Advent der Fabrikmädchen

Albin Zollinger

(* 24. Januar 1895 in Zürich; † 7. November 1941 in Zürich)

Advent der Fabrikmädchen

Die Arbeiterinnen kommen in einem Geruche von Mandarinen.
Ihr Feierabend neigt in das Dunkel hinein.
Wenn sie, die Augen noch blaß vom Gebraus der Maschinen,
Über die Stege gehn, blakt im Kanal der verlassene Fensterschein.

Mit zehntausend Lichtern sinkt die Spinnerei wie ein Schiff
Und brennt in ihrem Gerippe geisterhaft glosend.
Dennoch hören die Mädchen schon ihren nebligen Pfiff
Zum Gesang der Hähne früh, durch Ohren, von Schlummer tosend.

Man sieht nicht recht, will es schnein, die Schwärze steht windstill und vage.
Einmal im Schilfe streift sie ein Falter Gas.
Einmal, ein Vogel, ein Mensch der ertrinkt, eine Klage
Seufzt, schaurig unter den Schuhen das pfeifende Gras.

Vielleicht wird es regnen. Faucht nicht der laue Föhn
Über das Brachfeld? Weich trägt er ihnen die Schürzen wie Schwangern.
Wie Fischerinnen im Winde lehnen, so gehn
Sie gebrechlich und sehnlich am Grunde von starrenden Angern.

Ach, sie sind ja nicht so! Aber die Lippen, versengt von Zoten,
öffnen sich bläulich den hauchenden Schauern der Nacht.
Ihre Gesichter, dämmernde Jenseitsgesichter von Toten
Stöbern im Sternenschein wunderlich aufgewacht.

Wie sie jetzt sind, kleine Mägdlein, schauern sie unter dem Dunkel,
Das eine schwankende Höhe von Gassen türmt
Und unaussprechlich wie in der Kindheit mit Schneegefunkel
Glocken und Kerzenbrand auf die Erde stürmt.

Aus: documenta poetica deutsch. Hrsg. Hans Rudolf Hilty. München: Kindler, 1962, S. 161

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