Thomas von Aquin versucht Stan Laurel zu überzeugen, dass er tot sei. Dieser hält das für einen Witz

Der Schriftsteller Markus Orths hat ein Flair für kuriose Konstellationen. Nun vereint er das Heilige und das Komische.

Paul Jandl
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Die Vorstellung einer Begegnung von Stan Laurel und Thomas von Aquin hat doch etwas Reizvolles.

Die Vorstellung einer Begegnung von Stan Laurel und Thomas von Aquin hat doch etwas Reizvolles.

Ullstein / Getty

Eigentlich ist es gar nicht so schwer mit der Erleuchtung. Stan Laurel nimmt bei einem seiner berühmtesten Film-Einfälle den blossen Daumen als Feuerzeug. Schon wird es Licht. Ein Schnippen genügt. Viele Dinge, die sich der Drehbuchschreiber und Schauspieler ausgedacht hat, beruhen auf der Evidenz des Einfachen. Weil oft aber das Einfache in diesen Filmen unendlich kompliziert ist, ist die Sache auch sehr witzig.

Wie schreibt man einen Roman über den philosophischen Komiker Stan Laurel? Man stellt ihm einen ziemlich unlustigen Philosophen zur Seite: Thomas von Aquin. «Picknick im Dunkeln» heisst das neue Buch von Markus Orths, in dem ein biografischer Zeitabstand von siebenhundert Jahren zu nichts zusammenschnurrt und die Welt zur engen Kammer. Es ist eine Zwischenwelt, in der sich die beiden plötzlich finden. Ein langer, finsterer Gang, von dem man nicht weiss, wohin er führt. Ob man irgendwo wieder ans Tageslicht kommt. Ob dieser Gang ins Leben zurückführt oder ganz im Gegenteil: direkt zum Jüngsten Gericht.

Wo ist Gott?

Darüber streiten sich zwei Geister, die unterschiedlicher nicht sein können. Und das Ganze ist auch noch eine Hommage an das Filmpaar Stan und Ollie. Nur dass für Oliver Hardy hier Thomas von Aquin einspringt, der tatsächlich sehr dick gewesen sein soll. Die Todsünde der Völlerei war dem 1323 heiliggesprochenen Dominikanermönch nicht ganz fremd.

Der Schriftsteller Markus Orths.

Der Schriftsteller Markus Orths.

Yves Noir

Im Dunkeln von Markus Orths’ Roman sind Stan Laurel und Thomas von Aquin zufällig ineinandergelaufen. Nach ein paar freundlichen Worten und kurzen Erklärungen, wer man sei, tappen die beiden auf der Suche nach dem Ausgang durch ein Labyrinth aus glattpolierten Wänden. Kein Halt, nirgends. Der Philosoph beschliesst, sie seien jetzt reine Geistseelen, die der Auferstehung entgegengingen. Stan Laurel allerdings kann sich nicht erinnern, schon gestorben zu sein. Der eine glaubt, dass Gott überall ist, und der andere, dass er nirgends ist.

Existenziell betrachtet, sind Stan und Thomas ein Gegensatzpaar. Das herauszuarbeiten und dabei noch philosophisch Funken zu schlagen, hat sich «Picknick im Dunkeln» vorgenommen und landet dabei in einem etwas blutarmen Setting. «Sind Sie etwa Manichäer?», brüllt der heilige Thomas den unheiligen Stan an, weil der durchaus auch das Böse in der Welt sieht.

Ein paar Mal war er daran auch aktiv beteiligt. Einer seiner Frauen hat er im Garten sogar schon ein Grab ausgehoben. Der Mordplan wurde nur dadurch vereitelt, dass Laurel in seiner Trunkenheit selbst in die Grube fiel.

Dinge, auf die Thomas von Aquin schon aus Zeitgründen nicht gekommen wäre. Der Mann, dessen Philosophie es gelungen ist, das Leibliche mit dem Geistigen und Seelischen so zu verbinden, dass die Kirche keinen Anstoss daran nahm, war so produktiv, dass er mehreren Sekretären gleichzeitig diktierte.

Auch Sex misslingt

In jungen Jahren hat Thomas der Versuchung durch eine Dirne schon nach ein paar Versuchen widerstanden. «Picknick im Dunkeln» verdankt dieser Anekdote eine sündhaft schlecht geschriebene Sexszene, in der man den späteren Heiligen als «bellenden Berg aus Fleisch», als «krängendes Schiff, das zu kentern droht» sieht: «Kopf löst sich auf in quadratischem Blitz». Solche Quadraturen des Runden gibt es im Roman einige.

Man erfährt viel aus den Biografien der beiden Helden. Sie erzählen einander von sich, weil da unten im Finstern sonst nicht viel los ist. Man hat Zeit, aber wenig Platz, und so wird vor allem geredet. Es geht zu wie in den Dialogen des Aristoteles, des grossen Vorbilds von Thomas von Aquin. Wenn Markus Orths auch kein Aristoteles ist, so ist er doch eigentlich ein gar nicht so schlechter deutscher Schriftsteller.

Orths hat in seinen Romanen oft grosse Themen auf kleinstem Raum behandelt. Er kann Fragen der Unendlichkeit in winzige Hotelzimmer stecken («Das Zimmermädchen») oder unter eine Tarnkappe («Die Tarnkappe»). Oft geht es ums grosse Ganze und um einen Plot, der wie auf dem Reissbrett entworfen scheint, um den existenziellen Fragen nahe zu kommen.

Das geht oft gut und manchmal auch schief, aber «Picknick im Dunkeln» hat gleich mehrere Hürden zu nehmen. Der Roman muss die Ideenwelt des grossen Kirchenphilosophen Thomas von Aquin referieren und darf den anarchischen Witz Stan Laurels nicht zum Referat verkommen lassen. Das gelingt nur halb, und so spult sich die Geschichte vor allem in etwas brav zusammengesuchten Gegensätzen ab.

Ski fahren oder sterben?

Über Thomas geht die Mär, dass er seit seinem fünften Lebensjahr nicht mehr gelacht hat. Stan Laurel dagegen hat das Lachen zu seinem Beruf gemacht. Der eine sucht das Licht Gottes und der andere das der Filmscheinwerfer. Wie sie so durch das Labyrinth wandern, möchten beide den anderen auf ihre Seite ziehen. Ihn zum Lachen bringen. Oder zu Gott. Die Sache endet schliesslich dialektisch, wenn man so will. Und Stan Laurel erkennt, dass er möglicherweise doch tot ist. Ganz im Ernst.

Sein letzter Witz hat ihm nicht geholfen. Er würde jetzt lieber Ski fahren als zu sterben, soll Laurel auf dem Totenbett zu seiner Krankenschwester gesagt haben. Auf die Frage, ob er das denn könne, hat er geantwortet: Nicht wirklich, aber er könne immer noch besser Ski fahren als sterben.

Markus Orths: Picknick im Dunkeln. Roman. Hanser-Verlag, München 2020. 240 S., Fr. 33.90.

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