Die Spione der Nazis in den USA: Ein kleines Rädchen wird im Komplott der Mächtigen zermalmt

Der Grossonkel der Schriftstellerin Ulla Lenze geriet 1941 in New York in die Fänge der Spionageabwehr. Nun wird er zur Romanfigur.

Paul Jandl
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Es war ein grosses Ding, das am 29. Juni 1941 in New York aufflog. Dreiunddreissig deutsche Spione wurden an diesem Tag auf amerikanischem Boden enttarnt. Unter der Führung von Frederick «Fritz» Joubert Duquesne hatten sie in den Jahren zuvor Sabotageanschläge verübt und ihre Berichte ans Deutsche Reich gefunkt. Im Spionagering, der aus deutschen Emigranten bestand, gab es auch einige Mitläufer. Kleine Fische. Einer von ihnen hiess auch so: Klein. Josef Klein.

Dass seine Geschichte nach fast achtzig Jahren zum Romanstoff wird, ist kein Zufall. Josef Klein war der Grossonkel der deutschen Schriftstellerin Ulla Lenze. Man könnte sich skrupulöse Rücksichten auf die Familienhistorie denken, die es erschweren, aus dieser realen Vorlage einen Roman zu machen, aber «Der Empfänger» hat keine Skrupel. Die rasante Erzählung des Buchs hält sich an Privates, in dem das Politische kulminiert. Gerade weil Josef Klein nur ein Rädchen im Komplott der Mächte war, wird seine Biografie im Roman noch einmal gross: als explosive Geschichte des Zweifelns und Zauderns. Als Thriller zwischen dem biederen deutschen Neuss und New York.

Auch zeitlich springt der Roman hin und her. 1949 ist Josef Klein nach langer amerikanischer Gefangenschaft zurück in der deutschen Heimat. Im zerbombten Neuss hat sein Bruder Carl einen bescheidenen Seifengrosshandel aufgebaut und lebt mit seiner Frau und zwei Kindern. Es ist eine seelenlose Bürgerlichkeit, in der nach den Erfahrungen des Krieges eine Normalität simuliert wird, die Josef fremd ist.

Die Schriftstellerin Ulla Lenze erzählt die Geschichte ihres Grossonkels als Roman.

Die Schriftstellerin Ulla Lenze erzählt die Geschichte ihres Grossonkels als Roman.

Julien Menand

Nichts war normal in seinem Leben. 1925, mit Anfang zwanzig, ist er ins vermeintlich reiche Amerika geflüchtet, wo sein Geld nicht gereicht hat. In New York liefert er für eine Druckerei politische Flyer aus und gerät dabei an Bewegungen, die Slogans haben wie «America for White People». Josef wohnt in Harlem und geht dort in die schwarzen Jazzklubs. Statt Freunde hat er sinistre Bekannte, die mit Hitlerdeutschland sympathisieren. Ominöse Hintermänner werben ihn an, weil er ein Funkgerät hat. Klein funkt verschlüsselte Nachrichten nach Deutschland, die er nicht versteht.

Überhaupt versteht er vieles nicht. Das Leben nicht und nicht die Menschen. Er kennt nur ein Buch. Ein Buch der Einsamkeit: Henry David Thoreaus «Walden». Das amerikanische FBI ist es dann, das Josef Klein über sein Tun aufklärt. Über den Krieg und den Zustand der Welt. 1941 wird er verhaftet und sitzt für Jahre auf Ellis Island, wo 1925 alles für ihn begonnen hat. 1949 dann noch einmal ein Neuanfang. Der Weg von Neuss ins Nachkriegs-Exil. Nach Argentinien. Nach Costa Rica.

Prügel für ein ganzes Leben

Die Elastizität von Ulla Lenzes Sprache sorgt dafür, dass der Roman Thriller und Seelenporträt zugleich sein kann. An den besten Stellen wirkt die Innenwelt der Figuren nicht weniger gefährlich als das New Yorker Nachtleben, und Lenze macht aus den Bars der Deutschenviertel oder von East Harlem eine grossartige Kulisse für dieses psychologische Doppelspiel. Josef Klein, der Funker, ist wie erfunden für dieses Setting. Er, dessen Gefühlswelt so geheimsprachenhaft kryptisch ist, dass sie erst einmal selbst entschlüsselt werden müsste, ist ein perfekt unheroischer Held.

In der Kindheit wurde der 1903 Geborene vom Vater auf Vorrat geprügelt. Ein Vorrat, der für das ganze Leben reichen sollte. Wenn Klein in seiner winzigen Harlemer Wohnung erwacht, dann ist der Vater die schemenhafte Gestalt seiner Albträume. Bei den Geschäften des Tages gibt es väterlich brutale Gestalten wie den deutschen Exil-Nazi Schmuedderich, der in New York die Fäden des Bösen zieht und nach dem Krieg in Argentinien schon wieder in einer Villa sitzt. Umgeben von anderen unverbesserlichen Nazis, die einen Umsturz in Deutschland vorbereiten.

Josef Klein ist ein Nichts dagegen. Mutlos und sprachlos. Das Funken ist die Sprache dieses schweigsamen Mannes. Seine Signale gehen in eine Welt hinaus, die aus rauschender Anonymität besteht und einem speziellen Funker-Ehrenkodex folgt: dass man sich vor den Ohren der anderen Horcher nichts Privates erzählt. Eine junge Frau mit dem Kürzel W2DKJ tut es eines Nachts dennoch, und das ist der feingesponnene Beginn einer Romanze zwischen ihr und Joe Klein.

Lauren, das unerschrockene Hotelierstöchterchen aus den Catskill Mountains, das irgendwann einmal studieren möchte, ist Joes Gegenbild. Jung und belesen. Entschlossen und weltoffen. Sie will ihren Freund bessern, ohne dass er überhaupt wüsste, was an ihm schlecht sein soll. Lauren demonstriert gegen die amerikanischen Hitler-Sympathisanten, wird Krankenschwester und ist moralisch auf der Seite des Lichts. Die im Dunkeln sind, sieht man auch.

Die Kunst des Verschwindens

Das Gespenstische an «Der Empfänger» ist eine Aktualität, die aber niemals deutlich ausgestellt wird. Die Aufmärsche und Veranstaltungen der amerikanischen Nazis ähneln den heutigen Veranstaltungen der Alt-Right-Bewegungen. Es ist das Krakeelen sektenhafter Verschwörungstheoretiker und christlicher Fundamentalisten, das bis in die Gegenwart weiterhallt. Allerdings sieht heute die Welt ganz anders aus als in den dreissiger Jahren des letzten Jahrhunderts.

«Der Empfänger» morst die Zeichen der Vergangenheit in die Gegenwart. Im Äther des Politischen bleibt alles für immer da. Von Josef Klein ist ein Bündel Briefe geblieben, die er seinem Bruder geschrieben hat. Und jetzt gibt es einen ganzen, hoch sensiblen Roman über einen Menschen, der nicht viele Gefühle kannte. Ausser einem: «das lebenswichtige Gefühl des Verschwindenkönnens».

Ulla Lenze: Der Empfänger. Roman. Klett-Cotta-Verlag, Stuttgart 2020. 302 S., Fr. 33.90.

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