Ein umgekehrter Odysseus

Mit Witz und Eleganz erzählt Alex Capus in seinem Roman «Das Leben ist gut» aus dem Leben eines Barkeepers und Strohwitwers.

Beatrice Eichmann-Leutenegger
Drucken
Alex Capus zieht die Kreise diesmal klein, widmet sich dem Alltag und seinen Ritualen. (Bild: Roland Schmid)

Alex Capus zieht die Kreise diesmal klein, widmet sich dem Alltag und seinen Ritualen. (Bild: Roland Schmid)

Macht die Ehefrau ein Donnerwetter, benimmt sie sich zickig und störrisch, so schwingt sich der Ehemann am besten aufs Rad und fährt Richtung Westen, dem Ozean entgegen. Vom Vorsatz jedoch, das Ehebett in Brand zu stecken, sollte er besser Abstand nehmen. Spätestens bei seiner Rückkehr werden sich die Wolken verzogen haben. Vielleicht schleudert er ihr noch das Verdikt «Du dumme Kuh» entgegen, aber da lacht sie ihr unwiderstehliches Lachen, und aus ist's mit dem Groll.

Die Einfachheit des Schönen

Nachlesen kann man solche Szenen in Alex Capus' neuem Roman «Das Leben ist gut». Ein provokanter Titel in Zeiten vielfältiger Schrecken. Trotzdem ist der Erzähler überzeugt, dass eine positive Lebenseinstellung für die Bewohner eines Landes in Frieden und Wohlstand keine allzu grosse Herausforderung darstellen dürfe.

Alex Capus zieht die Kreise diesmal klein, widmet sich dem Alltag und seinen Ritualen. Sein Ich-Erzähler Max schreibt eigentlich an einem Buch über nichts (geradeso wie Capus selbst). Das sei eine Gratwanderung zwischen der «Schlichtheit des Belanglosen» und der «Einfachheit des Schönen», sagt Max während eines Telefongesprächs mit seiner Frau Tina. Beide Bereiche, das Banale und dessen verborgener Glanz, entfalten sich in diesem Roman, der so ganz nebenbei auch noch den Odysseus-Mythos auf den Kopf stellt («Ich bin ein umgekehrter Odysseus», heisst es einmal in einem Motto).

Denn hier bricht Ehefrau Tina, die Strafrechtlerin, zu einer einjährigen Gastprofessur in Paris auf, während Max, welcher das Bleiben schätzt, zu Hause als Vater dreier Söhne, als Schriftsteller und als Barkeeper wirkt. Unschwer ist die Nähe zu Alex Capus' eigenen Lebensumständen zu erkennen. Zwar wird «das Städtchen» oder «die Kleinstadt» nicht beim Namen genannt, und die Bar an der Unterführungsstrasse heisst hier «Sevilla» (und nicht «Galicia», wo Alex Capus im «richtigen» Leben wirtet).

Alltag ist also angesagt, aber deswegen noch lange nicht Fadheit. Und kurz bemisst sich die Spanne der Erzählgegenwart, die von der letzten gemeinsamen Nacht der Eheleute vor Tinas Abreise nach Paris bis zu ihrer Rückkehr an ihrem ersten freien Wochenende reicht. Dazwischen ergeben sich einige köstliche Telefongespräche der beiden, wenige Rückblenden schieben sich ein, und wir erfahren viel über die Tätigkeiten des Barkeepers Max, aber weitaus weniger über seine schriftstellerischen Aktivitäten. Hauptakteure sind die Gäste im «Sevilla», unter ihnen der Maurer Sergio, Ferdinand mit dem halben Tattoo, der Türke Ismail, der in seiner Furcht vor Erdbeben unstet dahin und dorthin rast, oder der Spanier Miguel, welcher Max seinen ausgestopften Toro-Kopf für fünftausend Franken statt der handelsüblichen fünfhundert andrehen will.

Ein Plädoyer . . .

Die Bar-Geschichten drehen sich um Tratsch und Klatsch, aber oft auch um so viel Wissenswertes über das korrupte Treiben gewisser Kleinstädter, «dass ich manchmal nicht mehr sicher bin, ob ich mir wirklich noch weitere Einblicke in die menschliche Natur wünschen soll», wie Max einmal gesteht. Gleichwohl ist dieses Buch ein Plädoyer für den Fortbestand von Bars und Kneipen, in deren Dunst sich das pralle Leben abspielt. Der Barkeeper beobachtet, mischt sich ein, und wenn er nach Mitternacht das Rolltor heruntergezogen hat, gerät er ins Sinnieren, hört die Stimmen der Vergangenheit wie auch der Zukunft. Ohnehin ist an Max ein Philosoph verloren gegangen, dem manchmal auch leise Zweifel kommen am Sinn des Bücherschreibens.

Langeweile wird die Lesenden nicht beschleichen, auch wenn die äussere Handlung keine Dramatik verheisst. Aber der Barkeeper, in dem trotz seiner Häuslichkeit ein Odysseus steckt, wohnt auch in einem Reich der Phantasie. Was er sich ausmalt und ausdenkt während Tinas Abwesenheit, verführt zum Schmunzeln. Ist er vielleicht doch ein gut kaschierter Macho, plagt ihn insgeheim die Eifersucht wegen möglicher Männerbekanntschaften seiner Frau in Paris? Alex Capus stattet diesen seinen Geistesbruder mit so viel Witz, Geradlinigkeit und Imaginationskraft aus, dass man ihn einfach mögen muss und ihm gerne auf jenen Fährten folgt, die der unsentimentale und pointenreiche Text auslegt.

. . . und eine Liebeserklärung

Am Schluss schleudert der Autor seinen Max aus der Kleinstadt heraus, denn dieser soll sich nun doch noch als Odysseus bewähren. In den Sümpfen Floridas schlägt er sich auf einem Einbaum durch einen Dschungel, den Capus virtuos heraufbeschwört. Er landet in einer verlassenen US-Poststation und schreibt dort in einer Sturmnacht hundert Karten an seine Frau Tina. Zwar ist die tollkühne Expedition nichts als ein nächtliches Traumgespinst unseres Barkeepers. Aber wer wollte daran zweifeln, dass dieses Buch nicht nur eine Liebeserklärung ans Leben, sondern auch an jene Frau ist, die Max seit fünfundzwanzig Jahren begleitet: dieses «böse Mädchen», diese bisweilen unausstehliche, aber meist so hinreissende Tina. Man lasse sich von der Vitalität dieses Buches anstecken. Gleich lebt es sich besser.

Alex Capus: Das Leben ist gut. Roman. Carl-Hanser-Verlag, München 2016. 240 S., Fr. 22.90.