Ein Schlüssel zum dynastischen Gedächtnis des Hauses Waldeck

Das von Konrad Wiedemann bearbeitete Inventar erschließt die historischen Handschriften der Fürstlich Waldeckschen Hofbibliothek Arolsen

Von Dominik MotzRSS-Newsfeed neuer Artikel von Dominik Motz

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die im Arolser Residenzschloss beheimatete Fürstlich Waldecksche Hofbibliothek (FWHB) stellt ein Kulturdenkmal ersten Ranges dar. Ihre rund 35.000 Bände, 1.700 Karten und Pläne sowie mehr als 100.000 Kupferstiche und Schnitte bilden einen einzigartigen Wissenskosmos aus mehr als fünf Jahrhunderten.

In der Öffentlichkeit weitgehend unbekannt ist bislang der kulturhistorisch wertvollste Teil der FWHB: der Bestand an unikalen historischen Handschriften, der vom Spätmittelalter bis in das 19. Jahrhundert reicht. Es ist das Verdienst Konrad Wiedemanns und Hartmut Broszinskis, diesen Bestand durch das hier zu besprechende Inventar grundlegend erschlossen zu haben. Durch den 160 Seiten starken Katalog werden sowohl die Exemplare der FWHB als auch die Stücke der ebenfalls im Schloss befindlichen Regierungsbibliothek der Domanialverwaltung detailliert beschrieben und einer interessierten Öffentlichkeit zugänglich gemacht.

Das Inventar weist rund 350 Einträge auf. Seine Entstehung geht auf das Jahr 1992 zurück, damals waren für den Artikel Kassel im Handbuch der Handschriftenbestände der Bundesrepublik Deutschland auch die Bestände der FWHB gesichtet worden. Die in jahrelanger Arbeit erstellten Katalogisierungsdaten konnten jetzt veröffentlicht werden.

Die Lektüre des Inventars bietet einen lebendigen Blick in die Geschichte des Hauses Waldeck. Unter den katalogisierten Stücken finden sich Urkunden über Rechtsgeschäfte (V Waldec. 737), Akten zu Vermögensfragen (V Waldec. 1133), Ahnentafeln (V Waldec. 9) und Devotionsadressen an das waldeckische Fürstenhaus (V Waldec. 1151). Es wird aber auch das alltägliche Leben greifbar. So lässt sich das Laster des Glücksspiels (Lotterielose von Fürstin Emma von Waldeck-Pyrmont, V Waldec. 1130) ebenso entdecken wie Schulhefte, Vorlesungsmitschriften, Briefe sowie Gelegenheitsmusik und -dichtung, die zu Taufen, Hochzeiten oder Todesfällen entstand.

Von besonderer Bedeutung sind die im Katalog verzeichneten Militaria. Mitglieder des Hauses Waldeck standen jahrhundertelang in militärischen Diensten des Kaisers oder anderer Reichsfürsten. Es kann daher nicht verwundern, dass sich in der FWHB zahlreiche Handschriften militärischen Inhalts erhalten haben. Hierzu zählen etwa die Materialien zum Feldzug von 1743 (V Waldec. 417 c), eine Relation du siège de Frejbourg en Brisgau (IV Hs. 58) oder ein Diarium den Candianischen March betreffend (IV Hs. 54), das den Kampf braunschweig-lüneburgischer Hilfstruppen im Jahr 1669 unter ihrem Oberbefehlshaber Graf Josias II. von Waldeck-Wildungen (1636–1669) gegen die Osmanen auf der Insel Kreta beschreibt. Zu erwähnen sind in diesem Zusammenhang auch zahlreiche Beutestücke aus den Türkenkriegen, die in der FWHB überliefert sind: Neben einer islamischen Talismanrolle (IV Hs. 75[1), die laut einem Vermerk auf dem Umschlag „in der Schlacht von Koselwitzy in Bulgarien im Zelte des Reis Effendi erbeutet“ wurde, finden sich dienstliche Schreiben in osmanischer Sprache (IV Hs. 75[6), eine Abbildung einer taktischen Formation der osmanischen Kavallerie (IV Hs. 75[3) sowie ein Koranfragment (IV Hs. 75[2).

Schließlich gehören zu den im Inventar beschriebenen Stücken mittelalterliche und frühneuzeitliche Handschriften aus unterschiedlichen Wissensgebieten, Inkunabeln und Bibliotheksarchivalien (wie Kataloge, Ausleih- und Versteigerungsverzeichnisse et cetera). Sie zeugen von der großen Bibliophilie des Hauses Waldeck. So nennen FWHB und Regierungsbibliothek Predigtsammlungen, Chroniken, forstwissenschaftliche Schriften, juristische Abhandlungen, ein Exemplar der Gesta Romanorum aus dem 15. Jahrhundert (IV Hs. 25) sowie eine alchemistische Handschrift aus dem 16. Jahrhundert (IV Hs. 93) ihr Eigen.

Darüber hinaus findet sich in der Sammlung eine Handschrift mit dem Titel Die dapffere Thaten deß Capitan Schröcken (IV Hs. 2). Sie stammt aus dem Jahr 1610 und ist eine der ältesten deutschen Übersetzungen einer Commedia dell’arte. Verfasser des Originals war der berühmte italienische Schauspieler und Schauspieltruppenleiter Francesco Andreini. In den Besitz des Hauses Waldeck gelangte die Handschrift über Graf Christian von Waldeck-Wildungen (1585–1638), von dem im Hessischen Staatsarchiv Marburg auch ein Katalog seiner Privatbibliothek überliefert ist.

Zu den wertvollsten im Inventar beschriebenen Stücken zählen zwei Bände, die auf Graf Wolrad II. von Waldeck-Eisenberg (1509–1578) zurückgehen: ein Sammelband (V Waldec. 704) mit zahlreichen Briefabschriften, Liedern, Aktenauszügen et cetera sowie ein Reisetagebuch (V Waldec. 705) des Grafen. Während der Sammelband ein buntes Potpourri frühneuzeitlicher Textgattungen bietet, berichtet das Itinerarium Wolradi comitis a Waldeck über die Erlebnisse des Grafen Wolrad II. auf dem Augsburger Reichstag von 1548. Detailliert werden die Hin- und Rückreise sowie der Reichstag an sich beschrieben.

Alles in allem stellt das vorliegende Inventar eine wahre Pioniertat dar. Erstmals werden die in der FWHB sowie die in der Arolser Regierungsbibliothek aufbewahrten Handschriften in grundlegender Weise erschlossen und der Forschung zugänglich gemacht. Die im Band dargebotenen Katalogisierungsdaten sind dabei von hoher Qualität. Sie verzichten zwar in der Regel auf eine Aufarbeitung der Provenienzgeschichte und entsprechen somit nicht in Gänze den von der DFG herausgegebenen Richtlinien Handschriftenkatalogisierung. Doch ist festzuhalten, dass die Daten einen komfortablen Überblick über das in beiden Sammlungen vorhandene Material bieten – insbesondere da sich durch zwei Register (ein Personen-, Orts- und Sachregister sowie ein Initienregister) vielfältige Zugriffsmöglichkeiten ergeben.

Wünschenswert wäre es gewesen, den Katalog mit Hinweisen auf bereits erfolgte Digitalisierungen auszustatten. Immerhin sind rund 25 der im Inventar beschriebenen Stücke mittlerweile über die Plattform ORKA der Universitätsbibliothek Kassel online abrufbar. Zudem sollte darüber nachgedacht werden, die im Rahmen des Inventars nun analog vorliegenden Katalogisierungsdaten in digitaler Form bereitzustellen. Auf diese Weise könnten die Quellen einer größeren Öffentlichkeit noch leichter zugänglich gemacht werden. Trotz dieser kleinen kritischen Anmerkungen bleibt dem Inventar aber auch in Buchform eine große Verbreitung zu wünschen. Für die zukünftige Waldeckforschung und darüber hinaus stellt es ohne Zweifel ein unverzichtbares Hilfsmittel dar.

Ein Beitrag aus der Mittelalter-Redaktion der Universität Marburg

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Waldeckischer Geschichtsverein / Universitätsbibliothek Kassel (Hg.): Inventar der Handschriften der Fürstlich Waldeckschen Hofbibliothek (FWHB) und der ehemaligen Regierungsbibliothek der Domanialverwaltung in Arolsen. Bearbeitet von Konrad Wiedemann.
Mit einem Beitrag von Hartmut Brozinski.
Sprenger Druck, Korbach 2020.
160 Seiten,
ISBN-13: 9783932468216

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