Amerikanische Literatur:Ein Alptraum mitten in Manhattan

Amerikanische Literatur: Ähnlich wie die Serie "Mad Men" seziert auch Matthew Weiners erster Roman "Alles über Heather" das New Yorker Bürgertum

Ähnlich wie die Serie "Mad Men" seziert auch Matthew Weiners erster Roman "Alles über Heather" das New Yorker Bürgertum

(Foto: Ron Jaffe/AMC)

Der "Mad Men"-Schöpfer Matthew Weiner hat seinen ersten Roman geschrieben. "Alles über Heather" ist ein großartiger Psychothriller - und eine gnadenlose Gesellschaftsstudie.

Von Fritz Göttler

Ein Alptraum mitten in Manhattan. Mark Breakstone klettert das Gerüst hoch, das die Bauarbeiter errichtet haben - das Haus, in dem er mit seiner Frau Karen und der Tochter Heather seine Wohnung hat, wird gerade renoviert -, er schaut auf die Baumwipfel im Park unten, dann geht der Blick in die Ferne, "ein Kirchturm und die Park Avenue, leicht verschwommen einige gelbe Taxis. Dann warf er einen Blick in Heathers Schlafzimmer. Sie war nicht da, also sah er durchs eigene Schlafzimmerfenster, und da lag Heather auf dem Elternbett, nichts als Socken an, Gesicht zur Decke und aufgeschlitzt wie ein Stück Wild, ausgeblutet auf der weißen Chenille-Decke."

Dies ist eine brutale Studie der amerikanischen Gesellschaft, einer ihrer besonderen Ausformungen - des New Yorker Großbürgertums. Soziologie im Zeitraffer. Die Geschichte, wie Mark und Karen sich begegnen, beide schon über das klassische Dating-Alter hinweg, wie sie zögernd das erste Mal miteinander schlafen, was sie vom andern erwarten und auch von sich, dann kommt die Heirat, Mark hat Erfolg im Business, es geht offensichtlich um Finanzgeschäfte. Man findet eine Wohnung westlich der Park Avenue, in einer Gegend, "die als eines der letzten intakten Wohnviertel Manhattans galt. Drei Schlafzimmer, kein Balkon, aber direkt unterm Penthouse ..." Dann wird Heather geboren, die schnell der Mittelpunkt der Familie wird und all die Probleme provoziert, die für reiche Teenager üblich sind.

Matthew Weiner hat die Geschichte geschrieben, er erzählt - sein erster Roman - so kompakt und schnörkellos (auch in der dichten Übersetzung von Bernhard Robben), dass die Bezeichnung Roman nicht ganz passt auf den Text. Matthew Weiner ist der kreative Geist hinter der Erfolgsserie "Mad Men", dem gnadenlosen Porträt des amerikanischen Mittelstands und der Werbebranche, das mehrere Jahre lang die intellektuelle Diskussion dominierte und das amerikanische Fernsehen und sein Erzählen feuilletonkompatibel machte. Die Fernseharbeit galt Matthew Weiner freilich immer als eine Abweichung, ein Umweg, im Innern sah er sich eigentlich von Anfang an als Romancier: "Es war für mich die Erfüllung eines Kindheitstraums und ein lebensveränderndes Ereignis, dieses Buch zu schreiben ..."

"Alles über Heather", im Original "Heather, a Totality" ist ein großartiger Psychothriller, in der Tradition von Richard Yates und F. Scott Fitzgerald, eine Psychopathologie der amerikanischen Elternschaft, ihrer innersten Wünsche und Hoffnungen, Träume und Obsessionen. "Seltsamerweise fand er das gar nicht grauenhaft", geht Marks splatteriger Traum weiter. "Dann stand er im Zimmer am Fuß des Bettes, als ihr geschändeter Leichnam mit ihm zu reden begann, das Gesicht lebendig und wie immer. Sie sagte so etwas wie: ,Warum hast du mir das angetan, Daddy?' Ja, genau das sagte sie, und bei der dritten Wiederholung begriff er, dass es ein Traum war, und er weckte sich daraus auf und wusste, er würde nie wieder schlafen wollen."

Der väterliche Schlaf gebiert Monster, in Marks perverser Vision manifestieren sich verschüttete patriarchale Urinstinkte. Sie werden reaktiviert und befestigt von bürgerlichen Klischees. "Schon bald würde sie einen Freund haben. Er hatte die Jungen auf dem Weg zur Schule gesehen, einige mit gelockerter Schulkrawatte, der Rest in nach billigem Deo stinkenden Kapuzenshirts, Kondome im Portemonnaie, und in Gedanken sah er schon, wie sie Heather zu besteigen versuchten ..."

Der eigentliche Gegenspieler für Mark, ein wirklicher Konkurrent, kommt von der anderen Seite der Gesellschaft. Auch der junge Bobby befriedigt sich fürs erste vor allem in Träumen. Bobby Klaskys Mutter lebt von der Stütze, Drogensucht ist bei ihr im Spiel, täglich immer neue erbärmliche Versuche, das Geld für neuen Stoff zusammenzukriegen. Bobby landet im Gefängnis, als er wieder freikommt, muss er zur Mutter nach New Jersey zurück, er findet die ganze Wohnung, auch sein altes Zimmer, völlig versifft und leer geräumt vor, alles zu Geld gemacht. Das Gegenstück eben zu dem Leben der Breakstones, das aus Shopping, Einrichten, Dekorieren besteht. Einmal schenkt Karen, die unter ihren Freundinnen und den Schulmüttern wenig Anschluss findet, ihrem Mann eine italienische Designer-Kaffeemaschine für tausendzweihundert Dollar, sie tut das, weil beim Kaffeemachen und -trinken eine schöne Gemeinsamkeit zwischen Vater und Tochter entstanden ist, von der sie sich ausgeschlossen fühlt. "Mark war begeistert und gerührt, dann aber warnte ihn Karen, dass die Maschine für Heather zu gefährlich und für Mark zu kompliziert sei, weshalb sie, die als Einzige die Videoanleitung gesehen hatte, ihnen von nun an den Kaffee machen würde." Je nüchterner und objektiver Matthew Weiner von der Eskalation der Differenzen in der Familie erzählt, desto ungesünder und unheimlicher ist der Effekt. "Mein Gott, wie erbärmlich", ist Heathers Reaktion auf die Machenschaften mit der Kaffeemaschine. "Und zum ersten Mal gab Mark ihr im Stillen recht."

Leseprobe

Einen Auszug aus dem Buch stellt der Verlag hier zur Verfügung.

Bobby ist dann einer der Bauarbeiter bei der Renovierung des Brownstone, in dem die Familie wohnt. Der einzige Weiße, der sich auf dem Gerüst tummelt, in verführerischer Nähe zur, aber doch strikt geschieden von der bürgerlichen Welt und Heather. Seine Träume sind ähnlich aggressiv wie die des Vaters, und auf subtile Weise führt Matthew Weiner die beiden Perspektiven lange Zeit parallel, ein Spiel der Annäherungen und Abstoßungen, der verheimlichten Blicke und des direkten Ansprechens, von Heiß und Kalt, das zur Konfrontation drängt.

Natürlich spürt Heather, dass die Familie, ihre Eltern nicht perfekt sind, und da sie sieht, "wie sie sich gegenseitig nicht an ihrem Glück teilhaben lassen konnten, musste sie sich der Frage stellen, inwieweit das ihre Schuld war". Heather hat große, jugendlich edle Pläne, sie will auf die Anhäufung von Reichtum ihrer bürgerlichen Klasse verzichten, auf ihr Herz hören und alles weggeben, will ein ganzer, ein vollständiger Mensch sein. Das ist womöglich die Totalität, von der die Männer und Frauen in Matthew Weiners Roman heimlich träumen, die die Erzählung zu fassen versucht.

Matthew Weiner: Alles über Heather. Roman. Aus dem Englischen von Bernhard Robben. Rowohlt Hundert Augen, Reinbek 2017. 139 Seiten, 16 Euro. E-Book 14,99 Euro.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: