “I feel most colored when I am thrown against a sharp white background” — der Satz stammt von der afroamerikanischen Schriftstellerin Zora Neale Hurston aus den 1930er Jahren und wird im Buch über zwei Seiten in Wiederholung gedruckt. In einem von Claudia Rankines Prosastücken erinnert die Tennisspielerin Serena Williams an die Aktualität dieses Satzes, wenn sie als schwarze Sportlerin rassistischen Beleidigungen ausgesetzt ist. Racial Profiling ist nicht nur ein Begriff der Justiz, war es auch noch nie. Davon erzählt dieses Buch in Form von Prosagedichten und -versatzstücken, die ein schwarzes Du adressieren, es sind somit Ausschnitte von Alltagsdiskriminierung. Rankine lagert eine Betroffenheit aus, die interessanterweise kein Mitleid zur Folge hat. Denn die Schwarze, die wir beim Lesen sind, wird nicht in erster Linie zum Opfer gemacht, vielmehr fokussieren die Ausschnitte die „Anderen“, die wie selbstverständlich eine Täter- bzw. Verdächtigerrolle einnehmen. Rankine dreht mit dem Ausstellen dieser „Anderen“, die hier Weiße sind, auch die sonst übliche Relation White vs. Other als Perspektive um. Rankine selbst wurde in Jamaica geboren und ist nicht erst seit der Veröffentlichung von CITIZEN als Schriftstellerin bekannt. Dieses Buch wurde in den USA ein großer Erfolg, u.a. von der Nobelpreisträgerin Toni Morrison als Pflichtlektüre bezeichnet.

Ann-Kathrin

…hat gerade gelesen: Binde zwei Vögel zusammen von Isabelle Lehn. Eichborn Verlag. Gebunden. 192 Seiten. 18 Euro.

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Darum geht’s: Aladdin ist Albert, Albert ist Aladdin. Albert ist ein junger, angehender Journalist, der, um Schreibstoff zu gewinnen und Geld zu verdienen, als Statist in einem bayrischen Trainingscamp für Afghanistansoldaten arbeitet. Aladdin, seine „Rolle“, betreibt als Zivilist das Café am Dorfausgang der „Stadt“ und ist schon mehrere Male gestorben.
Isabelle Lehn schafft es, in ihrem Roman, der Reportage und Rechercheelemente enthält, das Psychogramm einer Figur zu kreieren, die in einen simulierten Krieg geraten ist. Nach seiner Rückkehr findet Albert nicht mehr zurück in sein altes Leben. Er ist mit Aladdins Schatten konfrontiert, der ihn täglich umgibt. Parallel scheitert auch noch die Beziehung zu seiner Freundin. Lehn entwickelt in „Binde zwei Vögel aneinander“ einen Ich-Erzähler, in dem viele aktuelle Themen und Fragen stecken, der im Angesicht des Krieges und des Lebens, genauso verwirrt ist, wie wir es letztlich alle sind. Nach der Lektüre bleibt man nachdenklich und mitgenommen zurück. Prädikat: lesenswert!

Erinnert an: Tageszeitungen. Oder viel mehr an die ständige, gegenwärtige Verwirrung, die mich beim Blick in die aktuellen Nachrichten überfällt.

Spontan im Ohr:

Gemerkt: „Die Frauen legten am Abend die Burkas ab, sie probierten ihre Jeans an, die nicht mehr passten; ein paar Veteranen hatten Vitaminpillen mitgebracht, die bald teurer als Zigaretten gehandelt wurden, und auch Aladdin ging auseinander – unter seinem Kaftan, in der fremden Haut, von der ich anfangs meine Zweifel gehabt hatte, ob ich sie würde ausfüllen können. Sie begann, um meinen Körper zu spannen, einen Körper für zwei, binde zwei Vögel zusammen, sie werden nicht fliegen können, obwohl sie nun vier Flügel haben. Ich war Aladdin, und Aladdin war supersized me.“

… nimmt mit in den Urlaub: Javier Marías „Mein Herz so weiß“. Klett-Cotta Verlag. 347 Seiten. Taschenbuch dtv. circa 5€.

Wohin? Holladihi Holladiho: auf zum Wandern in die schönen Gebirge Österreichs.

Warum? Die U4! „Eine junge Frau, soeben von der Hochzeitsreise zurückgekehrt, sitzt mit ihrer Familie bei Tisch. Plötzlich steht sie auf, geht ins Bad, knöpft ihre Bluse auf und schießt sich mitten ins Herz…“ Das hat mich neugierig gemacht und sofort ergriffen. Nach getaner Wanderung kann ich mich dann auf einer Alm gemütlich in den Liegestuhl fallen lassen und hinter dem Panorama des „Wilden Kaiser“ die Lektüre genießen und mir einen Almdudler gönnen.

Und hier folgt Teil 2 unserer Sommerlektüre:

Sommer 2016: Das liest die Litaffin Redaktion #2

Luisa Kaiser

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