Lauter unaufgeräumte Beziehungskisten

Daniela Engist legt mit „Lichte Horizonte“ ihren zweiten Roman vor und lässt eine Erzählerin ihre Lebensabschnittsgefährten sortieren

Von Nora EckertRSS-Newsfeed neuer Artikel von Nora Eckert

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Von der berühmten Marguerite Duras stammt die Bemerkung, man müsse Männer sehr, sehr lieben, um sie lieben zu können, sonst könne man sie nicht ertragen. Ich finde, da ist was dran. Die Erzählerin in Engists Lichte Horizonte mit Namen Anne scheint das nicht ganz so kritisch zu sehen, obschon ihre im Roman mitgeteilten Erfahrungen mit Männern genau diese Erkenntnis bestätigen. Sie ist unverkennbar die Duldsame, der Fall von Frau, für die das übliche Ehe-und-Kinder-Programm unausweichlich erscheint. Und das Ganze natürlich umrahmt von bürgerlichem Wohlstand. Ach ja, die allzu glatte Oberfläche, sie war schon immer irgendwie verdächtig.

Immerhin gesteht sie uns an einer Stelle im Roman, jene drei berühmten Worte nie in den Mund genommen zu haben, die sonst den unvermeidlichen Portier vor jeder Liebesgeschichte spielen. „Ich habe nie verstanden, was dieser Satz bedeutet: Ich liebe dich. Es ist ein Satz mit drei Unbekannten.“ Die Bereitschaft zum Sex als wortloses Bekenntnis genügte allemal. Und doch geschah es, dass sie einem ihrer Männer ihre Liebe ständig hinterhertrug, während dieser nur schweigt und es bei der erstbesten Gelegenheit mit Fremdgehen ‚belohnt‘. Der Frust bleibt so oder so, aber eben auch das Begehren, das Erotische, die Anziehung – und aus dieser Spannung ziehen Engists Beziehungsgeschichten unbestreitbar literarischen Gewinn.

Anne macht daraus auch eine Aufräumaktion und verteilt Noten, ob das Friedrich, Mattes, Jan, Hannes, Yannik oder Alexander ist. Letzterer wurde ihr Ehemann, mit dem sie diese Erfahrung verbindet: „Wenn man sich für einen Partner entscheidet, bekommt man seine ganze Geschichte dazu. Und auf einmal spielt man eine Rolle in einem Theaterstück, für das man gar nicht vorgesprochen hat.“ Anne mutmaßt, ob es nicht gerade Alexanders „harmlose Anständigkeit und Zurückhaltung“ gewesen sei, die sie herausforderte, also keinesfalls das unbedingte Verlangen.

„Die meisten Männer, die ich getroffen habe, seit ich verheiratet bin, waren langweilig und eindimensional.“ Aber dann geschieht es doch. Ein neuer Mann, ein neues Glück? Danach klingt es jedenfalls, wenn plötzlich ein erfolgreicher Chansonier in Annes Leben tritt (klar, ein solcher muss es schon sein). Dieser Franzose steigt zur männlichen Muse auf und wirft die gut geölte, aber eher leerlaufende Eheroutine zwar nicht gleich über den Haufen, doch bewirkt die Begegnung eine spürbare Verunsicherung bei Anne.

Nebenbei, aber deutlich genug, erzählt uns die Autorin, warum dieses kulturelle Hybridprodukt mit Namen Monogamie so oft scheitert. Denn wenn sie auch als menschlicher Normalzustand gilt, so widerspricht sie am Ende unserer Natur. Die Libido ist da allemal ehrlicher im Zwischenmenschlichen. Engist verquickt dabei sprachliche Eleganz mit analytischer Schärfe. Aber so ganz verlässt sie nie diese bemerkenswert glatt polierte Erzähloberfläche, als ob in Rissen nicht Abgründe lauerten.

Eines von Stéphanes Liedern erzählt, „wie jemand aufsteht und geht und wortlos das ganze bisherige Leben zurücklässt“. Das haben schon viele geträumt: ausbrechen, aussteigen, etwas völlig Neues beginnen, endlich sich selbst finden und dafür seltsamerweise immer einen anderen brauchen. Sehnsucht ist jedenfalls ein guter Nährboden für Kopfgeburten. Engist hat das genau im Blick und fand dazu auch die passenden Gedichtzeilen in Sylvia Plaths Mad Girl’s Love Song:

Mir träumt‘, du hättest mich ins Bett gezaubert,
Mich in den Mond gesungen, in den Wahn geküsst.
(Ich glaub, ich hab‘ dich nur in meinem Kopf gemacht.)

Dazu passt, was wir über Stéphanes Figuren erfahren, die in seinen Chansons vorzugsweise auftreten. Sie „treiben einsam und gleichgültig durch die Welt, werden wie beiläufig intim und gehen dann ihrer Wege […]. Seine Worte sind klar und einfach und kühl.“ Mit dem letzten Satz könnte sich die Autorin und ihren Schreibstil selbst gemeint haben, denn sie kultiviert geradezu die Distanziertheit.

Und dann die verpassten Chancen – hätte man doch lieber das getan und dafür etwas anders sein gelassen, hätte hier geschwiegen oder dort den Mund aufgemacht, hätte mit diesem Typ geschlafen oder doch lieber mit einem anderen. Alternativen erkennen wir meistens erst rückblickend. Im Leben selbst und in Echtzeit geschieht nur das, was man eben macht und sagt und nicht, was man stattdessen hätte tun können. Der Witz des Lebens ist seine Faktizität. Erst mit den hinterhältigen Erinnerungen erkennen wir zugleich seine Witzlosigkeit. Bei Engist liest sich das so: „Die [Menschen] machen auch immer nur, was in ihnen angelegt ist, ob sie wollen oder nicht.“ Mit ihrem Roman ist sie jedenfalls fest entschlossen, den Satz zu beweisen.

Und wie ist das mit Stéphane? Da heißt es warten. Für Roland Barthes bestand kein Zweifel, dass dieses Warten ein sicheres Zeichen für Verliebtheit ist, denn wer verliebt ist, wartet nun mal. „Die fatale Identität des Liebenden ist nichts anderes als dieses ich bin der, der wartet.“ 

Titelbild

Daniela Engist: Lichte Horizonte. Roman.
Alfred Kröner Verlag, Stuttgart 2021.
208 Seiten, 20,00 EUR.
ISBN-13: 9783520750013

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