Gegen den Strich

Der Philosoph und Zeitdiagnostiker Konrad Paul Liessmann plädiert in einem Essayband für kritisches Denken. Dabei geisselt er insbesondere die negativen Auswüchse der heutigen Bildungspolitik.

Marc Tribelhorn
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Konrad Paul Liessmann fordert kritische Bildung. (Symbolbild: Liesa Johannssen / Imago)

Konrad Paul Liessmann fordert kritische Bildung. (Symbolbild: Liesa Johannssen / Imago)

Sapere aude! Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen, lautete die Losung der Aufklärung. Doch Kants berühmtes Diktum wird derzeit immer weniger beherzigt. So urteilt jedenfalls der scharfzüngige Wiener Philosophieprofessor, Zeitdiagnostiker und Kolumnist Konrad Paul Liessmann in einem Essayband. Unter dem Titel «Bildung als Provokation» seziert er gnadenlos den «Reformfuror» und die Kompetenzfixiertheit, die das Schulwesen im deutschsprachigen Raum ergriffen haben.

Dass Bildung heute vornehmlich unter einer Nützlichkeits- und Verwertungslogik betrachtet werde, führe in die Irre. Wo bleibt angesichts des Effizienzdrucks und des Vermessungswahns die Musse, die für die vertiefte individuelle Auseinandersetzung mit der komplexen Welt, mit Literatur, Sprache oder Musik unabdingbar ist? Die Widersprüche sind laut Liessmann evident: Einerseits setzen wir uns nicht mehr mit inhaltlichen Bildungsansprüchen auseinander, andererseits glauben wir, dass Bildung alle gesellschaftlichen Probleme lösen könne. «Bildung ist zum vielleicht mächtigsten Religionsersatz in einer säkularisierten Gesellschaft geworden.» Wer gegen die zeitgeistigen Heilsversprechen Einspruch erhebe, werde als Reaktionär verfemt. Dabei sei es doch erste Aufgabe des Intellektuellen, die Gesellschaft kritisch zu reflektieren und vermeintlichen Wahrheiten zu misstrauen.

Liessmanns kurzweiliges und brillant formuliertes Buch ist ein Plädoyer für sperriges Denken und gegen «rigide Reinheitsgebote». Auf seinen Streifzügen beschränkt sich der Autor nicht auf Fragen der Bildung, er begibt sich auch in die «Niederungen der Politik», sondiert die Grenzen von Markt, Macht und sozialer Gerechtigkeit – oder ergründet subtil den Narzissmus in Selfies.