Bitte keine Kritik, wir sind eine Hochschule! Wie Wissenschaftskommunikation zu Imagepflege wird – und warum

Wissenschaft werde nicht mehr öffentlich diskutiert, sondern gefeiert, kritisiert der Schweizer Soziologe Urs Hafner in seinem neuen Buch. Dabei bleibe das Wissen auf der Strecke, das für die Gesellschaft ¨heute wichtig wäre.

Thomas Ribi
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Forschung kann im Dienst der Öffentlichkeit stehen, etwa bei der Corona-Forschung. Aber es greift zu kurz, sie allein nach dem Nutzen zu beurteilen, den sie der Gesellschaft bringt.

Forschung kann im Dienst der Öffentlichkeit stehen, etwa bei der Corona-Forschung. Aber es greift zu kurz, sie allein nach dem Nutzen zu beurteilen, den sie der Gesellschaft bringt.

Annick Ramp / NZZ

Vielleicht besteht der grösste Irrtum über die Wissenschaft darin, zu glauben, sie mache die Welt einfacher. Das Gegenteil ist der Fall. Wissenschaft erklärt Phänomene, aber sie macht die Welt komplizierter. Darin besteht, genau genommen, sogar ihre Aufgabe. Wissenschafter stellen Fragen, von denen sie wissen, dass sie keine Antworten auf sie haben. Sie suchen Erklärungen für Phänomene, die sie nicht verstehen.

Und wenn sie eine Erklärung gefunden haben, geben sie sich damit nicht zufrieden, sondern suchen nach einer Erklärung für die Erklärung. Sie misstrauen jeder Lösung, weil sie wissen, dass in der Wissenschaft jedes Resultat nur vorläufig sein kann. Es gilt, solange es sich nicht als falsch erweist. Weil jemand andere Fragen stellt und damit zu anderen Resultaten kommt.

Eine Lösung und drei neue Fragen

Natürlich ist die Geschichte der Wissenschaft eine Erfolgsgeschichte. Aber sie ist auch die Geschichte einer dauernden Widerlegung von Gewissheiten. Mit dem Wissen wächst das Wissen um die Grenzen des Wissens. Und das Bewusstsein dafür, dass wir diese Grenzen verschieben, aber nie aufheben können. Wir bauen «Inseln zuverlässigen Wissens im Ozean menschlichen Nichtwissens», wie der Soziologe Norbert Elias gesagt hat. Aber das Wissen von heute ist oft nur der Irrtum von morgen.

Das macht es so schwer, der Öffentlichkeit zu vermitteln, was Forscherinnen und Forscher tun. Das Wissen, das die Wissenschaft generiert, ist komplex, hochspezialisiert, ohne Voraussetzungen nicht zu verstehen. Aber es ist das Wissen der Gesellschaft – allein deshalb, weil es in den weitaus meisten Fällen an öffentlich finanzierten Forschungsinstitutionen erarbeitet wurde.

Die Universitäten und Fachhochschulen stehen unter grossem Druck, sich für die Milliardenbeiträge zu rechtfertigen, mit denen sie von der öffentlichen Hand unterstützt werden – und müssen sich in ein gutes Licht stellen, um von privater Seite Drittmittel zu bekommen. Das habe den öffentlichen Diskurs über Wissenschaft grundlegend verändert, konstatiert der Soziologe Urs Hafner in seinem neuen Buch «Forschung in der Filterblase», das sich der Wissenschaftskommunikation der Schweizer Hochschulen widmet.

Imagepflege statt Dialog

Hafner zeigt auf, wie Schweizer Hochschulen ihre Kommunikation organisieren. Und stellt fest: Da sei von Forschungserfolgen und laufenden wissenschaftlichen Projekten die Rede, aber es gehe mehr und mehr nur noch um Imagepflege für die Institutionen. Man schiele auf den Beifall der Öffentlichkeit, Grundsatzfragen und Kritik seien sei unerwünscht. Im Mittelpunkt stehe nicht mehr die Sache, sondern die Hochschule – eine Tendenz, die sich laut Hafner verstärkt, seit die Kommunikation vermehrt über Social Media geführt wird.

Eine öffentliche Debatte über Bedeutung und Relevanz der Forschung ist unter diesen Bedingungen kaum mehr möglich, weil ausserhalb der Forschungsinstitutionen die Kompetenz dafür verloren gehe, zum Beispiel in den Medien. Unter dem Zwang, Kosten zu senken, leisteten sich nur noch wenige Medien kompetente Wissenschaftsredaktionen.

Ein Dialog zwischen Forschung und Öffentlichkeit, der in einer demokratischen Gesellschaft unabdingbar wäre, könne so nicht mehr geführt werden, kritisiert Hafner. Mit fatalen Folgen, auch für die Wissenschaft: Die Kommunikation konzentriere sich auf Themen, die leicht fasslich seien und direkten Nutzen versprächen – zulasten der Grundlagenforschung und der Geisteswissenschaften.

Dabei hätte die Wissenschaft in einer Welt, in der Fake-News und Verschwörungstheorien ins Kraut schiessen, eine wichtige Aufgabe, wie Hafner betont: zu zeigen, wie Forschung funktioniert. Dass Fakten von Menschen gemacht sind und nie zur Glaubensangelegenheit werden dürfen. Und dass Wissenschaft vor allem eines heisst: Fragen stellen.

Urs Hafner: Forschung in der Filterblase. Die Wissenschaftskommunikation der Schweizer Hochschulen in der digitalen Ära. Hier-und-Jetzt-Verlag, Baden 2020. 207 S., Fr. 37.90.