Wer waren die Mitglieder der NSDAP?

Zeitweise wollten so viele Leute der Nazipartei beitreten, dass Hitler sie für die Allgemeinheit schliessen liess. Rund zehn Millionen Menschen wurden bis 1945 aber aufgenommen – der Politologe Jürgen W. Falter untersucht den sozialen Hintergrund dieser «Parteigenossen».

Florian Keisinger
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Die Frauenquote in der NSDAP war anfänglich gering, stieg aber nach 1939 auf 40 Prozent an.

Die Frauenquote in der NSDAP war anfänglich gering, stieg aber nach 1939 auf 40 Prozent an.

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Zu den Vorzügen dieses Buches gehört, dass sein Verfasser, der Mainzer Parteienforscher Jürgen W. Falter, nicht mit der Tür ins Haus fällt, sondern erst einmal den Zahlen und Fakten den nötigen Raum gibt. Das ist, man muss es leider sagen, keine Selbstverständlichkeit. An die Stelle der einst von Reinhart Koselleck ausgeleuchteten Standortgebundenheit des Historikers, die es nicht zuletzt durch kritisches Quellenstudium aufzubrechen gilt, tritt immer häufiger auch in den europäischen Geistes- und Sozialwissenschaften ein Subjektivismus, bei dem das normativ Gewünschte über dem wissenschaftlichen Erkenntnisinteresse zu rangieren scheint. Eine fundierte empirische Grundlage kann sich da schnell als lästig erweisen.

Nicht so bei Falter. Für seine Untersuchung der Mitgliederstruktur der NSDAP haben er und sein Team rund 52 000 Sozialdatensätze von NSDAP-Mitgliedern ausgewertet; 42 000 davon aus der Zeit vor 1933, 10 000 aus den Jahren bis 1945. Berücksichtigt wurden zudem Befragungen nach den Beitrittsmotiven, die nach Kriegsende durchgeführt worden waren, sowie Stichproben der Entnazifizierungsakten.

Bis zum Kriegsende waren rund 10,2 Millionen Deutsche der NSDAP beigetreten, von denen 760 00 wieder austraten, gut 520 000 verstarben und 80 000 ausgeschlossen wurden. Im Jahr der Machtübernahme 1933 belief sich die Zahl der Mitglieder auf rund 900 000, um dann, wenig überraschend, sprunghaft anzusteigen. Um den Andrang logistisch zu bewältigen, wurde die Partei zwischen Mai 1933 und April 1937 und später nochmals ab Februar 1942 für die Allgemeinheit geschlossen.

Aber auch ideologisch gab es Bedenken: Hitler wollte die NSDAP als Nukleus seiner – wie er es weiterhin sah – revolutionären Bewegung nicht durch Mitläufer und Opportunisten verwässern. Das führte dazu, dass während der Jahre der Schliessung lediglich verdiente Aktivisten aufgenommen wurden, etwa aus den Reihen der Hitlerjugend (HJ) oder des Frontkämpferbundes. Wobei Falter darauf hinweist, dass es den im Nachgang gerne angeführten Automatismus beim Übergang von der HJ in die NSDAP nie gegeben habe: Die Parteimitgliedschaft wurde erst durch die Unterschrift sowie die persönliche Entgegennahme der Mitgliedskarte gültig.

Ab 1933 mehr Beamte

Dass die NSDAP mit einer Frauenquote von nur 6 bis 8 Prozent in den frühen Jahren – nach Kriegsbeginn stieg sie allerdings auf 40 Prozent an – männlich dominiert war, ist bekannt, im Vergleich mit anderen Parteien der Weimarer Republik aber auch nicht ungewöhnlich. Spannender ist die soziale Struktur: 40 Prozent der Mitglieder waren Arbeiter, primär aus Bereichen, die von einer protektionistischen Binnenwirtschaft profitierten (Stahl und Kohle); für Mitarbeiter exportorientierter Industrien (Chemie, Elektro) war die Partei hingegen weniger attraktiv.

Die Zahl der Eintritte von Beamten stieg ab 1933 rasant, sprich ab dem Moment, da die NSDAP zur staatstragenden Partei avancierte. Opportunismus und Karriereambitionen dürften hier ebenso eine Rolle gespielt haben wie das Gefühl, nun endlich die wahren politischen Sympathien offen kundtun zu können.

Apropos Opportunismus: Opportunist war einerseits der karriereorientierte Angestellte oder Beamte, der sich dem neuen System andiente, andererseits aber auch der Familienvater, der versuchte, seine Tochter vor der drohenden Euthanasie zu bewahren, und deswegen der NSDAP beitrat; oder der Chefarzt, der es auf Drängen seiner Kollegen tat, um die Schliessung seiner Abteilung abzuwenden. Die Motivlage war also durchaus vielgestaltig, und zu Recht legt Falter hier Wert auf Differenzierung.

Erhellend sind auch die Ausführungen zur Altersstruktur. Falter zeigt, dass es nicht die zwischen 1880 und 1900 geborenen Frontkämpfer des Ersten Weltkrieges waren, die das Rückgrat der NSDAP bildeten, sondern die Geburtenjahrgänge 1900 bis 1915, die den Krieg meist nur vom Hörensagen kannten und deren politische Sozialisierung in die ebenso entbehrungsreiche wie radikalisierte Nachkriegszeit fiel. Selbst bei der sogenannten Alten Garde, den vor 1933 Beigetretenen, war die Frontkämpfergeneration unterrepräsentiert, was die verbreitete Annahme einer direkten Linie vom «Schützengrabensozialismus» zur nationalsozialistischen Volksgemeinschaft widerlegt.

Rund 10 Prozent sind dabei

Pointiert nennt Falter die NSDAP eine «Zweigenerationenbewegung mit Volksparteicharakter». Das schliesst Ausschläge in die eine oder andere Richtung freilich nicht aus. Den mit Abstand grössten Zulauf erhielt die Partei nach dem österreichischen «Anschluss» 1938 im Sudetenland: Bis 1945 trat ihr dort rund ein Viertel der erwachsenen Bevölkerung bei (die Mitgliederquote im Gesamtreich lag bei knapp 10 Prozent). Die geringste Resonanz hingegen fand die Nazipartei unter grossstädtischen Sozialisten – wobei es auch hier regionale Unterschiede gab, das «rote» Berlin und Wien waren resilienter als zum Beispiel Hamburg – sowie bei der katholischen Landbevölkerung im Süden und im Westen Deutschlands und in Österreich.

Wie bereits in der Studie «Hitlers Wähler» (1991) und im Sammelband «Junge Kämpfer, alte Opportunisten» (2016), einer Gemeinschaftsarbeit des Mainzer Forschungsverbundes zur NSDAP-Geschichte, zeigt Falter auch in seiner quellenstarken Synthese zur Mitgliederstruktur der NSDAP, wie erschreckend heterogen und tief verankert die Gefolgschaft der Deutschen gegenüber Hitler war.

Jürgen W. Falter: Hitlers Parteigenossen. Die Mitglieder der NSDAP 1919–1945. Campus-Verlag, Frankfurt am Main 2020. 584 S., Fr. 49.90.

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