Verbrechen lohnt sich, nicht?

In Isabel Rohners neuem Kicherkrimi trifft „Gretchens Rache“ keine Unschuldigen

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die erfolgreiche Krimiautorin Linn Kegel ist wieder unterwegs. Diesmal sogar leibhaftig und nicht nur in der Phantasie einer missgünstigen Kollegin, die sie am liebsten tot sehen würde. Überhaupt ist diesmal einiges anders. Schickte Isabel Rohner ihre Protagonistin in Taugenixen an die Küste Spaniens, so verschlägt es Linn nun in die tiefste Provinz des deutschen Ostens, genauer gesagt in die Nähe von Schleppzig, einem „abgelegene[n] Dorf hinter Lübben“. Sah Linn ihrem Spanienurlaub noch mit Vorfreude entgegen, so graut ihr nun eher vor dem Wochenendtrip in den Spreewald. Denn diesmal erwartet sie alles andere als einige Wochen Erholung, südliche Kulinarien und Badefreuden.

Vielmehr hat sie ihr Verleger Jo Hartmann zu einer Dienstreise verdonnert, die sie auch noch mit ihm zusammen antreten muss. Glücklich angekommen werden ihnen von Nelly Nowak, der fast siebzig-jährigen Wirtin des Restaurants Zur goldenen Schlange, ein ums andere Mal Gerichte serviert, die zwar auf die unterschiedlichste Weise zubereitet werden, zu deren Bestandteilen jedoch stets heimische Gurken gehören. Es ist die stille Vergeltung der Köchin für all die klischeehaften Vorstellungen, die westdeutsche TouristInnen vom Schlage Hartmanns über ihre Heimat hegen.

Mit von der Partie sind außerdem die beiden VerlagsautorInnen Waltraud Dampf „genannte Madampf“, eine attraktive Vertreterin des akademischen Feminismus und Verfasserin einer 17-bändigen „Philosophiegeschichte des Penis“, und Giovanni Faber, „ein älterer Mittfünfziger mit edlem Halstuch und schütterem Haar“, der als „Autor von Altmännerphantasien“ einige Bekanntheit erlangte. Auch ansonsten ist er nicht eben auf der Höhe der Zeit, hält er Instagram-Influencer doch für eine neue Grippe-Variante. Natürlich fehlt auch Loretta Coppelia nicht, ebenfalls Krimiautorin in Hartmanns Verlag. Sie ist damit nicht nur Linns Sister in Crime, sondern auch deren schärfste Konkurrentin, wie das unter Schwestern ja gelegentlich vorkommen soll. Dabei ist offenbar auch Loretta eine gestandene Feministin. Zumindest hat sie einen eindeutig feministischen Roman geschrieben. Der aber wird von Linn aus nachvollziehbaren Gründen nicht sonderlich goutiert.

Linn selbst schreibt nicht nur Erfolgskrimis, sondern auch feministische Sachbücher etwa über das Frauenwahlrecht. Die verkaufen sich jedoch wesentlich schlechter, weil ihre LeserInnen sich die Bücher lieber gegenseitig ausleihen, als massenhaft in die Buchläden zu rennen. Linns Verleger führt noch einen zweiten Grund für die schlechten Verkaufszahlen von Linns Sachbüchern an: „Je komplexer ein Buch, desto kleiner die Zielgruppe“. Verständlich, dass er sie nicht gerne ins Verlagsprogramm aufnimmt.

Am Zielort erwartet Hartmann die Größen der deutschen Literaturkritik. Denn die von ihm organisierte Tagung steht unter dem Motto „Feuilleton meets Book Artists“ und soll nichts anderes als eine auflagefördernde Werbeveranstaltung sein. Zu seinem Missvergnügen sagen allerdings etliche VertreterInnen der kritischen Zunft ab. Immerhin aber kann der so gebeutelte Verlagschef am Veranstaltungsort den „eingebildeten Literaturpapst“ der Hamburger Allgemeinen Tageszeitung (HATZ) Caspar Brimborius, den „leicht zum Adipösen neigende[n]“ und stets „in existenzialistischem Schwarz“ gekleideten Roland Weissweiler, seines Zeichens ein „einflussreicher Kritiker“ von Literatur heute, und Doris Kranich, die „kapitalistische Literaturpäpstin“ das Blattes für Literarische Angelegenheiten (BLA) begrüßen. Letztere kennt sich im seit jeher patriarchalen Literaturbetrieb gut genug aus um zu wissen, warum Goethe sein bekanntestes Drama Faust nannte. Es „wäre nie so ein Erfolg geworden, hätte er das Stück Gretchen genannt“. Warum? Ganz einfach, weil sich „ein egoistisches Arschloch […] einfach besser [verkauft], als eine verarschte Frau“, wie Linn  treffsicher vermutet. Als Feministin kann sie sogar mit der überraschenden Lösung einer bislang als unbeantwortbar geltenden Frage aufwarten, indem sie aus dem Stehgreif sagen kann, ob das Huhn oder das Ei zuerst dagewesen ist. Ermöglicht wird ihr dies durch ihren klaren Blick auf die patriarchalen Verhältnisse.

Neben all den Feuilletongrößen von HATZ bis BLA hat sich auch die Praktikantin des Lokalblättchens Aynur Müller eingefunden, bei der es sich nicht, wie ihr Name erwarten lassen könnte, um eine Deutschtürkin handelt.

Am Tagungsort, einem schlichten Hotel mit dem Charme eines Automatenrestaurants, eingetroffen, eröffnet Hartmann seinen Gästen, dass er für den Abend eine kulturelle Überraschung in Form eines kleinen Theaterstückes in Auftrag gegeben hat. Für seinen Überraschungscoup hat er die Künstleragentur Ars Artis angeheuert. Deren Leiterin ist keine andere als Linns beste Freundin Bettina Heidenreich. Natürlich ist sie ebenfalls Feministin. Allerdings gibt sie der bekannten Parole „Mein Bauch gehört mir“ eine ganz neue Bedeutung. Wie es sich für eine Feministin gebührt, wartet ihre für den Abend vorgesehene Faust-Aufführung ebenfalls mit einer ganz neuen Interpretation auf. In ihrer ebenso lustigen wie originellen Inszenierung übt Gretchen Rache an ihrem Verführer. Überhaupt wird das Drama unter Verwendung gerappter Goethe-Lyrik sowie etlicher Shakespeare- und Schiller-Zitate zum „reinste[n] MeToo“.

Aufgeführt wird das Zwei-Personen-Stück von Bertram Balinski, der den Faust gibt, und Mandy-Cheyenne Fröbe als Gretchen. Im wirklichen Leben konkurrieren sie um eine weitere Rolle in einer Faust-Inszenierung, wobei er weit bessere Aussichten hat als sie. Denn er wird selbst Regie führen. Und da im Zeitalter „[f]luide[r] Geschlechterrollen“ „Geschlecht unwichtig“ sei, hat er entschieden, alle Rollen inklusive der des Gretchens mit Männern zu besetzen. Ein kritischer Hinweis darauf, wie Queerpolitik männlicher Vorherrschaft dienstbar gemacht werden kann.

Da Tagung und Geschehen voranschreiten, ohne dass sich eine justiziable Handlung anbahnen würde und sich selbst ein „blutüberströmtes“ Mordopfer nach dem tödlich Schuss wieder von den Toten erhebt, speist sich die Spannung fürs erste nicht aus der Frage, wer mordet, sondern, wer ermordet wird. Nachdem das dann irgendwann in der zweiten Hälfte des Buches geklärt ist, fährt Linn ihren bekannten nicht nur kriminalistischen Scharfsinn auf, um auch das Verbrechen aufzuklären. Anders als früher flucht sie dabei nun gerne auf Schweizerdeutsch. Allerdings kann die Autorin auch nicht verhindern, dass ihrer Figur gelegentlich ein „verdammte Axt“ rausrutscht. Wertvolle Hilfe bei der Lösung des Falles erhält sie von „Alexas dümmere[r] Schwester“. 

Die im Gewand eines Krimis die Bühne betretende Persiflage auf den patriarchalen Literaturbetrieb bedient sich sprechender, gelegentlich schreiender (AutorInnen)-Namen und verknüpft sie mit den Inhalten ihrer Werke zu einem dezenten Geflecht aus Anspielungen auf die Literaturgeschichte. Zudem vergnügt der Roman nicht nur mit zahlreichen inter-, sondern – was selbst in der post- und postpostmodernen Literatur weit seltener ist – auch mit intratextuellen Bezügen. Denn immer wieder finden sich Anspielungen auf ihn selbst.

Und wenn er einen Autor auftreten lässt, der sich erdreistet, seinem Rezensenten anzubieten, ihm bei der Besprechung seines Buches zu helfen, so geht der vorliegende Band noch einen Schritt weiter und liefert seine Rezension gleich mit.

Es sei an Eides statt versichert: Diese hier ist es nicht. Aussagen zum mörderischen Geschehen, werden hier hingegen strikt verweigert.

Verraten aber werden soll die Moral von der Geschicht: Unrecht gut gedeihet, nicht?

Titelbild

Isabel Rohner: Gretchens Rache. Kriminalroman.
Ulrike Helmer Verlag, Sulzbach/Taunus 2021.
206 Seiten, 13,00 EUR.
ISBN-13: 9783897414518

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