Gerald Orthen – Trümmerschatten (Buch)


Ein Kommissar-Anwärter löst den Fall

In der Nacht vom 3. auf den 4. November 1949 hat der Kommissar-Anwärter Eugen Kranzel von der Mordkommission der Kripo Bonn Dienst. Kurz bevor die ereignislose Schicht zu Ende geht, erhält er einen Anruf des Dorfpolizisten Fuhrmann aus dem kleinen Kirchhofen bei Siegburg. Ein Mann wurde erschlagen und da Kommissar Manfred Bräuer wegen seiner Alkoholprobleme nicht zum Dienst erscheint, muss der unerfahrene Anwärter selber ran. Dabei gestaltet sich die Anreise zum Tatort schwierig, denn nach dem Krieg sind die Bonner Rheinbrücken zerstört und aufgrund der widrigen Wetterlage verweigert der Fährmann die Überfahrt. Zurück auf der Wache erfährt Kranzel, dass die Leiche bereits angekommen sei. Ein erster Befund ergibt, dass es sich bei dem Opfer um den Dorflehrer Kurt Kottowski handelt, der brutal erschlagen wurde.

Als Kranzel später in Kirchhofen eintrifft, stößt er zunächst auf Widerstand bei Fuhrmann. Der will sich von dem Grünschnabel keine Fehler vorwerfen lassen, wenngleich er bereits am Tatort ein wenig aufgeräumt hat. Erste Befragungen ergeben, dass der Lehrer im Dorf höchst unbeliebt war. Er war – frei nach dem neuen Grundgesetz – für katholische, evangelische und bekenntnisfreie Schulen, was den Argwohn der durchweg katholischen Dörfler befeuerte; nicht nur mit dem Pastor lag er deswegen über Kreuz. Für die Dorfgemeinschaft ist der Fall bereits geklärt; ein Landstreicher, der am Tatort, einem Schafstall, bislang übernachtete ist spurlos verschwunden. Doch auch der jugendliche Sohn des Ermordeten macht sich verdächtig, da er nach einer ersten Befragung versucht, sich mit einer Offizierspistole zu erschießen.

“Nun, der Tatort, die Tatzeit und die Beweismittel legen nahe, dass der Landstreicher den Lehrer im Streit erschlug und dann in der Winternacht verschwand. Der Sohn des Opfers ist aber gleichermaßen verdächtig.”
“War es zwingend einer von beiden?”
“… nun also, die sind schon beide sehr, sehr verdächtig. Einer hat das Tatwerkzeug gekauft und war zur passenden Zeit wohl vor Ort, der andere hatte Heu und Stroh am Schuh und hat durch sein Verhalten quasi die Schuld eingestanden.”
“Quasi. – Und weiter nichts?”
“Was heißt nichts, also … rein theoretisch könnte es auch ein Dritter gewesen sein … Mögliche Tatmotive in andere Richtungen gibt es durchaus.”

Gemeinsam mit Kommissar Bräuer, der dann später doch noch am Geschehen teilnimmt, führt eine weitere vielversprechende Spur zu einer Skatrunde, die sich seit Jahr und Tag immer donnerstags pünktlich um 19 Uhr in der Dorfkneipe trifft. Warum kamen dieses Mal alle Spieler außer Fuhrmann zu spät? Ein Streit mit Kottowski war die Ursache, aber blieb es nur bei verbalen Drohungen? Und selbst ins Rathaus führt eine interessante Spur, denn auf einem ehemaligen Mühlengrundstück soll eine Zellstofffabrik entstehen und mit Hilfe des Marshallplanes Wohlstand nach Kirchhofen bringen. Und wo gebaut werden soll, bedarf es geeigneter Grundstücke, die schon seit jeher eine lukrative Einnahmequelle darstellten …

Dass die Ermittlungen nicht immer rund laufen, ist der Unerfahrenheit des Protagonisten geschuldet. Ich-Erzähler Eugen Kranzel erzählt den Fall aus seiner Sicht und streut dabei manch‘ unwesentliche Kleinigkeiten ein, die seinem Alter – er ist 26 Jahre jung – nachzusehen sind. Der Plot ist vielschichtig, bietet einige Verdächtige und bietet so dem Leser die Gelegenheit, den Ermittlern bei der Identifizierung des Mörders zuvorzukommen. Von Kranzel erfährt man, dass er die große Liebe gefunden zu haben scheint, allerdings steckt diese noch in den Anfängen und ist nicht ganz problemfrei. Denn bei seiner Auserwählten handelt es sich um Lucy, eine schwarze US-Amerikanerin, die sicherlich eine bessere Partie finden könnte, als den armen Anwärter. Viel mehr erfährt man über den Protagonisten kaum, gleiches gilt für Kommissar Bräuer. Eine Ehefrau scheint es nicht zu geben, die Tochter gilt als vermisst (immerhin hierzu erfolgt eine “Auflösung”). Ansonsten ist Alkohol sein Lebenselixier. Neben dem Krimiplot wird die unheimliche, miefig-spießige Atmosphäre des (fiktiven) Dorfes gekonnt eingefangen. Die Auswirkungen der Nachkriegszeit sind noch immer spürbar und so müssen sich auch Kranzel und Bräuer mit dem mörderischen Geschehen der Nazizeit kurz vor Kriegsende befassen.

Dass die Handlung von Gerald Orthens Debüt am 3. November 1949 beginnt, dürfte dem Umstand zu verdanken sein, dass an diesem Tag Bonn und nicht Frankfurt am Main zur vorläufigen Bundeshauptstadt gewählt wurde. So erhält die Geschichte noch ein wenig zeithistorisches Wissen. Die Rolle der Alliierten hätte allerdings etwas größer ausfallen können, denn diese haben nur einen einmaligen, sehr kurzen “Gastauftritt”. Insgesamt ist “Trümmerschatten” ein gelungenes Debüt, welches sprachlich einfach gehalten ist, was aber zu der jungen Hauptfigur durchaus passt. Das Ende bietet zudem Möglichkeiten für eine Fortsetzung, welche die Ermittler sogar städteübergreifend in Bonn und Köln ermitteln lassen könnte.

Cover © Gmeiner

  • Autor: Gerald Orthen
  • Titel: Trümmerschatten
  • Verlag: Gmeiner
  • Erschienen: 09/2020
  • Einband: Taschenbuch
  • Seiten: 312 Seiten
  • ISBN: 978-3-8392-2667-1
  • Sonstige Informationen:
    Produktseite
    Erwerbsmöglichkeit

Wertung: 11/15 dpt


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