Amerikanische Literatur:Zwiegespräch mit Mops

Amerikanische Literatur: Der US-amerikanische Schriftsteller Scott McClanahan, Jahrgang 1978, lebt in Beckley, West Virginia.

Der US-amerikanische Schriftsteller Scott McClanahan, Jahrgang 1978, lebt in Beckley, West Virginia.

(Foto: Arsvivendi)
  • Scott McClanahan erzählt in "Sarah" vom Leben eines infantilen Narzissten, den man sofort mag.
  • Die Liebesgeschichte zwischen Scott und seiner Frau ist lustiger und trauriger als viele klassische Romanzen - und doch nur Beiwerk.
  • Eigentlich verhandelt das Buch beeindruckend die Einsicht ins tiefe Alleinsein des menschlichen Wesens.

Von Insa Wilke

Den blinden Mops beichtet Scott erst auf halber Strecke. Da hat er schon einiges auf dem Kerbholz: eine Bibelverbrennung ("Ist doch witzig"), Trunkenheit am Steuer mit heulenden Kindern auf dem Rücksitz ("Ich war der beste betrunkene Autofahrer der Welt") und einiges anderes. "Niemand zeigte, ich sah nicht", klagt er. Kein Teufel, nirgends: "Nur ich. Die ganze Hölle."

Und das ist die Hölle, die der 41-jährige US-amerikanische Schriftsteller Scott McClanahan erzählt: das Leben eines infantilen Narzissten, den man sofort mag, aber wirklich nicht als Ehemann haben will. Scotts Leben. Genauer gesagt: Scotts Leben mit Sarah. McClanahan erzählt eine klassische Liebesgeschichte. Scott liebt Sarah und Sarah liebt Scott. Zwei, die sich gegen den Rest der Welt gefunden haben, aber einer von beiden macht alles kaputt, nämlich Scott.

Diese Liebesgeschichte ist lustiger und trauriger und weitreichender als viele klassische Romanzen. Um's einmal vom Balkon zu rufen: Was für ein rasantes, amoralisches Miststück von Buch! Fiebrig und cool zugleich. Wahrhaftig. Zu Herzen gehend. Genial. Woran liegt das? Zum einen an Sarah, die so hinreißend wie keine andere die Augen verdrehen kann und das auch ausgiebig tut. Sarah hat Charakter und Witz, sie ist originell und hat Herz, sie arbeitet als Krankenschwester, ist ein bisschen durchgeknallt, bulimisch und noch im Scheidungsprozess gut abgegrenzt und ganz und gar auf Scotts Seite. "Sarah" ist definitiv eine Hymne auf Sarah, und das wird nicht kitschig, weil die Frau nicht von Scott beschrieben, sondern von ihm zitiert wird, sich also in direkter Rede meistens selbst erzählen darf. Ein ziemlich guter Trick, um nicht in der blöden Falle des nervigen männlichen Blicks zu landen.

McClanahan inszeniert hier autofiktional eine "fast soziopathische Perspektive"

Sarah und Scott zeichnen sich sowieso dadurch aus, dass sie beide die Simulation als Überlebensmethode erkannt haben und darum stets auf zwei parallel laufenden Ebenen miteinander sprechen und umgehen. Das führt zu sehr traurigen und sehr komischen Szenen und Dialogen, die noch scheiternd Innigkeit vermitteln. Ein Höhepunkt der Situationskomik ist die Szene, in der Sarah sagt: "Ich will die Scheidung", und Scott sich fragt, ob sie vielleicht nur Sex haben will, dann versucht, einen bemitleidenswerten Eindruck zu machen, um am Ende empört sein Zelt auf dem Parkplatz vor Walmart aufzuschlagen und Suizid durch Kinder-Paracetamol zu erwägen. Und Sarah? Sie verdreht die Augen.

Rasant an diesen Szenen ist das Tempo ihrer Beleuchtungswechsel. Gerade ist Scott (übrigens ein Lehrer) noch liebevoller Ehemann, dann harter Kerl, ängstlicher Trottel, Irrer. Alles aus einer Erzählstimme, nämlich seiner, und befeuert durch die Rhythmik der syntaktischen Gefüge, die inhaltliche Widersprüche parallel setzen. Eine "fast soziopathische Perspektive" ist es, die Scott McClanahan hier autofiktional inszeniert und die er in einem Interview als die originäre Sichtweise eines Schriftstellers bezeichnet hat, weil man in der Fiktion, anders als im wirklichen Leben, alle und alles gleichermaßen lieben dürfe.

Man erlebt die Lektüre von "Sarah" wie eine Fahrt mit einem dieser schnellen Katamarane, die mal über den Wellen schweben, dann wieder krass aufs Wasser knallen. Schweben klingt so: "Ich stellte mir vor, die ganze Haut der Erde aufzutrinken und all das Blut der Welt und die Geister all meiner Freunde und ich trank sogar die Luft. Ich ließ meine Kinder schmelzen und trank auch sie. Und sie schmeckten herrlich." Das ist Rausch-Literatur, William Burroughs lässt grüßen. Aber nicht nur die Beatniks sprechen hier mit, wie übrigens auch viele andere schreibende Wahlverwandte, McClanahan und sein Übersetzer sind große Leser. Man hört den Titan in solchen Zeilen summen, den Göttervater, der die Welt verschlingt, um sie zu besitzen und am Ende doch besiegt zu werden. Es ist der Gestus eines verblendeten Losers (da knallt man dann aufs Wasser) und Zeremonienmeister des letzten Bacchanals. Scott McClanahan imitiert diesen heroischen Gestus und ironisiert ihn zugleich, ohne ihn zu entwerten. Es bleibt beides gültig: die Tragödie und die Komödie. Sehr klug ist das, weil er so nicht den unsicheren Erzähler, sondern den unsicheren Leser schafft.

Ein Buch das geschrieben ist gegen die Angst vor der totalen Auflösung

Aber zurück zum Mops. Mr King tritt ziemlich genau in der Mitte des Buchs auf. Sarah schleppt ihn eines Tages ein. Mr King ist stockblind und alt, er hat Hodenkrebs, stinkt und ist räudig, Herrchen und Frauchen dann auch bald. Scotts Widerwillen erregt besonders Kings "rosa Lippenstiftpenis", der sich immer dann pulsierend aufrichtet, wenn Mr King es sich auf Sarahs Schoß bequem macht. Scotts Einstellung zum King ändert sich an einem Tag im Winter: "Ich sagte, er sei so hilflos und blind, und dann sagte ich ihm, dass auch ich ein hilfloses Geschöpf war." Das Zwiegespräch mit Mops klingt lustig, meint aber den Ernst des Lebens.

Die Liebesgeschichte ist bloß ein Deckmäntelchen. "Sarah" erzählt eigentlich vom Menschenwesen. Wie in so vielen Werken der Jahrhunderte überdauernden Weltliteratur geht es um den Abgrund der Existenz, die Vereinzelung des Menschen, die zwischen den Menschen, wie Brecht sagt, "Feindschaft zum unerreichbaren Ziel" macht. "Die Menschen sind so allein", klagt Sarah nach den langen, absurden Tagen im Krankenhaus.

Scott bekennt gleich zu Beginn seiner Erzählung, dass er nur eine Sache übers Leben wisse: "Alles wird dir weggenommen", und am Ende verliere man sich selbst. Wenn das passiert, hatte man sich aber wohl nie. Das unterscheidet Scott McClanahans Botschaft vom "Knacks", den sein Namensvetter F. Scott Fitzgerald in seinem berühmten Essay beschrieben hat. Der Niedergang in Scotts Geschichte beginnt nicht irgendwann, er vollzieht sich nicht, er ist jenseits der Liebe immer schon da. Die Einsicht ins tiefe Alleinsein jedes Menschen ist es, die Sarah und Scott scheitern lässt. Am Ende sitzen sich zwei Paare gegenüber, die kapituliert haben und wie alle anderen nur noch so tun, "als ob". Kein Schmerz mehr, kein Rausch, kein Leben.

Was noch da ist, ist ein Buch, geschrieben gegen die Angst vor der totalen Auflösung. Und als solches stellt es wiederum infrage, ob denn stimmt, was Scott übers Leben und die Liebe erzählt. Die Sollbruchstelle der menschlichen Existenz so absolut zu setzen, ist das Recht der Fiktion. Im wirklichen Leben würde man es wie Mr King machen: aufstehen und wieder gegen die Schrankwand rennen. Und ja, das wäre richtig.

Scott McClanahan: Sarah. Aus dem amerikanischen Englisch von Clemens Setz. Ars vivendi, Cadolzburg 2020, 206 Seiten, 22 Euro.

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