Mieko Kawakami: "Brüste und Eier"

Weltliteratur über Weiblichkeit

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Cover von Mieko Kawakamis „Brüste und Eier“ vor Deutschlandfunk Kultur Hintergrund.
Wie die Romane ihres Landsmannes Haruki Murakami zählt Kawakamis "Brüste und Eier" zu jener neuen Weltliteratur, deren kulturell spezifische Motive in jedem Land verstehbar sind. © Dumont / Deutschlandradio
Von Ursula März · 26.09.2020
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Der Titel klingt reißerischer, als der Roman ist. "Brüste und Eier" der japanischen Autorin Mieko Kawakami erzählt von Armut, Ausbeutung und patriarchaler Herrschaft. Er entwirft eine Phänomenologie heutigen Frauseins.
Der deutsche Titel "Brüste und Eier" ist reißerischer als der Inhalt dieses Romans. Zudem suggeriert er, es ginge um beide Geschlechter. Tatsächlich treten Männer nur im Hintergrund auf, als gewalttätige Väter, nutzlose Ehemänner oder potenzielle Samenspender. Ein Frauenroman ist "Brüste und Eier" der 1976 in Osaka geborenen Schriftstellerin Miekeo Kawakami nicht nur, weil die Hauptfiguren durchweg weiblich sind. Sondern auch, weil sich die Geschichte als Phänomenologie heutigen Frauseins entfaltet.
Der erste, zunächst als eigenständige Novelle veröffentlichte Teil des Romans spielt 2008 in Tokio. Die Ich-Erzählerin Natsuko, eine 30-jährige erfolglose Schriftstellerin, die sich mit Zeitungskolumnen und Gelegenheitsjobs durchschlägt, erhält Besuch von ihrer älteren Schwester und ihrer 12-jährigen Nichte. Beide leiden in und an ihrem Körper. Die Schwester ist besessen von der Idee, sich die Brüste vergrößern zu lassen, nachdem sie sich schon einer schmerzhaften Prozedur unterzogen hat, um ihre Brustwarzen rosafarben zu bleichen. Die pubertierende Tochter fürchtet und ersehnt die erste Menstruation.

Groteske Begegnungen

Diesen Themenkomplex weiblicher Körperlichkeit setzt der zweite, umfangreichere Romanteil fort. Acht Jahre sind vergangen, Natsuko hat sich als Romanautorin etabliert und ist aus ihrer heruntergekommenen Wohnung in ein Appartement in einem besseren Stadtteil von Tokio umgezogen. Nach wie vor entschlossen, als asexuelle Frau zu leben, wünscht sie sich dennoch ein Kind und sucht nach Mitteln und Wegen, durch eine künstliche Befruchtung Mutter zu werden. Die gesellschaftlichen Widerstände, denen sie dabei begegnet, scheinen unüberwindbar zu sein. Die Erfüllung des Kinderwunsches entwickelt sich zur Odyssee abgründiger Situationen und grotesker Begegnungen.
Mieko Kawakami arbeitet die unfreiwillige Verstrickung ihrer Protagonistin zwischen Tradition und Emanzipation mit boshaftem Witz und gedanklicher Schärfe heraus. Aber sie beschränkt sich nicht darauf. "Brüste und Eier" ist nicht zuletzt ein Gesellschaftsroman, der Japan aus einer ungewohnten Perspektive in den Blick nimmt, der prekärer wirtschaftlicher Verhältnisse.

Universeller Frauenroman

Die Mutter von Natsuko hat sich als Animierdame in einem ärmlichen Amüsierviertel von Osaka zu Tode geschuftet. Natsukos Schwester schlägt aus Not den gleichen Weg ein. So beruht die Kompromisslosigkeit des Romans keineswegs nur auf der unverblümten Benennung körperlicher Tatsachen, sondern mindestens so sehr auf der Darstellung von Armut, Ausbeutung und patriarchaler Herrschaft.
Wie die Romane ihres Landsmannes Haruki Murakami zählt Kawakamis "Brüste und Eier" zu jener neuen Weltliteratur, deren kulturell spezifische Motive in jedem Land verstehbar sind. Mögen Teezeremonien auch typisch japanisch sein – der Optimierungsdruck, der auf Frauen und ihren Körpern lastet, ist es sicherlich nicht. Mieko Kawakamis meisterliche Erzählung von Weiblichkeit in der Postmoderne erweist sich als universeller Frauenroman.

Mieko Kawakami: "Brüste und Eier"
Aus dem Japanischen von Katja Busson
Dumont Verlag, Köln 2020
496 Seiten, 24,70 EUR

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