Bäume

Willst Du einen Wald vernichten: Pflanze Fichten, Fichten, Fichten!

Klingonisches Sprichwort

Als die beiden die Bäume dort auf dem neu gestalteten Bürgersteig (seltsames Wort) liegen sehen, meint sie, er müsse genau darüber schreiben, diese armen Geschöpfe, die niemals wie echte Bäume leben werden. Immer am Straßenrand, immer bedroht von zu nahe heranfahrenden Autos, von der nächsten Baustelle, in einem Substrat wachsend, das mit natürlichem Mutterboden so gar nichts zu tun hat. „Diese Geschöpfe werden niemals eine natürliche Kommunikation mit ihren Artgenossen, nur fünfzehn Meter weiter, aufnehmen können, weil die Wurzeln keine Chance haben, sich zu vereinigen.“ Mit einem echt besorgten Gesicht schaut ihn die Kollegin an und genau in diesem Moment hat er eine Geschichte vor Augen, die nicht nur mit Herrn Nipp, sondern auch mit dem real existierenden Künstler Laik Wörtschel zu tun hat, den er vor Jahren kennen zu lernen die Ehre und das echte Vergnügen hatte. Dieser Künstler, ein Ausbund des sublimen Humors und der intelligenten Durchtriebenheit, hatte ihn damals mit seinen Asphaltics fasziniert, die jahrelang auf den Straßen rund um den Möhnesee zu finden waren und in den letzten Jahren leider der Renovierungswut der Straßenämter zum Opfer gefallen sind. Wahre Streetart, die man suchen und kennen lernen musste, um sie als das zu erfahren, was sie wirklich ist, große Kunst. Der hat sicher nichts dagegen, wenn er einfach in einer Geschichte genutzt wird.

„Als Herr Nipp die Bäume dort liegen sieht, wird ihm sofort klar, da sind keine Dilletanten dort am Werk. Wahre Profis haben die akkurate Architektenpetersilie frisch beschnitten und die Wurzelballen in Jute eingeschlagen. Jetzt werden die vorbereiteten Löcher von ihrer rötlichen, extra auf die Bedürfnisse von Straßenbäumen zugemischten Erde befreit, dann schon dürfen die winterlich entlaubten Lebewesen zum ersten Mal stehend ihr neues Lebensumfeld erkunden. Mit jeweils drei Holzpflöcken gehalten. Wahrscheinlich hat irgendein Stadtplanerheini dieses Mal Amberbäume gewählt, die machen wenig Dreck und sehen im Herbst so hübsch aus mit ihrem roten Laub. Dass diese „Weggefährten“ keinen ökologischen Nutzen haben, wird nicht bedacht, das interessiert auch niemanden, hauptsächlich ist die grünliche Wirkung im Frühjahr und Sommer wichtig. Pflegeleichtigkeit ist Trumpf. Ja klar, es könnten auch Tulpenbäume oder Gingkos sein, aber diesmal hat man sich für was anderes entschieden, das ähnlich wenig Pflege braucht und damit die Folgekosten minimiert. Früher hatte man in der Stadt noch Baumhaselnüsse und Linden gepflanzt, Kastanien und natürlich Rotdorn, Ahorn und Hainbuchen, sogar Eichen und Buchen, Obstbäume wie Apfel und Birne, aber diese Arten sind heute nicht mehr gewünscht. Linden machen Dreck, dreimal im Jahr und die Autos verkleben regelmäßig, wenn sie darunter parken. Kastanien, Eichen, Buchen, Äpfel und Birnen schädigen mit ihren dicken Früchten die Karrosserien, Baumhaselnüsse natürlich auch und wen interessiert schon, dass die Singvögel davon profitieren und gerne in Rotdornbäumen nisten? Also die neuen Arten, die sich in den letzten Jahren in Städten etabliert haben. Nerr Nipp mag sie nicht besonders, aber natürlich wird er sie hinnehmen, was bleibt ihm auch schon übrig. Er kann ja nicht dagegen anschreiben, dass die Innenstädte langsam artentechnisch verarmen. Irgendwann hatte er mal gehört, dass es Städte gibt, in denen eine gewisse Bandbreite an Baumarten vorgegeben ist. Das allerdings betrifft nicht seine Stadt. Neben immergleichen Neubauten der immergleichen Architekten stehen in den immergleich aussehenden Straßen die immergleichen Bäume. Hurrah, du neue Zeit. Glücklicher weise ist abends sein Freund, der Künstler Laik Wörtschel, zu Besuch. Dem wird er dieses Phänomen zeigen.

Ein halbes Jahr später hat Laik Wörtschel in dieser Straße eine einwöchige Performance. An jedem der gleichförmigen Bäume steht ein Stuhl, auf jedem dieser Stühle sitzt jemand mit einem Buch und liest. Liest dem Baum vor. Die Bäume sollen erfahren, wer sie sind und so lesen die Performer, die Laik Wörtschel aus verschiedenen Städten zusammen gebracht hat, aus Peter Wohllebens „Das geheime Leben der Bäume“.

 

 

Foto: Leonard Billeke

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Lesen Sie auch den Essay Laik Wörtschel – ein Künstler der Stille.