Serie "Welt im Fieber": USA:Ein Roadtrip durch die Zonen der Pandemie

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An einer Tankstelle in Arkansas. (Foto: Danny Johnston/AP)

Von Massachusetts nach Texas: Je weiter sie in den USA nach Süden kommt, desto unbehaglicher fühlt sich unsere Autorin damit, eine Maske zu tragen.

Gastbeitrag von Kristen Roupenian

Diese Woche sind Callie und ich von ganz oben im Land nach ganz unten gefahren. Wir reisten von Cape Cod, Massachusetts, nach Austin, Texas: 30 Stunden binnen drei Tagen, mit Pausen in Roanoke, Virginia, und Little Rock, Arkansas. Wir fuhren in getrennten Autos, vollgepackt mit allem, was wir besitzen, und neben Wasserflaschen und Brotzeit packten wir Masken und Desinfektionsmittel ein. Zuerst hatte wir vor, in Airbnbs zu übernachten, beschlossen dann aber, dass es genauso sicher und ein bisschen solider wäre, bei einer Hotelkette abzusteigen, die ihre ganze Internetseite mit Covid-19-Präventionsplänen zugepflastert hatte.

Am ersten Tag fuhren wir hauptsächlich durch den Nordosten. Ich wollte so selten wie möglich anhalten, deswegen aß ich nicht genug und vermied es, pinkeln zu gehen, bis ich fast platzte. Als wir zu dem Hotel kamen, tat mir der ganze Körper weh und in meinem Kopf war alles verschwommen. Ich war so zerstört, dass mir klar wurde, dass ich das Risiko einging, mein Auto zu Schrott zu fahren und mich selbst und andere umzubringen, also beschloss ich, mich am nächsten Tag ein bisschen zu schonen.

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Als ich ankam, sah ich, dass meine Mutter und meine Schwester mir einen Haufen Nachrichten geschickt hatte, weil sie sich Sorgen um mich machten. Sie fragten mich, durch welche Städte ich führe, weil die Proteste gegen Polizeigewalt nach dem Tod von George Floyd an einigen Orten in Ausschreitungen übergegangen waren. Zum ersten Mal an diesem Tag las ich Nachrichten und schon wieder wirkte die Startseite der New York Times wie eine Simulation in der Montage des Vorspanns zu einem Film: "Die Welt brennt". Ich hatte nichts davon mitgekriegt.

Ich fürchtete mich nicht vor Gewalt, nur vor Spott

Am nächsten Tag fuhren wir weiter nach Süden. Ich erwartete ständig, dass ein Highway von Demonstranten blockiert wäre, oder ein zertrümmertes Geschäft zu sehen, oder irgendetwas in Flammen, aber da war nichts. Als wir tiefer nach Tennessee hineinkamen, sah ich keine Masken mehr an Raststätten und Tankstellen: keiner der Kunden trug eine, nur gelegentlich ein Angestellter. Maskiert und desinfiziert und saugestresst fühlte ich mich wie ein Zeitreisender aus der Zukunft, die einzige die schon von der Apokalypse wusste.

An einer kleinen, ländlichen Tankstelle mitten in Arkansas nahm ich die Maske ab: Niemand sonst trug eine und ich fühlte mich unbehaglich und auffällig, eine tätowierte, queer aussehende, alleine reisende Frau, und ich hatte Angst vor - was? Nicht wirklich vor Gewalt - nur vor Spott, einem miesen Kommentar, stummer Verurteilung. Aber das war genug. Als wir in Little Rock im Hotel waren, stieg eine unmaskierte Frau mit uns in den Aufzug und ich war wütend auf sie, sowohl wegen ihrer Entscheidung als auch weil ich mir vorstellte, was sie über uns dachte.

Als wir nach Austin kamen, waren die Masken wieder da, weil Austin eine liberale Stadt ist, aber Geschäfte und Restaurants hatten offen, weil Texas ein konservatives Land ist. Maskiert gingen wir ins Lebensmittelgeschäft, dann besuchten wir Callies Eltern - wir gingen hinein, aber wir umarmten sie nicht. Wir luden Freunde zum Abendessen ein, aber aßen draußen und nicht vom selben Teller, bis es Chips gab, dann taten wir auch das. Unser Vermieter kam vorbei und ich vergaß für einen Moment, was in der Welt los war und schüttelte ihm die Hand. Alle Vorsichtsmaßnahmen fühlen sich hier irgendwie falsch an, wie Aberglaube oder soziale Signale, nichts was wirklich Leben retten könnte.

Die Black-Lives-Matter-Proteste gehen weiter. Die Polizei hat einem Teenager ein Gummigeschoss in den Kopf geschossen. Ein Freund von uns geht morgen auf die Demos, er hat vor, ein Schild an die Autobahnüberführung zu hängen. Ich habe überlegt ihn zu fragen, ob ich mitkommen kann, aber ich hatte Angst und habe es nicht gemacht. Stattdessen spendete ich einen Haufen Geld. Ich las Nachrichten. Ich blieb zuhause.

Aus dem Englischen von Marie Schmidt

© SZ vom 06.06.2020 / Kristen Roupenian - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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