Mario Vargas Llosa: "Die Enthüllung"

"Diese krankhafte Neugier ist ein Albtraum"

Der Autor Mario Vargas Llosa sitzt bei einer Lesung in Köln. Links: das Buchcover seine neuesten Romans "Die Enthüllung".
Der Autor Mario Vargas Llosa sitzt bei einer Lesung in Köln. Links: das Buchcover seine neuesten Romans "Die Enthüllung". © Suhrkamp / dpa / picture alliance / Henning Kaiser
Von Tobias Wenzel · 23.10.2016
In seinem Roman "Die Enthüllung" schreibt der Literaturnobelpreisträger Mario Vargas Llosa über die Macht der Klatschpresse. Der peruanische Autor wurde erst kürzlich selbst zum Opfer von Paparazzi, wie er bei einer Lesung in Köln mitteilte.
23. Oktober, 12 Uhr 4. Mario Vargas Llosa sitzt, wie immer perfekt gekleidet und frisiert, in einem Kölner Fünf-Sterne-Hotel, als ich ihm ankündige, ihn mit etwas Unappetitlichem zu konfrontieren. Mit etwas Skandalösem. Er stutzt. Ich zeige dem Literaturnobelpreisträger ein Foto. Darauf ist ein Mann zu sehen, der lachend ein gebratenes Meerschweinchen in die Kamera hält.
"Ich habe noch nie Meerschweinchen gegessen. Das ähnelt doch einer Ratte."
Es bringe nichts, es zu leugnen, sage ich: Dieser Mann, der eines der beliebtesten Haustiere der Deutschen verspeist, sei er, Vargas Llosa. Er solle es endlich zugeben. Ich drohe ihm damit, das Foto zu veröffentlichen.
"Nein, das bin ich nicht! Ganz und gar nicht! Das ist ein Betrüger, der mich auf widerliche Weise meiner Identität beraubt hat."

"Die Freiheit wird enorm eingeschränkt"

Auch noch mit 80 zeigt Mario Vargas Llosa Sinn für Ironie. Er mimt gekonnt den Empörten, hat schnell die Anspielung auf seinen neuen Roman "Die Enthüllung" verstanden. Lima Ende der 90er-Jahre, eine Zeit der Diktatur, der Terroristen und Entführungen: Der Schmierenjournalist Rolando Garro erpresst den verheirateten Unternehmer Enrique Cárdenas mit Fotos, die ihn bei einer Orgie mit Prostituierten zeigen.
"Er war so konsterniert, so verstört, dass er den Stapel Fotos, kaum war er wieder aufgestanden, auf den Schreibtisch legte, sich das Jackett auszog und die Krawatte lockerte. Mit geschlossenen Augen sank er auf den Stuhl."
Der Schauspieler Hanns Zischler liest am Abend in einer Sonderveranstaltung der Lit.Cologne im ausverkauften Klaus-von-Bismarck-Saal des WDR aus dem neuen Roman. Es ist ein Buch über die Macht der Klatschpresse.
Erst zum Schluss der Veranstaltung spielt Paul Ingendaay, der Moderator des Abends, darauf an, dass Mario Vargas Llosa selbst jüngst Opfer der Skandalpresse wurde, weil er sich von seiner langjährigen Ehefrau trennte und nun mit einer anderen, jüngeren Frau liiert ist. Paparazzi lagen und liegen auf der Lauer.
"Das ist ein Albtraum, dem man, wenn möglich, trotzen muss. Diese krankhafte Neugier versucht, in die private Intimität vorzudringen, um herauszufinden, ob das Stoff für einen Skandal hergibt. Die Freiheit wird enorm eingeschränkt, wenn man so von der Klatschpresse belagert wird. Da kann man sich nur verteidigen, indem man sich jedes Mal noch mehr abschottet. Aber meiner Arbeit hat das nichts anhaben können."

Bei Vargas Llosa wurden damals Wanzen gefunden

Mit seinem neuen Roman "Die Enthüllung" erinnert der Autor daran, wie, nachdem er selbst die Stichwahl um die peruanische Präsidentschaft verloren hatte, Präsident Alberto Fujimori zum Diktator wurde und mit Hilfe seines Geheimdienstchefs Vladimiro Montesinos gegen Oppositionelle auch mit medialen Kampagnen, meist unter der Gürtellinie, vorging und diese Menschen ausspionierte.
Im Haus von Vargas Llosa wurden damals Wanzen gefunden. Ob Fujimori und Montesinos, die im heutigen demokratischen Peru in Gefängnissen sitzen, wohl schon seinen neuen Roman gelesen haben?
"Das weiß ich nicht. Aber es würde mir gefallen, wenn beide meinen Roman läsen, um sich daran zu erinnern, welch gewaltigen Schaden sie Peru zugefügt haben, mit dieser dreckigen Presse. Sie haben anständige Leute, die einfach nur dieses Regime in politischer, moralischer, wirtschaftlicher Hinsicht kritisiert hatten, durch den Schmutz gezogen, Skandale über sie erfunden oder aufgebauscht. Das hat dem Land schweren Schaden zugefügt."
Erzählt der Nobelpreisträger schon am Mittag im Kölner Hotel. Offiziell ist Mario Vargas Llosa kein Politiker mehr, im Herzen aber ist er immer einer geblieben, ein Kämpfer für Demokratie und Liberalismus.

Explizite Sexszene

"Die Enthüllung" hat aber noch eine andere, nur auf den ersten Blick unpolitische Seite. Das Buch beginnt mit zwei guten Freundinnen, die zu mehr werden, als die eine wegen der verhängten Ausgangssperre bei der anderen übernachtet. Vargas Llosa wird da sehr explizit, benennt Geschlechtsteile. Bleibt eigentlich nur noch die Frage, ob er beim Schreiben der lesbischen Sexszene nicht davor Angst hatte, dass man ihn für einen Lustgreis halten könnte.
"Genau das wurde schon über mich in den Kommentaren zu diesem Roman gesagt. Aber es ist nicht wichtig, was die Leute reden. Die Frage ist, ob es so im Roman funktioniert. Ich glaube, dass die beiden Freundinnen diese sexuelle Erfahrung gar nicht gemacht hätten, wenn sie nicht in diesem Klima der Anspannung, Unsicherheit, Klaustrophobie und Paranoia gelebt hätten und wenn es nicht die Ausgangssperre gegeben hätte."

Mario Vargas Llosa über seinen neuen Roman "Die Enthüllung". Das Buch hat er am Sonntagabend in Köln vorgestellt. Es wurde von Thomas Brovot übersetzt und ist bei Suhrkamp erschienen. Am 24.10. stellt Vargas Llosa den Roman in Hamburg vor und am Mittwoch (26.10.) in Berlin.

Mehr zum Thema