Comicheld und Halbbruder

Zwei neue, ungewöhnliche Biographien über Thomas Bernhard erscheinen zu dessen 90. Geburtstag – mit unterschiedlichem Effekt

Von Sascha SeilerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Sascha Seiler

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Unterschiedlicher können Biographien wohl kaum ausfallen: Auf der einen Seite eine Graphic Novel über das Leben des streitbaren österreichischen Schriftstellers, auf der anderen Seite ein etwas gewöhnungsbedürftig strukturierter Bericht seines Halbbruders Peter Fabjan, der sich mehr um ihn selbst dreht als um den Autor. 

Nicolas Mahler hat sich in den letzten Jahren bereits einen Namen als Vermittler von Literatur in Form von Comics oder Graphic Novels gemacht. Er transportierte zuletzt epische Werke wie James Joyces Ulysses und Marcel Prousts Auf der Suche nach der verlorenen Zeit in diese neue, unorthodoxe literarische Form und konnte damit nicht nur viel Lob, sondern auch mehrere Preise einstreichen. In Thomas Bernhard: Eine unkorrekte Biografie arbeitet er erfolgreich auf mehreren Ebenen. Zum einen weist jede Seite eine im typisch reduzierten Mahler-Stil gehaltene Zeichnung auf, die eine Etappe im Leben Bernhards darstellt. Charakteristisches Merkmal ist dabei die übertrieben große Nase des Comic-Bernhard, die ihn quasi als Leitmotiv bereits als Baby schmückt. Mahler montiert dazu kurze biographische Informationen – meist nur aus einem einzigen Satz bestehend – mit Zitaten aus dem Werk des Autors, gibt dabei aber bereits im Titel des Buchs an, dass er sich mitunter bei der Übertreibungskunst des Schriftstellers einiges abgeschaut hat.

So markiert er hypothetische Gedankenspiele aus Bernhards Werk als tatsächlich stattgefundene Ereignisse, ohne dies im Haupttext zu kennzeichnen. Dafür steht am Ende des Buches nicht nur ein Quellenverzeichnis der verwendeten Zitate, sondern auch ein Nachtrag, den er „Fehlerquellen“ genannt hat. In diesem wird aufgeklärt, an welchen Stellen Mahler ein wenig flunkert.

Das kurzweilige Buch lebt von den zwar reduktionistischen, aber immer ins Schwarze treffenden Zeichnungen des Künstlers, in denen es ihm fast durchweg gelungen ist, die Gedankenwelt Thomas Bernhards zeichnerisch umzusetzen. So entsteht eine Biographie, die quasi aus der Feder des Schriftstellers stammt und von Mahler letztlich nur noch montiert und mit aus Bernhards Texten entspringenden Bildern untermalt wird. Eine gelungene Lektüre also für Bernhard-Freunde, aber erfreulicherweise auch für Novizen, die sich mal mit der Gedankenwelt dieses einzigartigen Autors beschäftigen wollen. 

Ganz anders dagegen Peter Fabjans Bericht über sein Leben an der Seite von Thomas Bernhard. Zu seiner Ehrenrettung sei gesagt, dass Fabjan hauptberuflich nicht als Schriftsteller, sondern als Arzt gearbeitet hat, bevor er sich nach seiner Pensionierung vollends der Pflege des Archivs (und der Immobilien) seines Halbbruders widmete. Und trotzdem wäre zumindest eine etwas leserfreundliche Struktur in diesem Buch wünschenswert gewesen. So sind die Erinnerungen nur eine nicht selten wirr anmutende Aneinanderreihung von Porträts, in denen zunächst Familienmitglieder und später Weggefährten Bernhards gezeichnet werden. Unterbrochen wird diese Abfolge hin und wieder von Anekdoten aus dem Verhältnis der Halbbrüder zueinander; diese leider oft viel zu kurzen Passagen sind die interessantesten Stellen des Buchs. Vor allem in der ersten Hälfte geht es Fabjan indes mehr um sein eigenes Bild der Verwandten und sein persönliches Verhältnis zu ihnen als das seines prominenten Halbbruders. So wirken die zahlreichen Familienporträts eher wie eine arg gestelzt geschriebene Erinnerungsprosa von Peter Fabjan als wie ein Versuch, Licht auf das Leben Thomas Bernhards, vor allem auf das sicher sehr interessante, weil schwierige, Verhältnis zu dessen Familie zu werfen.

Im letzten Drittel des Buchs verliert sich der Autor zunehmend in Porträts von Bekannten und Freunden des Autors, deren Leben er oft mechanisch wiedergibt, ohne den Versuch, etwas Tiefe in seiner Darstellung der ja in den meisten Fällen problematischen Beziehungen zum schwierigen Schriftsteller herzustellen. Die extrem gestelzte Prosa macht die Lektüre zudem zu einem mitunter anstrengenden Unterfangen. Erfreulich hingegen sind die zahlreichen Fotografien und Dokumente, die Fabjan hinzugefügt hat und die einen nicht unbeträchtlichen Teil des schmalen Buchs ausmachen.

Doch hat man die Wahl zwischen diesen beiden „Biographien“ Thomas Bernhards – sie dürfte nicht schwerfallen.

Titelbild

Nicolas Mahler: Thomas Bernhard. Die unkorrekte Biografie. Mit Richtigstellungen von Raimund Fellinger.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2021.
128 Seiten, 16,00 EUR.
ISBN-13: 9783518471258

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch

Titelbild

Peter Fabjan: Ein Leben an der Seite von Thomas Bernhard. Ein Rapport.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2021.
195 Seiten , 24,00 EUR.
ISBN-13: 9783518429471

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