Ein halbes Jahrhundert lang hat der 2019 verstorbene Peter Hamm vor allem für die ZEIT Kritiken und Essays verfasst – ein eigenes Buch, etwa über seine Lieblinge Robert Walser, Peter Handke oder Fernando Pessoa, konnte oder wollte er nicht schreiben.  

Dabei war die Literatur für Peter Hamm nicht nur ein Brotberuf – er war vierzig Jahre lang Literaturredakteur des Bayerischen Rundfunks –, sondern ein Lebensretter. Nach dem frühen Tod der Mutter in Heime und Internate abgeschoben, flüchtete sich der Schulabbrecher in die Welt der Romane, die er verschlang. Sein Vorbild wurde der Schweizer Literaturkritiker Max Rychner, der sich wie Hamm später als Statthalter einer europäischen Geistesaristokratie verstand, deren Maßstäbe um keinen Preis gesenkt werden durften.

Kurz vor seinem Tod übergab er seinem Freund und Verleger Michael Krüger eine Lidl-Tüte voller verstreut publizierter Texte, die in den sechs zuvor veröffentlichten Büchern mit Literaturkritiken nicht enthalten waren. Mit dem siebten Band, von Krüger posthum herausgegeben, bereist man die literarische Landschaft zwischen Antonio Tabucchi, Philippe Jaccottet, Jan Skácel und Zbigniew Herbert mit dem Navigationssystem eines Kritikers, dessen Geschmacksnerven sich beim süchtigen Lesen der großen europäischen Literatur des 20. Jahrhunderts geschärft haben. Diese Texte aus fünf Jahrzehnten sind trotz ihrer vornehmen Eleganz nie elitär, sondern hellhörig für intellektuellen Dünkel, stets geprägt vom Glaubensbekenntnis des französisch-rumänischen "Verzweiflungsexperten" Emil Cioran: "Positiv denken ist das Gegenteil von denken."

Der Zweite Weltkrieg war für Peter Hamm, wie er in einem Essay über seinen "Ziehvater" Peter Huchel schreibt, "eine traumatische Grunderfahrung", Wurzel seines "tragischen Lebensgefühls", das ästhetische und ethische Belange zusammenführte. Unversöhnlich war der große Versöhner mit dem "ganz auf Restauration getrimmten Westen Deutschlands", der Paul Celan und Nelly Sachs lange Zeit vorsätzlich ignorierte. Doch ebenso streng geht Hamm mit der Doppelmoral Heiner Müllers ins Gericht, der die DDR "aus sicherer kapitalistischer Entfernung" und "mit einer verräterisch feudalistischen Metapher" zur "Herzkönigin" verklärte und sich selbst "im Spiegel mythischer Übergrößen" von Homer bis Tacitus in erborgte literarische Höhen erhob.

Peter Hamm hatte ein untrügliches Gespür für anmaßende Tonlagen. Entscheidend für sein Urteil war der Neigungswinkel, aus dem ein Buch auf die Welt sieht – die "Berührung der Geister, die einzig und allein auf dem Grade der Untröstlichkeit beruht, mit der Menschen auf die Vorläufigkeit dessen, was wir Wirklichkeit nennen, reagieren".

Peter Hamm: "Die Welt  verdient keinen Weltuntergang". Aufsätze und Kritiken; hrsg. v. M. Krüger; Wallstein, Göttingen 2021; 338 S., 24,– €, E-Book 18,99 €