Begegnungen in der Autofiktion II

Für Annie Ernaux und Ben Lerner – two kinds of blues. Von Jan Wilm

Online seit: 25. November 2020
Ben Lerner © Ariana Mangual / SV
Ben Lerner: „Nichts ist ein Klischee, wenn man es selbst erlebt.“ Foto: Ariana Mangual / SV

Ich war gerade dabei, meinen Vater zu hassen, als er starb. Der Raureif hatte das Gras am Straßenrand geweißt, geweiht, das Streusalz hatte den Asphalt kalkig und fahl gemacht, den Asphalt, auf dem mein Vater starb. Die Meteorologie sagte, es wäre der kälteste Tag des Jahres. Vielleicht würde es der kälteste meines Lebens bleiben. Oder es würde mich irgendwann ein noch schlimmeres Ereignis ereilen und von diesem fürchterlichen Datum, das so einsam im Kalender hing, erlösen. Würde ich dann erleichtert sein? Oder mich sogar nach diesem einstigen Schreckenstag zurücksehnen? Die Horizonte entfernten sich. Die Sonne stieg längst nicht mehr darüber hinaus.

Ich las und schrieb diesen Text. Dann geschah die Katastrophe, und die beiden Bücher hatten sich plötzlich verändert.

Unmittelbar vor der Katastrophe hatte ich zwei Bücher gelesen, über die ich etwas schreiben wollte, was nicht unmittelbar mit mir und meinem Leben in Verbindung stand. Es war ein sonniger Tag, als ich im schönsten Buchladen der Stadt mit dem schönen Namen Marx & Co. Annie Ernaux’ Die Scham und Ben Lerners Die Topeka Schule gekauft hatte. Die Bücher interessierten mich, weil