Heimatverbundenen

„Dem Autor ist eine irrsinnige Karikatur eines heimatlichen Menschenschlags gelungen.“ (Köllefornia)

Die Sehnsucht nach der Bonner Republik ist übergegangen in das Heimweh der Erinnerung. In der sterbenden Provinz „Rheinland“ wird nur noch erinnert. Es gibt in der Bonner Republik eine epistemologische Unsitte, die Angewohnheit, jede Aussage sofort ins Grundsätzliche hinein zu modulieren, und sie dadurch apokalyptisch zu formatieren. Historisch gesehen ist die Nation der natürliche Feind der Heimat, den Rheinländern gelang es jedoch immer die deutsche Dominanzkultur zu durchbrechen. Zwar führt die Vergangenheit zu gegenwärtigen Vorgängen, doch erscheinen diese seltsam determiniert durch etwas, was seit dem Umzug der Hauptstadt über diese Typen verhängt ist. Es ist der „Choc“ der Erkenntnis, von dem Walter Benjamin spricht: Er garantiert das „Jetzt der Erkennbarkeit“. Im Rheinland ist es ein feinsinniges Empfindens für das Jetzt, während die Freiheit das ultimative Ziel ist. Die Freiheit des Geistes. Es ist ein Panorama ganz eigener Art, nicht als großes, sinnfälliges Schicksalstheater, sondern als dichte Beschreibung eines kontingenten in-der-Welt-Drinsteckens, das die Rheinländer noch in der Schwebe hält, während sie bereits dabei sind, aus ihr rauszufallen. Der Tonfall des Romans ist, bei allem, was an Egoismen und Statuskämpfen, Empathie und gegenseitigem Aufreiben Platz findet, weder denunziatorisch noch gewillt, ein jedes Leben auf das eine Geheimnis zu reduzieren, das es verständlich machte. Lokalhelden ist das Spiel mit Metaebenen, die Vermischung von Fiktivem mit konkreten Realitätsbezügen.

Heimat ist das Land oder auch nur der Landstrich, in dem man geboren ist oder auch nur bleibenden Aufenthalt hat.

Grimm’sches Wörterbuch

Diese Prosa funktioniert wie ein Brennglas, unter dem die Zusammenhänge von Zeit– und Lebensgeschichten deutlicher zutage treten. Und im Rheinland sind diese besonders gut zu erkennen, diese aufsässige Migropole bietet die Möglichkeit, an bestimmten Schicksalen exemplarisch die Wechselfälle und Umbrüche der Geschichte zu verhandeln. Statt an der Oberfläche zu kratzen, dringt Weigoni in die Metaschichten des Rheinlands vor. Damit setzt er seinen Roman, der alle nur irgend verfügbaren Einflüße wie ein Schwarzes Loch verschlingt, ans Ende der intertextuellen Nahrungskette. Weigoni greift eine moderne Romantradition auf, die mit Laurence Sternes „The Life and Opinions of Tristram Shandy, Gentleman“ begann und im 20. Jahrhundert von Autoren wie Arno Schmidts Gelehrtenrepublik und Wolfgang Koeppens „Tauben im Gras“ radikalisiert wurde.

Wer kein Bier hat, hat nichts zu trinken.

Martin Luther

Weigoni setzt das gesamte In­strumentarium des modernen Romans ein und alle Stimmungslagen dazu. Er benutzt Dokumentarisches,  ruft mit gelungenen Bildern den Rhythmus der Bonner Republik auf und mit geschickt arrangierten Episoden die Provinzialität und Miefigkeit der Zwischenkriegszeit. Dieser Romancier präsentiert ein Figurenmosaik, dessen Gesamtbild den Aggregatzustand der Orientierungslosigkeit der alten BRD beschreibt und bis in die verlängerte Gegenwart deutet. Er ist ein Archäologe, mit dem Unterschied, daß seine Fundstücke meist noch leben, von der Welt oft nur vergessen sind. Diesem Vergessen tritt er in diesem Roman nachhaltig entgegen. Er kann ironisch und sarkastisch sein, aber auch existenzialistisch-ernst und sogar sentimental. Dieser Roman ist keine einfach nachzusingende Melodie, sondern eine sehr vielstimmige Symphonie – eine Vielstimmigkeit, der man sehr gern folgt.

Was bedeutet Fremde/Fremdsein, was macht „Heimat“ aus, wo fühlen sie sich zugehörig, die jungen, international mobilen und multikulturell bewanderten BewohnerInnen der globalisierten Welt, gibt es eine Identität und wenn ja, was ist das?

Ulrike Schuff

Das Rheinland steht für Weigonis Deutschland, was Amerika einmal Bruce Springsteens Wasteland war, ein Ort von magischer Trostlosigkeit. Die Summe der Provinzen und der Lebensträume, die sich in den Ebenen verlieren. Jede Station dieser topographisch gestützten Erinnerung und fast jeder historische Exkurs tragen dazu bei, daß die Figuren und ihre spannungsvolle Beziehung besser greifbar werden und zusehends Gestalt annehmen. Mit sprachlicher Konsequenz und inhaltlicher Stringenz überzeugen diese Lokalhelden; in der geschickt mäandrierenden Erzählstruktur setzen demaskierende Formulierungen Akzente. Die Qualität der Sprache, die diesen Roman auszeichnet, ihre Bildhaftigkeit und rhythmische Dichte, sind bedingt durch eine sich erzählende Geistesgegenwart. Diese Rheinländer handeln so logisch und widersprüchlich wie es echte Menschen tun.

Auf den Untergang der DDR folgt ein Verlöschen der BRD

Die Idealisierung der Vergangenheit ist meistens nicht mehr als infantiles Wunschdenken, mit dem man sich um die Verantwortung für sein Leben zu drücken versucht. Die imperiale Lebensweise beruht im rheinischen Kapitalismus auf einer Art gesellschaftsstabilisierendem Kompromiss zwischen den Interessen der Herrschenden und breiteren Schichten der Bevölkerung. Die sie kennzeichnende Art des Produzierens und Konsumierens ist tief in das allgemeine Bewußtsein, die alltäglichen Verhaltensweisen und die Subjektprägungen eingeschrieben. Sie beruht darauf, daß ihre zerstörerischen Folgen auf andere Regionen der Welt verlagert werden. Nostalgie ist auch deshalb gefährlich, weil man dazu neigt, die eigene Erfahrung zu generalisieren. Als ‚die beste Ära’ gilt dann meistens die Zeit, in der man selber jung war. Lokalhelden ist kein abgeklärtes Spätwerk, sondern ein Buch der Unruhe, in dem es pocht, tickt und raschelt, in dem die neuen Wahrheiten als Widergänger der alten auftreten und die alten Wahrheiten bei sinkender Sonne auf ihren Bestand hin befragt werden. Die Fermente guter Lektüre wirken langsam.

 

 

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Lokalhelden, Roman von A. J. Weigoni, Edition Das Labor, Mülheim 2018 – Limitierte und handsignierte Ausgabe des Buches als Hardcover.

Weiterführend →

Lesenswert auch das Nachwort von Peter Meilchen sowie eine bundesdeutsche Sondierung von Enrik Lauer. Ein Lektoratsgutachten von Holger Benkel und ein Blick in das Pre-Master von Betty Davis. Die Brauereifachfrau Martina Haimerl liefert Hintergrundmaterial. Ein Kollegengespräch mit Ulrich Bergmann, bei dem Weigoni sein Recherchematerial ausbreitet. Constanze Schmidt über die Ethnographie des Rheinlands. René Desor mit einer Außensicht auf die untergegangene Bonner Republik. Jo Weiß über den Nachschlüsselroman. Margaretha Schnarhelt über die kulturelle Polyphonie des Rheinlands. Karl Feldkamp liest einen Heimatroman der tiefsinnigeren Art. Als Letztes, aber nicht als Geringstes, Denis Ullrichs Rezensionsessay.