Es ist leider üblich geworden, die gesamte Welt durch das Prisma des Corona-Lockdowns zu betrachten. Und weil Ottessa Moshfeghs neuer Roman von der Einsamkeit einer Frau handelt, dauerte es nicht lang, bis die New York Times ihn zu einem Buch erklärte, das perfekt in unsere Zeit passe. Dabei ist das Einzige, was sich aus diesem Roman lernen lässt, die Einsicht: Spazierengehen macht irre.

"Ich war allein, ein bedeutungsloser Mensch, eine zweiundsiebzigjährige Frau", sagt die Professorenwitwe Vesta Guhl, mit deren inneren Monologen man von Anfang an vorliebnehmen muss. Sie lebt in einem Dorf an der amerikanischen Ostküste. Es gibt einen Birkenwald und einen möglicherweise giftigen Kiefernwald, es gibt Mütter, die wie "hirnlose Fettwalzen" auf dem Parkplatz stehen, und Polizisten mit "Bulldoggengesichtern". In Vestas dokumentierter Alltagsmonotonie ("Frühstück. Gartenarbeit. Mittagessen. Rudern. Hängematte") geht sie täglich mit ihrem Hund Charlie spazieren, und dabei findet sie einen Zettel auf dem Weg: "Sie hieß Magda. Niemand wird je erfahren, wer sie ermordet hat. Ich war es nicht. Hier ist ihre Leiche."

Moshfegh, geboren 1981, schreibt seit einigen Jahren Bücher, die seltsam weltabgewandt in der aktuellen Literaturproduktion stehen. Auch in Der Tod in ihren Händen fehlt alles, wovon engagierte Kritik schwärmt, wenn sie Literatur vor allem als Packungsbeilage zu aktuellen Debatten versteht. In der Geschichte der Professorenwitwe Vesta Guhl nach Elementen zu suchen, die einem die Gegenwart aufschlüsseln, wäre ebenso absurd, wie das Buch als sozial verantwortliche, empfindsam erschütterte Prosa zu lesen, die etwas zur modernen Verlassenheit des Menschen zu sagen hätte. Es ist ein kunstvoll solipsistischer Roman.

Magda, Magda, Magda: Um das Leben der angeblich Toten entwirft Vesta fortan einen Krimi, denkt sich den Mörder, die Mutter des Mörders, einen Dämon namens Ghod aus – und überall sieht sie den Tod am Werk. Moshfegh schreibt mitten aus der biestigen Paranoia einer Frau, deren kindlicher Wunsch, die Welt möge sich nach dem eigenen Willen formen, sich allmählich gegen sie wendet (sogar ihr Hund wird zum Feind). Selten sind Bücher, die versuchen, den Wahnsinn von innen zu beschreiben. Noch seltener ist es, dass sie glücken. Moshfegh ist eine empathische Stilistin, der Vestas Blick auf die Welt, der zwischen Bösartigkeit und nackter Verfolgungsangst schwankt, ebenso fein gelingt wie der Entwurf einer Welt mit verschobener Eigenlogik, in der Vesta zur wild gewordenen Leserin ihrer erdachten Mordgeschichte wird: Jeder Baum ist nun ein düsteres Zeichen und jeder Windstoß eine schreckliche Vorahnung. Hinter alldem meint man eine Autorin zu sehen, die mit koketter morbider Belustigung mit Genre-Requisiten und Horrorkulissen spielt und Spuren legt, die man gar nicht verstehen soll, sie gehören zu Vestas autoaggressiver Vorstellungskraft, in der sie all das für möglich hält. Ihre letzten Worte lauten: "Jetzt bin ich Dunkelheit. Ich gehe in ihr auf." Da ist der Roman ins Präsens gekippt, und Vesta steht im 20-Dollar-Tarnanzug in der "Giftluft" des Kiefernwalds und spürt, wie sich ihre Kehle zusammenschnürt und ihr "Gedankenraum" friedlich wird.

William Golding hat einst aus dem letzten Aufbäumen der Fantasie eines einsam ertrinkenden Seemanns einen Roman gemacht. Vielleicht ist Vestas innerer Monolog ebenfalls als Gedankenprotokoll einer Sterbenden zu lesen. Vielleicht auch nicht. Ottessa Moshfegh ist clever genug, die letzten Geheimnisse ihrer anregend rätselhaften Horrorgeschichte von Fiktion und Wahrheit luftdicht zu verschließen.

Ottessa Moshfegh: Der Tod in ihren Händen. Roman; a. d. Engl. von Anke C. Burger; Hanser Berlin, Berlin 2021; 256 S., 22,– €, als E-Book 16,99 €