Am vergangenen Freitag machten zwei Meldungen die Runde, von denen man nicht behaupten kann, dass sie allergrößte mediale Aufmerksamkeit hervorgerufen hätten. Der Eulenspiegel Verlag teilte mit, dass der Kölner Autor und Kritiker André Müller sen. am 21. Januar im Alter von 95 Jahren verstorben sei. Und das Netzportal FragDenStaat.de veröffentlichte ein Dossier zu Hans Globke, der unter den Nazis Karriere gemacht hatte, um als Kanzleramtschef von Konrad Adenauer und in der CDU zu einem Strippenzieher der westdeutschen Nachkriegspolitik zu werden.

Die Koinzidenz ist nicht ohne Ironie. Beide Meldungen deuten von zwei Seiten auf eine Lebenslüge der Bundesrepublik Deutschland hin, die uns bis in die Gegenwart beschäftigt, nämlich die von der Stunde null 1945, nach der es keine Nazis und nur noch Demokraten gab. Aber die Meldungen tun das eben nur mit dem fehlenden Nachdruck der Marginalisierung – wie soll das, was bislang kaum mediale Beachtung fand, plötzlich nicht mehr übersehen werden?

Denn so retroselig Fernsehen und Film sein mögen: Um die Fünfzigerjahre haben sie einen großen Bogen gemacht, wo es nicht darum ging, von Wundern zu erzählen (Wirtschafts-, von Bern, von Lengede). Und während Ulrich Tukur, Sebastian Koch, Frank Giering, Moritz Bleibtreu und Alexander Fehling die Erfahrung teilen, in verschiedenen Filmen aus vier Dekaden den RAF-Terroristen Andreas Baader gespielt zu haben, findet sich unter dem Credit "Hans Globke" nicht ein Eintrag. Dabei wäre dessen Biografie (und die einiger Mitstreiter) doch das Material, aus dem sich eine der aktuell so angesagten True-Crime-Serien zimmern ließe.

Der unter dem Namen Willi Fetz 1925 geborene André Müller sen. ist mit dem Leben davongekommen. Ein Kölner Jude, der aus dem Konzentrationslager fliehen konnte, um diese Erfahrung danach konsequent von sich abzuspalten, wie er in einem Interview vor zehn Jahren erzählte: "Ich habe einen einzigen Komplex behalten. Ich lese keine Bücher über KZs, ich sehe keine Filme über KZs, und Freud hat Unrecht, wenn er meint, man müsste das Verdrängte auferwecken, es zum Bewusstsein heben und dann verschwinde es. Ich habe festgestellt, dass mein ganzes Leben nur dann gut ist, wenn ich in der Lage bin, das alles zu verdrängen."

Man kann diese Verdrängung dem Pseudonym ansehen, für das er sich mit "Müller" einen der verbreitetsten deutschen Namen wählte und sich davon mit dem klingenden französischen Vornamen zugleich distanzierte: der andere Müller. Mit dem wirklich anderen André Müller, einem Journalisten, der durch seine Interviews bekannte wurde, hatte Fetz nichts zu tun, der Zusatz "sen." war ein Witz.

Was André Müller sen. war: ein Kommunist. Und das ist die andere Seite der bundesrepublikanischen Lebenslüge, weil zu Zeiten Globkes nicht nur ein Schlussstrich unter die "Naziriecherei" (Adenauer) gezogen werden sollte, sondern auch der Antikommunismus aus der NS-Zeit als vermeintliche Bedrohung aus dem Osten in die Bonner Republik hineinverlängert wurde. So wirkten vormalige Nazis in Journalismus, Geheimdienst und Politik munter an der ideologischen Ausrichtung der jungen Demokratie mit – und soufflierten ihr Begriffe wie das Hufeisenmodell, das unkritisch von völkisch-nationalistischen Denkern aus der Nazizeit übernommen und durch unsaubere Hannah-Arendt-Lektüren aufgemotzt wurde, um links und rechts gleichzusetzen.