Die kapriziöse Rebellin

Kaum eine Freiheitskämpferin war radikaler als die Angloirin Maud Gonne. Hundert Jahre nach dem Dubliner Osteraufstand von 1916 hat ihr Elsemarie Maletzke eine grosse Biografie gewidmet.

Peter Münder
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Elsemarie Maletzke widmet der angloirischen Freiheitskämpferin Maud Gonne ein schillerndes Porträt. (Bild: )

Elsemarie Maletzke widmet der angloirischen Freiheitskämpferin Maud Gonne ein schillerndes Porträt. (Bild: )

Im schneeweissen, mit Seerosen und Glasperlen bestickten Seidenkleid war die 1,80 Meter grosse, bildhübsche englische Offizierstochter Maud Gonne auf dem illustren Debütantinnenball in Dublin Castle 1882 eine aufsehenerregende Erscheinung. Sie wurde dem Vizekönig vorgestellt, als «Schönste der Saison» war die verwöhnte höhere Tochter dann auch in der Zeitung abgebildet. Vom geliebten Vater, der nach Dublin versetzt worden war, lernte die Sechzehnjährige Pistolenschiessen, für ihn spielte sie die Dame des Hauses, nachdem ihre Mutter schon früh verstorben war.

Radikaler Wandel

Wenige Jahre später jedoch hatte sich die im englischen Tongham geborene und in einem französischen Internat erzogene Maud Gonne (1866–1953) zur Samariterin gewandelt, die gleichzeitig als militante Freiheitskämpferin für eine irische Home-Rule, vertriebene Pächter und das Frauenwahlrecht auf die Barrikaden ging. Sie hasste nun alles, was englisch war: Sogar Shakespeare war ihr nun suspekt, nur weil er aus England stammte. Im simplistischen, auf Schwarz-Weiss-Kontraste reduzierten Geschichtsbild der Obristentochter war England zur «Nation von Gefängniswärtern» mutiert und das britische Empire zum «Reich Satans».

Die rhetorisch äusserst begabte Aktivistin wirkte auch wegen ihrer theatralischen Exzesse auf ihre Zuhörer faszinierend. «Die Massen kamen, um ihre Botschaft zu hören und die notorische Miss Gonne anzugaffen, deren Leben von Gewisper und Skandal umgeben war», schreibt Elsemarie Maletzke in ihrer Biografie, die einen starken Fokus auf den Wandel der High-Society-Tochter zur rebellischen Freiheitskämpferin legt. Wie entwickelte sich ein derart fundamentalistischer Furor, der zum Lebensinhalt wurde und sich in Gonnes Faustregel fürs Leben niederschlug: «Erst erkunden, wo England steht, und dann die absolute Gegenposition einnehmen»?

Maletzke zeichnet in ihrer spannenden, streckenweise etwas gar flapsig geschriebenen Biografie («sie pirschte sich Yeats gegenüber an das Thema Katholizismus heran») die Ambivalenzen und Widersprüche im Leben dieser kapriziösen Ausnahmeerscheinung nach. Den historischen Kontext – auch die grotesken, kleinlichen Konflikte innerhalb der irischen Protestgruppen – hat sie dabei immer im Fokus, ihr kritischer Blick verhindert, ähnlich wie in ihren Biografien über Jane Austen, die Brontë-Schwestern und George Eliot, das Abgleiten in eine hagiografische Denkmalpflege.

Gonnes sozialkritisches Erweckungserlebnis hatte ein Besuch im verarmten, kargen Donegal ausgelöst, wo sie im Auftrag der irischen Landliga die Lebensbedingungen der infolge von katastrophalen Missernten hungernden Landbevölkerung in Augenschein nehmen sollte. Die gnadenlose Brutalität von Landbesitzern, die ihre Pächter wegen ausbleibender Mietzahlungen auf die Strasse setzten und hilflose Mütter mit ihren Kleinkindern verhungern liessen, verletzte ihr Gerechtigkeitsgefühl und enragierte sie dermassen, dass sie sich fortan mit alttestamentarischem Zorn für alle Ungerechtigkeiten dieser Welt an den Engländern rächen wollte.

So gründete sie die aktionistische Frauengruppe «Töchter Irlands», organisierte 1897 Protestveranstaltungen während Queen Victorias Irland-Besuch und initiierte Suppenküchen an Schulen. Nach ihrem ersten Treffen mit dem Nationaldichter und Dramatiker William Butler Yeats 1899 war Yeats so überwältigt und verliebt, dass er an vielen ihrer Protestaktionen teilnahm, ihr fünf Heiratsanträge machte, die sie alle ablehnte, ihr Dutzende von Gedichten widmete und für sie den Einakter «Cathleen Ni Houlihan» schrieb, in dem sie die Hauptrolle spielte. Auch das lange verheimlichte Doppelleben der jungen Freiheitskämpferin bringt Maletzke ans Licht: Ihr französischer Liebhaber Lucien Millevoye war ein revanchistischer, antisemitischer Journalist und fanatischer Anhänger General Boulangers, mit dem er einen Staatsstreich durchführen wollte. Im Auftrag Boulangers war Maud Gonne sogar für eine geheime Mission zur Überbringung von Dokumenten an den russischen Zaren eingespannt worden. Aus ihrer Liaison mit Millevoye gingen zwei Kinder hervor, die sie entweder als «adoptiert» oder im Fall der Tochter als «Nichte» ausgab.

1903 heiratete Maud Gonne den während des Burenkriegs im irischen Transvaal-Regiment kämpfenden Major John MacBride: Für sie war er ein echter Held, weil er aufseiten der Buren die Engländer vernichten wollte. Während ihrer Flitterwochen in Spanien hatte sie einen Revolver im Gepäck, denn das Paar wollte in Gibraltar König Edward VII. während seines Staatsbesuchs erschiessen. Das aber verpatzte der alkoholisierte Major, weil er den vereinbarten Treffpunkt nicht fand. Damit hatte er sich für die junge Gattin als Versager entlarvt; prompt leitete die verhinderte Attentäterin nach der Geburt ihres Sohnes Sean die Scheidung ein.

Den laienhaft improvisierten, zum Scheitern verdammten Osteraufstand von 1916 am Dubliner Postamt erlebte Maud Gonne dann nicht mit, weil sie sich gerade in Frankreich aufhielt. Fünfhundert Menschen starben damals, und nach dem blutigen Fiasko wurden ein Dutzend Rebellen exekutiert – neben anderen auch Maud Gonnes geschiedener Ehemann.

Unbelehrbar

Der anglo-irische Unabhängigkeitsvertrag von 1921 konnte Maud Gonne nicht zufriedenstellen. Sie unterstützte weiterhin inhaftierte republikanische Kämpfer und hielt an ihrem diffusen Geschichtsbild auch nach dem Zweiten Weltkrieg fest: Auschwitz, die Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki sowie die irische Hungersnot, konstatierte sie, seien allesamt «schicksalhafte Katastrophen» gewesen.

Elsemarie Maletzke gelingt ein faszinierender Spagat zwischen einem detailfreudigen historischen Rückblick auf eine dramatische, turbulente Epoche und dem Psychogramm einer fanatischen Kämpferin für Gerechtigkeit, deren politische Blindheit jede Möglichkeit für Kompromisse ausschloss. Über die Vater-Tochter-Konstellation mitsamt ihren Konflikten hätte man allerdings gern mehr erfahren. Denn trotz ihrer harmonischen Beziehung dürfte der liberale Oberst Gonne über den fanatischen Furor seiner Tochter doch «not amused» gewesen sein.