Schau mich an

Nicht weniger als zwei Millionen Dollar Vorschusshonorar hat ein US-Verlag für «The Girls» hingelegt. Was ist dran an diesem Erstling, der in die Zeit der mörderischen Manson-Family zurückblickt?

Sven Ahnert
Drucken
Ohne Starallüren, aber heiss umworben – die Jungautorin Emma Cline. (Bild: Megan Cline)

Ohne Starallüren, aber heiss umworben – die Jungautorin Emma Cline. (Bild: Megan Cline)

Zum Klang melancholischer Klaviermusik verweilt die Kamera auf dem mit zerlesenen Taschenbüchern gefüllten Bücherbord einer jungen Schriftstellerin, deren Name im amerikanischen Literaturbetrieb derzeit die Runde macht: Emma Cline. Bücher über die Manson-Family, Stephen Kings Schocker «Carrie», auch «Rosemary's Baby» und «Valley of the Dolls» stechen sofort ins Auge. Ein Hauch von Retro-Look und schlichter Eleganz liegt über der Brooklyner Schreibstube der nun viel bestaunten Debütantin, die in letzter Zeit häufiger Besuch von der Presse bekam.

Manson und seine Mädchen

Emma Cline trägt ein graues Sweatshirt, hat leicht gerötete Wangen, streicht sich die Strähnen aus dem Gesicht. Mit leicht brüchiger Stimme erzählt die schmale, rotblonde Frau im legeren Look einer Literaturstudentin von ihrer Kindheit und wie sie zu den Mansons kam – oder die Mansons zu ihr. Auf allen Literaturkanälen im Internet, in Literaturmagazinen und auf den Bestsellerlisten ist die siebenundzwanzigjährige Kalifornierin präsent. Der Kamerablick scheint berauscht von der Schüchternheit der Starautorin. In gängiger Werbeprosa preist man sie als «a new thrilling voice in American fiction». Ihr Debütroman «The Girls» wurde zur «summer's hottest novel» ausgerufen und ist unter die zehn meistverkauften Titel gerückt.

Der Rummel um Emma Cline begann 2014, als der bis dahin unbekannten Schriftstellerin ein sensationelles Angebot unterbreitet wurde: Der US-Verlag Penguin Random House soll ihr in einem Bieterwettkampf mit elf anderen Verlagen für den bis dahin ungeschriebenen Manson-Roman, verbunden mit der Option auf zwei weitere Bücher und die Filmrechte, zwei Millionen Dollar Vorschuss geboten haben. Nun steht das Buch in den Regalen der Buchhandlungen – und keine zwei Wochen nach Erscheinen der amerikanischen Erstausgabe ist es bereits auch auf Deutsch greifbar.

Der Roman, angesiedelt in der Zeit der mörderischen Manson-Family, wird erzählt aus der Perspektive einer weiblichen Protagonistin, die als Teenager in den Strudel einer psychedelischen Westküsten-Sekte gerät und fünfzig Jahre später Bilanz zieht. «The Girls» zeichnet die Geschichte eines bösen Erwachens aus der Hölle der Pubertät nach, begleitet vom Geist Charles Mansons und seiner willfährigen Mädchen.

Als Teenager verschlang Emma Cline Bücher über die Manson-Family. Sie verfolgte in zahlreichen Youtube-Videos Mansons infernalischen Helter-Skelter-Feldzug durch Kalifornien, studierte das beklemmende Leuchten in den Augen der «Manson Girls», das Massaker an Sharon Tate und ihren Gästen. Was waren diese «Girls» für widerborstige antibürgerliche Wesen, die ihrem Guru doch so gehorsam aus der Hand frassen?

Evie Boyd, die jugendliche Protagonistin des Romans, ist der Opfer-Prototyp eines tief verletzten, von Selbstzweifeln geplagten, nach Liebe schreienden Teenagers, der im lügenhaften Netz einer Liebe vorgaukelnden Hippie-Truppe sexuell und seelisch hängenbleibt. Bloss weg aus dem Haushalt der überforderten alleinerziehenden Mutter. Über mögliche autobiografische Hintergründe des Romans wurde viel spekuliert: Ist es vielleicht Emma Clines eigenes Drama, das sich zwischen den Zeilen versteckt?

Unspektakuläre Karriere

Emma Cline ist aber alles andere als ein Scheidungskind und nie das Opfer eines sinistren Gurus gewesen. Sie wuchs inmitten einer rundum glücklichen Winzerfamilie in Sonoma County mit sechs Geschwistern auf und entdeckte die Welt der Bücher als rettendes Refugium vor dem Familiengetöse. Im Magazin «The Paris Review» beschrieb sie auch freimütig ihre eigene Verführbarkeit. Als Vierzehnjährige fühlte sie sich zu einem fünfzigjährigen Pop-Produzenten hingezogen, später gesellte sich eine Beziehung zu einem alleinerziehenden Vater dazu.

Einen Hauch von Manson-Stimmung fand sie auch in ihrer nordkalifornischen Heimat. Dort lebte Anfang der 1970er Jahre «The Chosen Family», eine sektenartige Lebensgemeinschaft, die mit Motorrädern und Pizzaöfen ihr Geld verdiente, aber keine Menschen abschlachtete. Deren Anwesen ging in Flammen auf, zwei Kinder ertranken im Pool. Dieser fatale Zusammenhang zwischen kultischem Idealismus und Inferno zog Cline fortan in seinen Bann. In diversen Interviews lüftet sie den Schleier ihrer nicht sonderlich spektakulären Karriere. Als Mädchen stand sie für die heitere TV-Serie «When Billie Beat Bobby» vor der Kamera, später wollte sie Pilotin werden, entschied sich letztlich für ein Literaturstudium an der Columbia University. Es folgten wenige Erzählungen und Essays, und irgendwann entstand die Idee zum Roman «The Girls».

In seiner Art ist das Buch ein bemerkenswerter Coming-of-Age-Roman, der den diabolischen Manson-Plot in den Hintergrund rückt: Das rituelle Massaker nimmt nur wenige Seiten ein, und mit greulichen Details wird sparsam umgegangen. Emma Cline widmet sich ganz der verletzten Teenager-Seele, versucht aber nicht auf Biegen und Brechen, jede Verwerfung in Evies verzweifeltem Leben auszuleuchten.

Es ist die brüchige Erzählung des Mädchens, welche bisweilen in ihren Bann schlägt: wie geschmeidig es seine geschiedenen Eltern belügt, wie sorgfältig es Aufmerksamkeit erbettelt und sich dem Sekten-Guru Russell hingibt, als wäre dies die Lösung all seiner Probleme. «‹Sieh dich an›, sagte er jedes Mal, wenn er Scham oder Zögern verspürte. Verwies mich auf den trüben Spiegel im Wohnwagen. ‹Sieh dir deinen Körper an. Das ist kein fremder Ort, das ist nicht der Weltraum.› Sagte er gelassen. Wenn ich zurückscheute, irgendeine Entschuldigung stammelte, fasste er mich bei den Schultern und drehte mich wieder zum Spiegel.»

Wer allerdings ein Buch über die Pop-Kultur jener aus den Fugen geratenen Hippie-Jahre erwartet, wird von «The Girls» enttäuscht sein. Denn der Roman benutzt lediglich die Folie einer fiktiven Manson-Family, um das immer aktuelle Drama der Pubertät neu zu inszenieren.

Zurück an den Schreibtisch

Seit Wochen steht Emma Cline im Rampenlicht und hofft vermutlich, dass es demnächst einmal wieder ausgeschaltet wird. Denn nun kennen wir sie alle. Vielleicht schlägt sie ja dem Hype ein Schnippchen und schreibt einfach weiter. So reagierte die Autorin auch gelassen auf den Rummel um ihr erstes Buch und mag sich dabei an ihren sensationellen Vertrag erinnert haben, der ja immerhin noch zwei weitere Bücher vorsieht: «I feel that my business is to write another book.» Hollywood-Produzent Scott Rudin indes wird nicht lange auf sich warten lassen und «The Girls» demnächst ins Kino schicken. Denn das Eisen muss geschmiedet werden, solange es heiss ist.

Emma Cline: The Girls. Aus dem Englischen von Nikolaus Stingl. Carl-Hanser-Verlag, München 2016. 348 S., Fr. 31.90.