Frankfurter Buchmesse:Grenzen der Satire

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Der hölzerne Frankfurt-Pavillon steht auf der "Agora", der großen Freifläche zwischen den Messehallen. Entworfen hat ihn das Architekturbüro Schneider & Schumacher. (Foto: Regina Schmeken)

Trotz abgesagter Partys ging niemand verzagt ins Bett. Gesprächsstoff gab es genug: Krisen, Abgänge, Populisten, Fahrverbote, Ideen und Bücher.

Von B. Graff, A. Ruehle, M. Schmidt und F. Stephan

Die Sonne schien, als wäre es Ende August. Wer konnte, eilte nach draußen, auf die Freifläche zwischen den Messehallen, die "Agora". Dort ging es zu wie auf einem Großstadtplatz, nur das Klappern der Rollkoffer fehlte. Man bewegte sich im geschützten Raum der Messe, vorbei an Kiosken und Zelten, hin zum "Frankfurt Pavilion" des Architekturbüros Schneider & Schumacher. Von außen sieht er aus wie ein aus Meerestiefen aufgetauchter Tierrücken, die Innenwände gleichen leeren Bücherregalen.

Weil so viele sich sonnten, kam man in den Hallen schneller voran, entdeckte rascher Unbekanntes, die Autorin Ella Zeiss zum Beispiel. Wer den Namen noch nie gehört hat, muss sich nicht schämen. Ella hat selber Schwierigkeiten mit ihrem Namen. Dabei hat sie gerade den mit 30 000 Euro auf dem deutschen Buchmarkt nicht gerade gering dotierten "Kindle Storyteller Award 2018" gewonnen. Dass sie über den eigenen Namen stolpert, liegt daran, dass Ella Zeiss nur eines von vielen ihrer Pseudonyme ist, man bemerkt es, weil sie manchmal mit einem der anderen Namen signiert. Ella ist Selbstverlegerin. Je nach Genre ihrer Bücher ist sie anderslautend unterwegs. Ihr Gewinner-Buch: "Wie Gräser im Wind", ihre 18. Veröffentlichung, ist eine historisch-autobiografische Familiensaga von Russlanddeutschen in der Stalin-Ära. Einen Buchverlag benötigt sie nicht. Sie verkauft ihre Werke als Internet-Autorin, die weiß, wie man eine Online-Community pflegt, über Amazon viel besser.

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Zu den Buchmessen vergangener Jahre gehörte es, dass man sich abends nicht verabreden musste, weil sich Lektoren, Agentinnen, Kritikerinnen, Autoren und Übersetzer bei drei Partys - der Holtzbrinck-Verlage Rowohlt und S. Fischer sowie des Hanser Verlags - zuverlässig wieder trafen. Die gab es diesmal aber nicht, abgesagt. Wenn die Verkaufszahlen sinken, sind Freibier und Schnittchen das erste, woran man sparen kann.

Es ist aber allem Eindruck nach trotzdem niemand verzagt ins Bett gegangen. Die Abende waren heiter, weniger routiniert und das Partygesprächsthema "Partys" wird auch spannender, wenn nicht alle auf denselben waren. Man kann sich dann erzählen, wie es im Literaturhaus war, wo Verlage und Verbände bei einer Art Pop-up-Empfang eine Kiste Bier, ein Schild mit ihrem Namen und ein bisschen Redezeit mieten konnten. Oder bei Joachim Unseld oder den unabhängigen Verlagen oder der Feier des neuen Kampa-Verlags in der Bar mit den provozierend langsamsten Barkeepern aller Zeiten.

Nicht treffen konnte man die abgesetzte Rowohlt-Verlegerin Barbara Laugwitz, aber gesehen haben wir sie doch: Auf Aushängen und Aufklebern, die ab und an irgendwo auftauchten, war das einzige von ihr existierende Porträtfoto abgedruckt und mit dem Hashtag Rowohlt ausgezeichnet. Zum Beispiel am Rande des Rowohlt-Empfangs, auf dem der wilhelminische Porno "Weltpuff Berlin" vorgestellt wurde, hing dieses Poster auf der Damentoilette. Recherchen haben ergeben, dass sich bei den Herren kein solches Statement fand. Wer die Bilder aufgehängt hat, konnte nicht ermittelt werden. Ruhe dürfte bei Rowohlt so rasch nicht einkehren. In der vergangenen Woche hat der Marketing- und Vertriebsgeschäftsführer, Jürgen Welte gekündigt. Er galt als Laugwitz-Vertrauter und wird noch bis zum 30. Juni 2019 seine Aufgaben wahrnehmen. Ob schon jemand an einer Laugwitz-Novelle schreibt? Oder einem Rowohlt-Schlüsselroman?

Halle 5 präsentiert die ganze Welt, auch Georgien. Man hörte viele Sprachen. Nur die deutsche kaum

Autoren sind keine Roboter, Bücher schreibt man nicht in vier Wochen, und Zeitströmungen in Romane umzuschmelzen dauert seine Zeit. Aber es wundert doch etwas, dass in den österreichischen Verlagen so wenig zu dem dramatischen politischen Erdbeben zu finden ist, das die neue Regierung für das Land und Europa bedeutet. Am interessantesten ist noch "Informiert euch!", der engagierte Ratgeber der Falter-Journalistin Nina Horaczek, die auf die Fake-News-Pest und die Zerrüttung der sozialen Medien durch Trolle mit einer Art 200-seitigen digitalen Bildungsoffensive reagiert. Sie selbst sagt, angesprochen auf das Erstaunen über die sonstige Stille der Verlage, Österreich habe halt mittlerweile seit dreißig Jahren mit dem Thema zu tun. In Italien hat der Einaudi-Verlag eine weiße Reihe aufgelegt, die den Populismus auf verschiedene Art und Weise beleuchtet. Stefano Feltri dekonstruiert in "Populismo sovrano" das Versprechen, uns allen wieder überschaubare, klare, ganz und gar selbstbestimmte Verhältnisse bescheren zu können.

Am Freitagabend hatte Martin Sonneborn Björn Höckes Auftritt satirisch sabotiert, indem er, verkleidet als Graf Stauffenberg, eine Aktentasche in Höckes Nähe zu deponieren versuchte. Am Morgen danach warnte die amerikanische Philosophin Susan Neiman auf dem Weltempfang-Podium ausdrücklich vor derlei Aktionen. Satire sei in diesen Zeiten nicht das geeignete politische Mittel, man könne das an Trump sehen. Brillante Köpfe wie Steven Colbert oder Trevor Noiah würden den Präsidenten Abend für Abend verspotten, "wir amüsieren uns prächtig, aber nicht einer seiner Wähler wird dadurch von seiner Meinung abgebracht, im Gegenteil, sie fühlen sich verlacht und werden noch verstockter." Bleibt die Frage, was stattdessen wirken könnte.

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In Halle 5, wo die internationalen Verlage untergebracht sind, fühlt sich die Buchmesse ein wenig an wie die Vereinten Nationen. Georgien und die Ukraine schimpfen auf Russland, Russland preist seine Geschichte und Weisheit, die Argentinier verteilen Rotwein, vor der Halle rufen Demonstranten zu einer Revolution im Iran auf. Den mit Abstand größten Stand hat Frankreich, die Türkei hat auch viele Quadratmeter, aber nicht ganz so viele Bücher und die Repräsentanz der Volksrepublik China ist erstaunlich leer.

Der Stand der Vereinigten Arabischen Emirate hatte große Ähnlichkeit mit dem Innenraum einer Bentley-Limousine. Auf einem Pult lag aufgeschlagen ein Buch mit dem Titel "Auswahl von Aussprüchen von Sheikh Zayed bin Sultan Al Nahyan". Es versammelte Aussprüche des Staatsgründers der Emirate. Ihnen war etwa zu entnehmen, dass Frauen den Männern ebenbürtig seien, dass es liederlich sei, sie herabzuwürdigen, dass sie arbeiten und für politische Ämter kandidieren sollen. Vielleicht lautete die eigentliche Mitteilung dieses Buches: Das mit dem Fahrverbot, das sind nicht wir. In jedem Falle verlief die Mitteilung im Sande. Kaum ein Deutscher verirrte sich in die Halle 5. Man fand die ganze Welt auf zwei Etagen, hörte sämtliche Sprachen, nur die deutsche kaum. Das war ein bisschen kümmerlich. 2019 wird Norwegen Gastland der Buchmesse.

© SZ vom 15.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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