Oberdiskutierer werden

Der dritte Band der Fühmann-Briefausgabe ist erschienen

Von Stephan KrauseRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stephan Krause

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Muss von einer gewissen Befangenheit des Herausgebers ausgegangen werden, wenn diesen seine editorische Aufgabe, das Thema sowie das Material des von ihm verantworteten Buches nicht nur interessehalber angehen, sondern wenn er emotional berührt sein könnte, da dieses Material und damit auch ein Gutteil der Themen von ihm selbst stammen?

Mit Blick auf den zuletzt erschienenen dritten Band der Briefe Franz Fühmanns kann dies klar mit Nein beantwortet werden. Denn dieser als dritter Teil – von geplanten und hoffentlich komplett realisierten sieben – der Korrespondenzen aus Fühmanns Feder gereihte Band bietet eine spannende Entdeckungsreise und berührt zugleich den klassischen Topos des Briefwechsels eines bedeutenden Dichters mit einem Kinde. Joachim Hamster Damm (geb. 1965), Bühnenbildner und Schauspieler, Musiker und Autor, ist dieser Herausgeber und zugleich jener Schüler, der Mitte der 1970er Jahre in einen regen Briefwechsel mit Franz Fühmann (1922–1984) eintrat.

Dieser Briefwechsel ist Inhalt des dritten Bandes der Fühmann-Briefausgabe. Die Bände eins und zwei enthielten jeweils die Briefwechsel des Dichters mit seinem Lektor Kurt Batt (1931–1975) und mit seiner Lektorin Ingrid Prignitz (1936–2007). Der dritte Band der Briefausgabe gibt nun, nachdem die ersten beiden zuweilen einen sehr unmittelbaren Einblick in den Alltag der Fühmann’schen Arbeit erlaubten, die Sicht frei auf einen zwar nicht gänzlich unbekannten, jedoch in dieser Form bisher nicht zugänglichen Fühmann. Es war wohl auch dieser Umstand, auf den Sigrid Damm (geb. 1940) in Karlheinz Munds (geb. 1937) Dokumentarfilm Das Bergwerk – Franz Fühmann (1997/98) hinweisen wollte, als sie den unentdeckten Briefeschreiber Franz Fühmann ansprach und explizit dessen „Briefwechsel mit Kindern“. Dass Joachim Damms Mutter damit nicht nur ein germanistisch-editorisches Defizit benennen wollte, ließ sich dieser Bemerkung aus dem Off (noch) nicht, dem nun vorliegenden Briefwechsel Fühmann-Damm jedoch nun vollständig entnehmen. Dieser Band folgt ausdrücklich einer anderen Vorstellung von einer Briefausgabe, als diese noch den beiden vorangehenden Bänden zu entnehmen war. Denn Damm fügt dem etwa 100 Buchseiten umfassenden Briefwechsel, der durch die zahlreichen Faksimiles (mehr als 15!) an sich schon ein Ereignis wäre, nicht nur seinen autobiografischen Text Mein Franz Fühmann (zuvor auch in Ins Innere (2016)) hinzu, dessen Wirkung sich erst hier recht entfalten kann, sondern auch den Text des Auftragsstücks Der glückliche Ritter von Trinitat oder Wie wird man Oberdiskutierer, das Damm selbst bei Fühmann bestellt hatte, sowie den von Damms Hand auf jeder Seite (!) illustrierten Prosatext Die Fliege im Auge, die Geschichte einer zeitgenössischen Spurensuche Damms bei sich selbst und an Orten wie Fühmanns Arbeitslaube im Wald bei Märkisch Buchholz (Brandenburg).

Dem Autor, Herausgeber und Zeitzeugen in Personalunion Joachim Damm gelingt mit diesem reichhaltigen Buch etwas für die Perspektive auf den Autor Fühmann und das Fühmann-Bild sehr Wichtiges. Denn es zeigt zwar in erster Linie den Kinderbuchautor Fühmann und belegt erneut seine ehrliche Haltung gegenüber Kindern, mit der er diese immer als vollkommen Gleichberechtigte ansah, doch unterstreichen der erstmals vollständig vorgelegte Briefwechsel und Damms beigegebene Texte auch, in welcher Weise Fühmann gerade auch in der Rolle des Kinderbuchautors politisch und zugleich ästhetisch anspruchsvoll agierte. So liest sich die Korrespondenz nicht selten wie ein spannender Subtext zu Verhältnissen und Gesellschaft in der DDR der 1970er und 1980er Jahre, was Damm durch einzelne behutsame Erläuterungen zu soziopolitischen Hintergründen ergänzt.

Nach seiner Lektüre von Prometheus. Die Titanenschlacht, dem 1974 im Kinderbuchverlag Berlin erschienenen ersten Teil von Fühmanns auf zuletzt fünf Bände angelegtem mythologischen Roman, hatte Joachim Damm dem Dichter zum ersten Mal geschrieben. Schon der zweite Teil dieses groß angelegten Romanprojektes blieb Fragment (Prometheus. Die Zeugung, postum 1996), zu den folgenden Teilen existieren einzelne Skizzen. Darüber, dass die vollständige Fühmann’sche Adaption nicht nur ein in seinem Umfang beeindruckender Text geworden wäre, sondern auch inhaltlich, kann nur spekuliert werden. Erahnen aber lässt sich anhand der vorliegenden Texte doch ein erzählerisch und ästhetisch nachhaltiges Stück Literatur.

Der erste Brief des neunjährigen Joachim ist auf den 5.3.1975 datiert und enthält einige Nachfragen zum Prometheus. Fühmann antwortet und dies immer wieder und lässt an keiner Stelle Zweifel an der Ernsthaftigkeit und Wahrhaftigkeit, mit der er seinem um gut 40 Jahre jüngeren Briefpartner über fast zehn Jahre hinweg begegnet. Vielmehr fließen in die Antworten nicht nur politische oder zumindest politisch deutbare Bemerkungen ein, sondern der Briefwechsel vermittelt sehr anschaulich, was Damm selbst an einer Stelle als Aufgehen einer „Saat meiner Freundschaft mit Franz Fühmann“ beschreibt. Fühmanns brieflichem und durch einzelne seltene Begegnungen auch persönlichem Einfluss sei „eine Form von Mut“ zu verdanken, die etwa in der Aufführung von Alfred Jarrys (1873–1907) Ubu Roi als Schulpuppentheaterstück 1983 gipfelte. Damms Text kostet (in der Erinnerung) noch einmal aus, was es wohl bedeutet haben musste, dieses Drama des Surrealismus an einer Kleinstadtschule in der späten DDR realisiert zu haben: „Berauschend“ sei die Energie dieses Projektes gewesen.

Den Leser*innen von Die Briefe. Band 3, Briefwechsel mit Joachim Damm 1975–1984. „Der grüngefleckte Teufel soll dich holen“ als Resultat eine solche Euphorie oder, ähnlich, eine solche Gebanntheit anzuempfehlen, griffe wohl über das Buch hinaus und täte ihm unrecht. Denn was Damm mit der Edition seines Briefwechsels mit Fühmann liefert, ist ein zugleich individueller und repräsentativer Ausschnitt aus der literarischen Kultur der DDR und damit auch der Geschichte der deutschsprachigen Literatur, und diese Edition zeigt ein Stück deutscher (Zeit)Geschichte, an deren Verlauf – so vermittelt dies der Band – sich aus nächster Nähe teilhaben lässt, – ob als Zuschauer oder gar als „Oberdiskutierer“.

Titelbild

Franz Fühmann: Die Briefe. Band 3. Briefwechsel mit Joachim Damm.
Herausgegeben und kommentiert von Joachim Damm. Mit Briefen von Sigrid Damm.
Hinstorff Verlag, Rostock 2018.
208 Seiten, 22,00 EUR.
ISBN-13: 9783356021684

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