Eine Villa in Dahlem

Andreas Schäfers beeindruckender Roman „Das Gartenzimmer“ verfolgt die Geschicke der Bewohner eines Berliner Hauses

Von Martin GaiserRSS-Newsfeed neuer Artikel von Martin Gaiser

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Kann ein Haus, ein Gebäude seine Bewohner beeinflussen? Ändert sich das Verhalten eines Menschen, die Beziehung zu seinen Mitmenschen und seiner direkten Umgebung durch das Haus, in dem er lebt? Welche Macht, welche Auswirkungen hat Architektur auf den Menschen? Das mag etwas verblasen und esoterisch klingen, doch diesem Phänomen spürt Andreas Schäfer in seinem neuesten Roman Das Gartenzimmer nach. Der Autor spannt einen weiten Bogen, von 1908 bis 2013. Im Zentrum dieser mehr als einhundert Jahre steht ein Haus in Dahlem, die sogenannte Villa Rosen, erbaut vom später weltweit tätigen Architekten Max Taubert. Andreas Schäfer hat ihn an die reale Figur des Max Taut angelehnt, einen deutschen Architekten, der mit seinem Bruder Bruno ab den zehner Jahren des 20. Jahrhunderts in Berlin als Architekt mit eigenem Büro tätig war.

Dieser Max Taubert baut im Auftrag des Philosophieprofessors Adam Rosen und dessen Frau Elsa ein Haus, das anders ist, moderner, als die Häuser jener Zeit. Die Villa Rosen wird für einige Jahre zum Treffpunkt vielfältiger gesellschaftlicher und kultureller Anlässe, vor allem Elsa Rosen bemüht sich immer wieder, Taubert und dessen Frau Lotta in das von beiden liebevoll „Hüttchen“ genannte Haus einzuladen und sie gesellschaftlich zu integrieren. Doch die Ehe der Tauberts ist problematisch, auch die Geburt von Zwillingen lässt Max nicht ruhiger werden, weswegen der Kontakt zu den Rosens nahezu zum Erliegen kommt. Beinahe 90 Jahre später erwerben der Generikafabrikant Frieder Lekebusch und seine Frau Hannah die Villa Rosen und lassen sie aufwändig und unter Berücksichtigung aller Denkmalschutzbedingungen behutsam renovieren – das Haus stand lange leer, wurde zuletzt von der Stadt Berlin und der Universität genutzt, die Lekebuschs sind somit nach den Erbauern der Villa erst die zweiten Bewohner.

Immer wieder vertieft sich Andreas Schäfer in einzelne Räume, beschreibt die Wirkung des Lichts im Haus, betont die besondere Lage und den das Haus umgebenden Garten – es ist erstaunlich mit welcher Sicherheit er dieses imaginäre Bauwerk in Details zu schildern imstande ist, möglicherweise hat er andere Häuser und Villen besichtigt, um ein Gefühl für die Eigenart der Villa Rosen zu bekommen. Und wie bei literarischen Beschreibungen von Musik oder Kunstwerken möchte man auch hier die sinnliche Erfahrung selbst machen, möchte Bilder der Villa sehen, Zeichnungen, Entwürfe, oder besser noch: man möchte es sehen, betreten. Das allerdings möchten manche Personen im Roman eher nicht, denn die eingangs geschilderte diffuse Wirkung des Gebäudes macht z. B. Luis, dem Sohn der Lekebuschs, zu schaffen, weswegen er sein Zimmer kaum verlässt. Hannah Lekebusch dagegen ist in ihr neues Haus ganz verliebt, sie sieht sich bereits im Zentrum gesellschaftlicher Soiréen, möchte Führungen durch die berühmte Taubert-Villa anbieten und führende Feuilletonisten und Fachleute in ihr Haus locken.

Schäfer zeigt an den Lekebuschs erneut auseinanderdriftende Eheleute, offenbar wollten Frieder und Hannah sehr unterschiedliche Dinge und die Villa war nicht das verbindende Element. Doch Andreas Schäfer hat weit mehr als eine Geschichte um fragile Beziehungen und problematisches Miteinander entworfen, mit ruhiger Hand und sicherem Gespür für Dramatik stellt er das titelgebende Gartenzimmer ins Zentrum.

Bereits 1934, Adam Rosen ist gestorben, die verwitwete Elsa lebt alleine in der Villa, nur ihre treue Bedienstete Liese geht ihr zur Hand, gibt es erste Begehrlichkeiten der Nationalsozialisten in Person des NS-Chefideologen Alfred Rosenberg. Der zum servilen Lakaien verkommene Max Taubert schleppt ihn an in seiner Not, noch als Architekt arbeiten zu dürfen, und in der Hoffnung, von Elsa Rosen in diesem Ansinnen unterstützt zu werden. Mit der Dreistigkeit der Macht ausgestattet, vordergründig jedoch charmant und höflich, drängt dieser Mann in Elsas Haus, verängstigt sie mit seinen kaum verhohlenen Drohungen. Und tatsächlich muss sie das Gartenzimmer abgeben, darf sich fortan im eigenen Haus nicht mehr ungehindert bewegen.

Von dieser dramatischen Zeit und einem damit verknüpften Geheimnis wird Elsa Rosen später in einem Brief an Lotta Taubert Zeugnis ablegen. Wiederum mehr als 60 Jahre später wird eben jener Brief, der auf abenteuerliche Weise den Weg in die Familie Lekebusch gefunden hat, zu heftigen Anwürfen und Zwistigkeiten führen. Luis konnte nicht wissen, was alles in diesem Haus geschehen ist, doch sein Unwohlsein in der Villa Rosen hatte eine mögliche Ursache.

Das Gartenzimmer besticht durch eine Vielzahl überzeugend beschriebener Figuren, durch historisch fundierte Geschehnisse und durch eine Atmosphäre, vor allem in der und um die Villa Rosen, die von großer Intensität und Wahrhaftigkeit ist. Andreas Schäfer hat eine ungewöhnliche Erzähltechnik entwickelt: ein Tag im Mai des Jahres 2001 dient ihm als roter Faden. Dieser Tag verändert sehr viel, weswegen der Autor fast alle Personen des Buches und ihre Sicht auf die Dinge in diesem Tag kulminieren lässt. Abwechselnd zu den Kapiteln um jenen Maitag gruppiert er die historischen Ereignisse, beginnend im Jahr 1908 und endend mit Lotta Tauberts Tagebuch im Herbst 1945, um dann noch Ausflüge in die jüngste Zeit (bis 2013) zu machen. Heraus kommt eine fesselnde Lektüre, vielseitig, feinfühlig und sehr anregend.

Titelbild

Andreas Schäfer: Das Gartenzimmer. Roman.
DuMont Buchverlag, Köln 2020.
352 Seiten, 22,00 EUR.
ISBN-13: 9783832183905

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