Stimmloses F

 

„Ich bin in der Menschenwelt untergetaucht!“

In einer regnerischen Nacht ist sie vor meiner Wohnung gestrandet und hat mich wortlos überflutet als ein stummes Abbild all meiner Ängste und Sehnsüchte. Ich kann mich an kein Geräusch erinnern, nur an Regen, nicht an ihre Schritte oder ihr leises perlendes Lachen, das ich mir eingebildet haben muss. Sie glitt in mein Leben als ein feuchter Wachtraum, der sich mir entzieht. Ich erinnere mich an den tropfenden Saum ihres Kleides und das lange nasse Haar, welches ihr bis zu den Hüften floss.

Ihre Stimme habe ich nie gehört, aber das Flehen ihrer Augen ließ sie mich in mein Badezimmer tragen. Dort lebt sie bis heute.

Ich liebe es sie zu betrachten, sie liebt es zu baden.

Ich will ihn umarmen, meine Haare um ihn schlingen, bis er nicht mehr atmen muss und meine süße Stille teilt, solange bis er an mir ertrinkt und für immer und niemals bei mir ist.

Ihr Geruch lässt mich Libellen denken. Kleine grüne Spinnen nisten in ihrem absonderlichen Haar, fangen glitzernde Wassertropfen in ihren Netzen. Sie ist wie ein Stummfilm ohne je Kontur besessen zu haben.

Ich möchte singen.
Seine Seele wird bersten und die meinige gebären. Mein Unterleib ist fruchtlos und kalt.
Manchmal tauche ich meinen Kopf unter und öffne die Augen um ihn durch das Wasser zu erblicken. Erst dann erscheint er mir wirklich und als Teil meiner liquiden Welt, dann will ich ihn hinab reißen. Ich möchte singen,
und darf es nicht, ich würde ihn töten und doch; wie sehr scheint er es zu wünschen.
Er weiß nichts von der Sehnsucht meines geteilten Leibes.
Ich möchte singen.

Du bist schneeweißes Sterbe-Fisch-Fleisch mit lieblichen Zügen.
Ich will in ihr leben, denn mit ihr leben kann ich nie. Sie ist das Rätsel vorübersiechender Mondnächte; voll von kalter, erbarmungsloser Schönheit, die summend durch meine vielstimmigen Träume schwimmt.
Da lauert sie nun im Zwielicht meines Badezimmers als schönster aller Fremdkörper. Das Tageslicht habe ich sie nie sehen lassen. Bereits ihr Kleid hat sie verraten, denn ich erahne das Reich aus dem sie geflossen sein muss. Ich spüre sie wie einen erotischen Fiebertraum, der Grund zu der Annahme gibt, dass man wohl krank sein muss.

Ich möchte singen.

Sie ist in mir, frisst Erinnerung, fremde Melodien- träumend.

Sie singt. Zweifellos. Sie singt:

Seevögel kreischen durch ihr Lied, erregt mit den Flügeln schlagend, verlieren einzelne Federn, die auf die erwärmte Wasseroberfläche nieder taumeln. Unter ihr tanzen silberne Fischschwärme. Von

tiefstem Blau durchsetzt wiegen sich geschmeidige Wasserpflanzen im Takt. Quallen schweben vorsichtig durch das Dunkelschwarz ihrer Gedanken, liebkosen zaghaft ihren milchweißen, entsetzlich kalten Körper. Ihr Gesang lässt Schiffe sinken, ist zerklüfteter Fels und Sturm, ist die Lust sich windender Fischfrauen, die sich nach der Menschenwelt sehnen. Sie singt von unschuldigem Kinderspiel und von verblichenen Gebeinen, mit denen sie sich krönte.

Ich habe nicht bemerkt, wie ich zu dir in die Wanne gestiegen bin.
Aber gewiss habe ich in dein Haar gegriffen und die kleinen grünen Spinnen zerquetscht, die es so liebevoll pflegten. Auch habe ich begriffen, wie das Leuchten aus deinen erschrockenen Augen gewichen ist, und wie du Tiefsee aus ihnen hervorgekehrt hast. Deinen verderblichen Leib habe ich an mich gezogen, noch bevor du dich wehren konntest. Fest habe ich meine Hand auf deinen Männer-fressenden Mund gepresst, überzeugt davon, dich nie mehr singen zu lassen.

Als ich von dir ablassen wollte, hast du mich geküsst.

Langsam, weicht das Leben aus deinem mir so vertrauten Gesicht. Geliebter. Deine letzten Gedanken gelten mir.
Als ich beschlossen habe für dich zu singen, habe ich deinen Tod beschlossen. Als ich dich küsste, den meinigen. Unsere Liebe hat kein Grab.

Alles was bleibt ist meine hüllenlos geborene Seele, die an dich gebunden ist. In Freuden stirb du nun,

Denn mein Kuss ist nur ein einziger und ewig letzter. „Ich werde Wasser und kehre heim, denn ich bin an der Menschenwelt gescheitert.“

 

 

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Vom lustvollen Seufzer des Sudankäfers, Kurzgeschichten von Julia Kulewatz, ed(dition)-cetera.

„Das Debüt von Julia Kulewatz ist ein literarisches Arrangement, das in 12 Kurzgeschichten und 2 Miniaturen augenzwinkernd allerlei Einfühlsames, Tragisches, Erotisches, Groteskes, Traumhaftes und surreal Verspieltes bereithält.
Angesiedelt hinter fremden Zeiten und (un)wirklichen Räumen, irgendwo zwischen Duna und Wadi, verschmelzen in ihren Texten Sehnsucht, Liebe und Hoffnung, Verlust, Freude und Schmerz, Willkür, Wahrheit und poetische Notwendigkeit. Sie erzählen von surrenden Frauenhäuptern, mit Käfertieren gefüllten Badewannen, Spieluhrenpanoramen, stimmlosen Tönen, ertraglosen Apfelbäumen im Restsommerhauch, Kellerglaspalästen in der Unberührbarkeit des Augenblicks und Leuchtkäfern am Rande der Einbildung. Der Leser schließt Bekanntschaft mit koreanischen Wassermädchen, einer Femme fatale, die Aphrodisiaka aus Skarabäenmännchen herstellt, der Schuhe verkaufenden Magierin Grey, dem von Sturzregen und Kreidestaub eingerahmten Mädchen am Fenster, mit Aylin, die nahe bei Gott ist, und mit Irene, die zur Wand steht. Schlussendlich vernimmt der Leser, der Spur einer Ameise folgend, mit ein wenig Glück und Neugier einen Laut, den er im Gewühl des Alltags nur allzu leicht überhören kann – den lustvollen Seufzer des Sudankäfers.“ (Stephan Herbst)