Gleich auf der ersten Seite, zweiter Absatz, zuckt man zusammen: Da nennt der Schriftsteller und Schauspieler Klaus Pohl den Theaterregisseur Peter Zadek einen "Zampano". Sofort denkt man: Nicht gut! Personenkult plus Klischee-Ausdruck – das wird schiefgehen. Aber es geht nicht schief. Im Gegenteil. Und je weiter man dann liest, umso mehr neigt man dazu, den "Zampano" nicht als Ausrutscher zu werten, sondern als bewusste Entscheidung des Autors, als intendierten Fehlgriff, mit dem Pohl den Leser bereits auf der ersten Seite warnt, dass sein Projekt auch ins Auge gehen könnte. Weil er nämlich auf den nächsten Seiten eine Figur beschreiben wird, die alle Klischeevorstellungen eines Zampanos erfüllt – und die dann doch zu genial ist, um nur ein abgedroschener Zampano zu sein. Oder anders gesagt: Ein bisschen Großmaxtum braucht es halt, um zum wahren, großen Theater-Moment zu kommen. Es geht nicht ohne Backen-Aufblasen.

Natürlich ist auch der Titel nicht gerade bescheiden: Sein oder Nichtsein. Andererseits ist es ja nur ein Zitat – und wenn die kühne These des amerikanischen Literaturwissenschaftlers Harold Bloom zutrifft, wonach Shakespeare uns alle erfunden hat (in unseren Gefühlen und Gedanken, in unserem ganzen Reflexionsraum, zu dem Shakespeare die Tür aufgestoßen hat), dann ist es ja kein Wunder, wenn wir in Shakespeare-Zitaten reden. Außerdem: Wie soll ein Theaterroman sonst heißen, der von Peter Zadeks legendärer Hamlet-Inszenierung aus dem Jahr 1999 erzählt? Alles, was in der deutschen Theaterwelt Rang und Namen hatte, war damals mit von der Partie – sodass die Inszenierung im Rückblick etwas von einer Abschiedstournee hatte – ein Farewell an eine Epoche, als man zum Theater pilgerte, weil es noch eine Religion war, wenn auch eine blasphemische.

In dieser Inszenierung spielte Angela Winkler Hamlet, Ulrich Wildgruber den Apparatschik Polonius, Otto Sander König Claudius und Eva Mattes Königin Gertrude, die den Meuchelmörder ihres Mannes zum Missmut ihres Sohnes geheiratet hat. Klaus Pohl selbst spielte Horatio, Hamlets engsten Freund. Nun, mehr als zwei Jahrzehnte später, hat Pohl in seine damaligen Tagebuchnotizen geschaut, um noch einmal von dieser Wunderblase zu erzählen. Es ist ein Wiederauferstehungsroman geworden, voll rasender Nostalgie, der indes die Vergangenheit nie verklärt, sondern sie mit unmittelbar schockierender Brillanz aufleuchten lässt.

Auf Zadeks Hamlet-Inszenierung liegt von Anfang an eine gewaltige Hypothek: Er hatte nämlich schon einmal Hamlet inszeniert, 1977 in Bochum, damals mit Ulrich Wildgruber als Hamlet, und diese Inszenierung und Wildgrubers Hamlet gingen in die Theaterannalen ein. Jetzt allerdings soll Wildgruber nur noch den Polonius spielen – es ist ein bisschen, als wolle Zadek ihm seine eigene Vergänglichkeit unter die Nase reiben. Das Leben geht offenbar weiter. Jetzt ist eben Angela Winkler Hamlet. Ist es aber nicht ein bisschen viel von Wildgruber verlangt, dass er selber eigenmächtig an einer Inszenierung mitwirken soll, die im schlimmsten und im besten Fall den unsterblichen Ruhm der Bochumer Aufführung übermalen wird?

Entsprechend geladen trifft Wildgruber in Straßburg ein, wo die Proben stattfinden. Aber auch bei Angela Winkler liegen die Nerven bloß. Die berühmteste Rolle der Theatergeschichte von einer Frau gespielt? Ob das wirklich so eine gute Idee ist? Und wie soll sie diese Rolle mit Leben ausfüllen vor den kritisch-hämischen Blicken Ulrich Wildgrubers? Man kann nicht sagen, dass sie scharf auf die Rolle war, aber das zählt als Ausrede sowieso nicht, denn hier gilt: "Wer Hamlet spielen will, der ist falsch besetzt." Ihr Widerwille, ihre Scheu und ihre Angst werden ihren Hamlet erst groß machen.