Eine Seefahrt

Jack Londons missglückter Versuch einer Weltumseglung und sein grandioser Bericht darüber

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Dass jemand, zu dessen spärlichem Bücherbestand in Kindertagen Jack Londons „Wolfsblut“ gehörte, an diesem Autor immer wieder Gefallen findet, wird man ihm nachsehen. Auch wenn seine großen Zeiten – leider, leider – vorbei zu sein scheinen, ein Blick auf das umfängliche Werk des 1916, also vor 100 Jahren, allzu früh verstorbenen Jack London zeigt, dass es sich lohnt, die Nase in seine Bücher zu stecken.

Die beste und – ja – anmutigste Gelegenheit dazu bietet sich im Antiquariat, sind doch die in den frühen 1920er-Jahren in Deutschland massenhaft verbreiteten Auflagen und Ausgaben billig genug zu haben. Und freie Auswahl unter den zahlreichen Titeln gibt es sowieso.

Seinerzeit wurde sein Werk vor allem von „Universitas“ vertreten. Dass das eine ganze Menge war, ist vor allem deshalb erfreulich, weil seine Romane, Berichte und Erzählungen, so sehr der Ton Londons einen hohen Wiedererkennungswert hat, eine überaus angenehme Lektüre sind – auch über die beiden großen Klassiker, „Wolfsblut“ und „Seewolf“ hinaus. Apropos „Seewolf“: Sie erinnern sich an Raimund Harmstorf in der „Seewolf“-Verfilmung des ZDF, die Sache mit der Kartoffel? Ganz großes Ding damals, von heute aus gesehen schlimm.

Jack London spielt auch in der deutschen Literaturgeschichte eine bis heute nicht gewürdigte große Rolle: Das Abenteuergenre haben nicht viele gute Autoren besetzt, vor allem wenige Autoren, deren sozialkritisches Engagement bekannt genug geworden ist, um sie als Sozialisten zu würdigen. Karl May war das sicherlich nicht, B. Traven wäre am ehesten zu nennen.

Aber gerade nach 1945 wurde diese Sparte gern von ehemaligen literarischen NS-Kombattanten bespielt, die sich in die vermeintlich unproblematischen Abenteuergeschichten retten wollten. Dabei zeigt das Beispiel Jack London, was in diesen Geschichten stecken kann, nämlich vor allem ein genauer Blick für die Brüche in den Geschlechterrollen, die auf die Modernisierung zurückgehen. Auf die Vergeblichkeit, mit der diese Männer ihre Rollenbilder aufrechterhalten, auch und gerade weil zahlreiche Romane Londons in vorzivilen Verhältnissen oder am Rande der zivilisierten Gesellschaft spielen.

London ließ seine vor allem männlichen Helden an ihren vergeblichen Versuchen scheitern, so etwas wie eine ungebrochene Männlichkeit zu erhalten – irgendwo da draußen, wo die Annehmlichkeiten des modernen Lebens keine Rolle spielen.

Immerhin hatte Jack London über das, was er schrieb, genug eigene Erfahrungen vorzuweisen, was ihn von Karl May definitiv unterscheidet. Dennoch ist „Die Reise mit der Snark“ im Grunde genommen das Dokument eines grandiosen Scheiterns, ähnlich der einzigen Indienreise, die Hermann Hesse wagte. Das hat ihn freilich nicht daran gehindert, für die Deutschen Indien-Romane zu schreiben, deren fatale Wirkung bis heute anhält.

Das sieht im Fall der „Reise mit der Snark“ wenigstens zum Teil anders aus: Jack London, seine Frau Charmian und deren Crew trafen, in der Südsee angelangt, genau auf jene wilden Völker, die er in seinen Romanen beschrieben hatte. Und sie waren in der Realität keineswegs friedlicher als in der Fiktion.

Aber diese Passagen befinden sich am Ende der Reisebeschreibung, deren einzelne Kapitel auf der Reise selbst entstanden sind, um sie an Zeitungen verkaufen zu können. Der gesamte Bericht ist mithin erst im Nachhinein zusammengestellt worden.

Diese Entstehungsgeschichte merkt man dem Text an, denn er enthält keine chronologische Reiseerzählung, aus der die Route Londons abgeleitet werden könnte. Der Autor verfolgt eine andere Anlage – was aber eben auch dem Umstand geschuldet ist, dass die einzelnen Kapitel für sich stehen können mussten, weil sie nicht notwendig nacheinander im selben Blatt erscheinen sollten.

Stattdessen fassen die Kapitel einzelne Themen zusammen, die im Wesentlichen zwar chronologisch angeordnet sind, aber dennoch – nicht einmal in einer Nachbildung der Sukzession – aufeinander verweisen. Das Gesamtbild entsteht deshalb nur in der abschließenden Lektüre – was dem Genuss freilich nicht entgegensteht.

Ganz im Gegenteil: Gerade weil London nicht auf die Chronologie, sondern auf thematische Geschlossenheit aus ist, erhält das Buch einen enorm hohen Rhythmus. Und ein hohes Maß an selbstironischer Vergnüglichkeit.

Das beginnt bereits mit dem Anfangskapitel, in dem London den Bau der nach einer Ballade von Lewis Carroll benannten Snark beschreibt: Er verweist auf seine Erfahrung, er betont seine Umsicht, vor allem bei den Kosten, die er mit gutem Puffer ansetzt, er gesteht, das Beste vom Besten gekauft zu haben und mit den besten Bootsbauern zusammengearbeitet zu haben, die zu bekommen waren.

Und dennoch ist bereits der Bau der Snark eine Katastrophengeschichte. Nicht einmal die Maße, die der Bootsbauer für das Boot angesetzt hatte, stimmten. Die Kosten schießen ins Uferlose. Statt der großzügig geplanten 7.000 Dollar hat sie am Ende 30.000 gekostet. Die Bauzeit verlängert sich Halbjahr und Halbjahr, der Navigator, der angeheuert wird, ist ein Versager, London muss sich das Navigieren selbst beibringen (worüber er Kapitel über Kapitel schreibt), und muss dafür Lehrgeld genug zahlen. Ein Wunder, dass die Snark überhaupt je dort angekommen ist, wohin ihre Mannschaft sie hat steuern wollen.

Aber damit nicht genug: Die Motoren und anderes, was für teures Geld angeschafft worden ist, versagen ihren Dienst. Die Sicherheitsschoten sind undicht, das Boot ist löchrig wie ein Sieb, eigentlich schon ein Wrack, bevor die Reise losgeht. Und schließlich wird aus der Weltumsegelung, für die London sieben Jahre angesetzt hatte, ein vergleichsweiser kurzer Trip von nicht einmal zwei Jahren von der Westküste Nordamerikas in die Südsee.

Danach musste London, dessen Bericht in den letzten Kapiteln bevorzugt von den Fieberschüben, Geschwüren und Parasiten handelt, die er nicht mehr loswerden konnte, die Reise abbrechen. Die Südseesonne habe ihm derart zugesetzt, schreibt er im Nachgang, dass sein Körper begonnen habe, sich aufzulösen. Zurück in den USA seien alle seine Beschwerden wieder zurückgegangen und verschwunden.

Wie der Übersetzer Alexander Pechmann in seinem Nachwort schreibt, nahm London während der Reise selbst all diese Rückschläge keineswegs so gelassen und ironisch, wie es seinem Bericht zu entnehmen ist. Aber dennoch ist „Die Reise mit der Snark“ ein Meisterwerk der Reiseliteratur, kurzweilig zu lesen, selbst in den Teilen, in denen London seine Navigationsprobleme detailliert diskutiert. Da klingelt es in den Ohren vor Begriffen, die man nie zuvor gehört hat und deren Bedeutung man nur erahnt. Und trotzdem ist all das gut lesbar. Das muss man erstmal schaffen.

Nur gut anderthalb Jahre, vom April 1907 bis zum Oktober 1908, dauerte die Reise Londons. Anschließend verbrachte er einige Monate in einem Krankenhaus in Australien und kehrte im März 1909 in die USA zurück. Die Snark wurde versteigert.

Trotz des beinahe bösen Endes war die Zeit, die der Autor auf der Snark verbrachte, ungeheuer produktiv: London schrieb auf der Snark neben dem Reisebericht die Romane „Adventure“ („Die Insel Berande“), „Martin Eden“, „Burning Daylight“ („Lockruf des Goldes“) und drei Bände Erzählungen – eine Ausbeute, die sich sehen lassen kann und die nicht zuletzt deshalb möglich wurde, weil Jack London auch während der Reise nicht darauf verzichtete, täglich 1.000 Wörter zu schreiben, eine Schreibdisziplin, die weder Schreibblockaden zulässt noch kreative Hochphasen nötig hat.

Der Mare Verlag hat den Reisebericht nun neu übersetzen lassen und in einer schön gemachten Aufmachung (mit Schuber, Umschlagprägung und Lesebändchen) vorgelegt. Außerdem hat er ihm zwei kürzere Texte Londons über die Freude am Sportsegeln und ein nautisches Gespenstererlebnis beigegeben, die ihrerseits Freude bereiten. Für die nautischen Fachbegriffe, die einer Landratte wie dem Verfasser dieser Zeilen wenig bis nichts sagen, ist ein Glossar mitgegeben, das immerhin einige Aufklärung verspricht. Ansonsten sei aber angeraten, sich einfach der entspannten Lektüre zu überlassen.

Titelbild

Jack London: Die Reise mit der Snark.
Herausgegeben von Alexander Pechmann.
Übersetzt aus dem Englischen von Alexander Pechmann.
Mare Verlag, Hamburg 2016.
350 Seiten, 28,00 EUR.
ISBN-13: 9783866482449

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