Literatur:Sitzen bleiben

Poetenfest 2015; 35. Erlanger Poetenfest 2015

Wie viel Event braucht das Wort? In Erlangen setzt man darauf, dass eine lauschige Sitzgelegenheit den Zugang zur Literatur erleichtert.

(Foto: Erich Malter)

Das Erlanger Poetenfest ist eine berechenbare Veranstaltung mit tiefenentspannender Wirkung. In diesem Jahr sollen Herta Müller und das Künstler-Kollektiv "Rimini Protokoll" belebend wirken

Von Olaf Przybilla

Das Erlanger Poetenfest unterliegt schlichten Regeln, wer einmal dort war, kann sich darauf verlassen, dass es wieder so sein wird wie beim letzten Mal. Acht Wochen vor der Frankfurter Buchmesse kommen von diesem Donnerstag an etwa 80 Schriftsteller, Publizisten und Kritiker in die Universitätsstadt, das Stammpublikum weiß genau, was es bekommen wird: Lange Buchnächte und entspannte Nachmittage mit plaudernden Autoren, von denen sich wie immer einige mit ihren Werken auf der Shortlist des Deutschen Buchhandels finden. Das Festivalteam hat da ein Händchen, was in Frankfurt wichtig wird, kann man in Erlangen zwei Monate zuvor kennenlernen. Nur nicht in einer Messehalle, sondern unter Laubbäumen im Park, gerne liegend.

Manchmal, zur Verblüffung aller, passieren Dinge in Erlangen, die aus dem Rahmen fallen

Weil alles in Erlangen bleibt, wie es war, dürfte man dieses Buchfest bieder nennen, mindestens betulich. Beleidigen würde man damit niemanden, schon gar nicht die tiefenentspannten Festivalorganisatoren. Die ahnen, dass ihr Publikum es genau so will, inzwischen zum 36. Mal: Eine halbe Stunde lang lesen Autoren auf dem Hauptpodium aus ihrem neuen Buch vor, danach bleibt man entweder sitzen auf Bierbank oder Wiesendecke und hört sich den nächsten an. Oder man folgt dem Vorleser zu einem Podium unter Bäumen, wo er sich den Fragen eines Moderators stellt. Auch die sind seit vielen Jahren immer dieselben, Erlanger Inventar sozusagen.

Nur manchmal, zur Verblüffung aller, passieren Dinge in Erlangen, die aus dem Rahmen fallen. Im vergangenen Jahr etwa las Nora Gomringer auf dem Hauptpodium ihren Text, mit dem sie den Bachmannpreis gewonnen hatte. Dass es etwas enger zugehen würde beim Zuhören im Park, hatte man erwarten dürfen, Gomringer liest bekanntlich ihre Texte nicht, sie lebt sie. Und sie ist ein bisschen ein Kind der Region, aufgewachsen in Franken, inzwischen Leiterin der Villa Concordia in Bamberg, und nun eben auch: Bachmann-Preisträgerin. Was dann aber zu beobachten war, eine kleine Völkerwanderung vom großen Haupt- zum kleinen Nebenpodium, mit staunend fotografierender und Küsschen werfender Autorin, das hat man in drei Jahrzehnten Erlangen so noch nicht erleben können. Die Leute bildeten eine Art Stadion um die Autorin, spontan und ohne Gedrängel. Auch das ist Erlangen.

Ähnlich könnte es diesmal bei Herta Müller zugehen, die eine besondere Beziehung zu Erlangen hat. Vor zehn Jahren trat dort Oskar Pastior zum letzten Mal in seinem Leben öffentlich auf, er berichtete vom gemeinsamen Projekt mit Herta Müller. Zwei Monate später starb er, drei Jahre danach legte Müller über die gemeinsame Arbeit Rechenschaft ab. Und auch das auf dem Poetenfest, wo sie ihr Buch "Atemschaukel" vorstellte, das sie gemeinsam mit Pastior begonnen hatte. "Wir dachten, wir hätten alle Zeit der Welt", sagte sie damals im Saal des Schlosses. Einen Monat danach bekam Müller den Nobelpreis zugesprochen. Nun kommt sie wieder nach Erlangen, mit Wilfried Schoeller wird sie am Sonntag über "Elend und Widerstand, Flucht und Fremde - Aktuelle Lehren aus der deutschen Exilliteratur" sprechen.

Das Thema Flucht steht diesmal klar im Zentrum des Festes, ohne dass Bodo Birk, der Festivalleiter, das grundsätzlich so beabsichtigt hat. Erst als das Team die Autoren vorstellte, die man gerne einladen würde, habe man festgestellt, in "wie vielen Neuerscheinungen dieses Thema aufgegriffen wird", sagt Birk. Da ist Shida Bazyar mit ihrem Debüt "Nachts ist es leise in Teheran", das hoch gelobte Familienporträt einer Auswandererfamilie. Da ist Abbas Khider mit seinem Roman "Ohrfeige", in dem sich ein Flüchtling in der bayerischen Provinz darüber wundert, warum ihm eigentlich keiner zuhört. Und da ist Katharina Winkler mit ihrem Debüt "Blauschmuck", in dem die Ich-Erzählerin Filiz, ein kurdisches Mädchen aus der Türkei, davon träumt, Jeans zu tragen statt Burka.

Überall wird man auch diesmal nicht dabei sein können, der enge Zeitplan lässt das nicht immer zu in Erlangen. Entweder man hört sich am Sonntag das Porträt von Aris Fioretos im Markgrafentheater an, dann wird man kaum entspannt bis zum Ende verfolgen können, wie Dirk Kruse Verena Auffermann zu deren Henry-James-Buch "Mit der Aufmerksamkeit eines Forschers" befragt. Das ist eine Besonderheit dieses Poetenfest-Jahrgangs: Mit Auffermann und Wilfried Schoeller, der sein Buch über Franz Marc vorstellt, treten diesmal Moderatoren auch als Autoren auf.

Und noch eine Besonderheit: Das Künstler-Kollektiv Rimini Protokoll präsentiert eine Performance, im Zentrum steht eine Gruppe männlicher Jugendlicher, die aus Irak, Afghanistan und Syrien geflohen sind. Wenn er unbedingt etwas empfehlen müsste, sagt Birk, dann dieses Projekt, ein ungewöhnliches für Erlangen.

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