Donald Trump mag nicht mehr Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika sein, doch auf den Neuerscheinungstischen der Buchhandlungen dominiert weiterhin sein grimmiges Konterfei. Denn auch nach dem unwürdigen Ende einer unwürdigen Präsidentschaft, nach der "großen Lüge" vom angeblichen Wahlbetrug, nach tödlichen Unruhen am 6. Januar lässt Trump die US-Publizistik nicht los. Eine ganze Reihe Bücher erzählt nun das letzte Jahr der ersten Präsidentschaft Donald Trumps nach (wer weiß, ob nicht doch noch eine zweite folgt). Und in Anbetracht der dreisten Geschichtsklitterung, die der Ex-Präsident und seine vielen Steigbügelhalter in der republikanischen Partei seit Januar betreiben, ist es sicherlich wichtig, das Jahr der Pandemie, der "großen Lüge" und des Putschversuchs noch einmal im kollektiven Gedächtnis der Öffentlichkeit zu verankern. 

Viele der Bücher stammen von Journalisten, die Trump seit spätestens 2016 begleiten: Seine eigenen Berater mag Trump während seiner Präsidentschaft alle paar Monate gewechselt haben, die von ihm verhassten Medien aber sind ihm seltsam treu geblieben. Der einstige Watergate-Enthüller Bob Woodward allein hat den Trump-Kanon in den vergangenen drei Jahren mit den Büchern Fear (2018), Rage (2020) und jetzt mit dem in dieser Woche in englischer Sprache erschienenen Werk Peril bereichert; letzteres hat er zusammen mit seinem Washington-Post-Kollegen Robert Costa verfasst, die deutschsprachige Übersetzung ist für Januar 2022 angekündigt.

Michael Wolff schloss ebenfalls eine Trilogie von Trump-Wälzern nun mit Landslide ab; Woodwards und Costas Washington-Post-Kollegen Carol Leonnig und Philip Rucker haben mit I Alone Can Fix It gerade eine Fortsetzung zu A Very Stable Genius (2020) vorgelegt; Michael C. Bender vom Wall Street Journal steuerte kürzlich Frankly, We Did Win This Election bei; bereits im vergangenen Herbst erschien mit What Were We Thinking des Washington-Post-Sachbuchredakteurs Carlos Lozada ein Buch über alle bis dahin erschienenen Trump-Bücher. Aktuell sind die Erzähler dieser Präsidentschaft an dem Punkt angekommen, andem aus Trump, dem gefährlichen Volkstribun, nun Trump, die (auch tragische) Figur des eigenen Untergangs wird – Wotan im Walhall, einen Big Mac fest in Händen. 

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Tatsächlich bemerkt man bei der Lektüre von Woodwards und Costas Buch Peril immer wieder, wie stark die vorsätzliche Reizüberflutung der Trump-Jahre durch den Mann selbst auch die genaue Erinnerung erschwert. Es ist objektiv viel passiert im (vorerst) letzten Jahr von Donald Trumps Präsidentschaft. Aber das Irrlichternde dieses Präsidenten und seine Kunst, die Medien zu Komplizen seiner eigenen Impulsivität zu machen, verunklaren noch jedenfalls das Ordnende und Klärende, das üblicherweise im Rückblick entsteht. Erstes Impeachment, "Chinavirus", Bleichetrinken, der gewaltsam erzwungene Fotoauftritt mit Bibel vor der Kirche St. John's, der Krankenhausaufenthalt des Corona-Patienten Trump im Militärkrankenhaus Walter Reed, Four Seasons Total Landscaping, Q Shaman, zweites Impeachment – aus diesen Bruchstücken ließe sich ein neues We Didn’t Start The Fire über die USA von Januar 2020 bis Januar 2021 texten.

In Peril lassen Woodward und Costa ungefähr anderthalb Jahre Revue passieren: nicht nur den Fall Trumps, sondern auch den Aufstieg Joe Bidens. Die Fakten, die Woodward und Costa präsentieren, dürften den meisten Leserinnen noch geläufig sein; besonders interpretierungsfreudig sind die beiden Autoren auch nicht. Das Bild, das sie zeichnen, enthält wenig Überraschendes.

"Real Housewives of Führerbunker"

Gewiss, wie immer bei Woodward, dem prominentesten Chronisten aller US-Präsidenten, die seit Richard Nixon das Amt innehatten, gibt es einige Details, die bisher unbekannt waren. Wie ernsthaft etwa Trump mit dem Gedanken spielte, den Iran anzugreifen; wie sehr er nach der verlorenen Präsidentschaftswahl offenbar den Bezug zur Realität verlor; wie nervös chinesische Offizielle auf die Entwicklungen in den USA reagierten. Dann gibt es Details, die hinreichend bekannt sind und nun nur weiter ausgemalt werden: zum Beispiel, wie wenig die Menschen in Trumps Umgebung einander ausstehen konnten. Wie immer fallen in Trumps Dunst ordentlich Kraftausdrücke, Trumps letzter US-Justizminister William Barr etwa nennt Trumps Anwalt Rudy Giuliani einen "beschissenen Spinner". Es wird bei Woodwards Trump-Dämmerung derart viel hinter den Kulissen geraunzt, dass man manchmal meint, einer Show namens Real Housewives of Führerbunker beizuwohnen, nur mit fast rein männlicher Besetzung.

Peril ist aber eben auch ein Buch über Joe Biden und die Menschen in dessen Umfeld. Das muss man nur der Vollständigkeit halber erwähnen, weil Woodward und Costa es im Buch genauso halten. Die Kapitel über Bidens Infrastrukturgesetz sind sogar mit die interessantesten Teile des Buchs; aber die Scoops, die seit einigen Tagen durch die Medienlandschaft geistern, haben damit nichts zu tun, sondern sind allesamt Enthüllungen über die Entgleisungen von Bidens Amtsvorgänger. Trump zieht noch immer alle Aufmerksamkeit auf sich.

Warum das Buch nicht einfach mit dessen Rückzug nach Mar-a-Lago endet, bleibt das Geheimnis der Autoren – viele der Konkurrenztitel tun genau das. Dabei wäre ein wirklich interessantes Buch denkbar, das den Übergang zwischen diesen zwei Präsidentschaften genauer beleuchtet. Das Problem ist, dass Bücher wie das von Woodward und Costa dieses letzte Amtsjahr Trumps und überhaupt dessen Präsidentschaft als dezidierte Anomalie darstellen: Wie erwartet endete alles im Chaos, nur mochte sich vorher niemand vorstellen, wie genau; nun wirkt der Schluss folgerichtig, der Kreis des Schreckens schließt sich, die Anomalie wird erzählerisch abgekapselt. Doch sowohl das Gros der amerikanischen Historiker als auch viele Aktivistinnen etwa der Women's Marches und von Black Lives Matter betonen seit Jahren das genaue Gegenteil: die unheilvolle Kontinuität, die Trump mit sehr alten Strukturen der White Supremacy und des Patriarchats in den USA verbindet und die auch nach dem Ende seiner Amtszeit fortdauert. Gerade nicht nur in Gestalt Trumps, der weiter bei Kundgebungen auftritt und so mindestens simuliert, er sei entweder der eigentlich rechtmäßige US-Präsident oder im Wahlkampfmodus für die kommende Präsidentschaftswahl im Jahr 2024.