Konrad Hummler schreibt seine Memoiren und kreist laut schweigend um ein Schwarzes Loch namens Bank Wegelin

Der St. Galler Bankier ritt im Steuerstreit mit den USA die damals älteste Schweizer Privatbank in den Abgrund. In seinen Aufzeichnungen zu seiner Herkunft klammert er diesen beruflichen Tiefschlag aus und sagt doch ein paar aufschlussreiche Sachen.

Roman Bucheli
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Konrad Hummler war Unternehmer und Bankier und ist heute neben anderem der Mäzen der von ihm gegründeten St. Galler Bach-Stiftung.

Konrad Hummler war Unternehmer und Bankier und ist heute neben anderem der Mäzen der von ihm gegründeten St. Galler Bach-Stiftung.

Annick Ramp / NZZ

Franz Kafkas Tagebucheintrag vom 2. August 1914 ist legendär: «Deutschland hat Russland den Krieg erklärt. – Nachmittag Schwimmschule.» Erst für uns Nachgeborene klaffen hier Weltgeschichte und Alltag eines Dichters in verstörender Weise auseinander. Kafka konnte schon darum nicht ahnen, welches Gemetzel die Welt in den vier kommenden Jahren sehen würde, weil es jenseits jedes Vorstellungshorizonts lag.

Etwas Ähnliches und doch nicht Vergleichbares beschert uns Konrad Hummler, der ehemalige Chef der Bank Wegelin, mit seinen eben als Buch erschienenen «Aufzeichnungen zur Herkunft eines Unangepassten». Das sind zwar noch nicht Memoiren in einem herkömmlichen Sinn, aber Hummler erzählt darin nicht ausschliesslich von seiner Kindheit in St. Gallen oder von seinen Erlebnissen als Pfadfinder. Die Aufzeichnungen brechen zwar gegen Ende des Studiums ab, dennoch flimmert alles Spätere zwischen den Zeilen mit.

Sehenden Auges ins Verderben

Doch es flackert nicht nur zwischen den Zeilen, manchmal kommt Konrad Hummler sogar in ganz handfesten Andeutungen auf das zu sprechen, was die Leser seiner Aufzeichnungen mehr als jedes Pfadi-Abenteuer interessiert: Wie um alles in der Welt kam dieser hochgebildete Unternehmer dazu, eine seit 1741 bestehende Privatbank sehenden Auges gegen die Wand zu fahren?

Gegen Ende des Buches lautet eine Aufzeichnung: «Montag, 27. Mai 2013, am tiefsten Punkt meiner beruflichen Lebenskrise, besuchte ich meinen ehemaligen Pfadfinderkollegen . . .» Und was bezweckt der Besuch? Konrad Hummler will das Jonglieren mit Bällen lernen. Klingt das nicht fast nach Kafka? Auch hier treffen zwei vollkommen disparate Beobachtungen aufeinander, die in einen geradezu grotesk disproportionierten Zusammenhang gestellt werden.

Erfahren wir etwas darüber, was dem 27. Mai 2013 vorausging? Darüber, wie es zur beruflichen Lebenskrise gekommen war? Wie die Bank Wegelin von den Amerikanern zerquetscht wurde und was dazu geführt hatte? Nichts von alledem, es geht nur noch darum, wie die Angst vor Bällen, die Hummler seit der Kindheit quält, überwunden werden kann.

Man versteht nicht, was der Verlust einer Bank, das Schuldeingeständnis in den USA und die Millionenbusse zu tun haben mit der Kränkung des Kindes, das keinen Ball aufzufangen vermochte. Und noch weniger begreift man, wie die berufliche Niederlage kuriert werden soll mit einem zweistündigen Crashkurs im Jonglieren. Jedoch offenbart sich spätestens an dieser Stelle der Aufzeichnungen, welches Schwarze Loch in ihrem Zentrum steht und sehr laut beschwiegen wird.

Eine Erleuchtung in Alaska

Natürlich weiss Hummler, was seine Leser von solchen Aufzeichnungen erwarten und dass er solche Erwartungen in aufreizender Weise unterläuft. Und ebenso muss ihm klar sein, dass jede Episode, die er aus Kindheit, Jugend oder dem Studium erzählt, von den Lesern daraufhin befragt wird, ob sie etwas preisgibt über die späteren Ereignisse. Hummler ist aber auch schlau genug, immer wieder deutliche Winke zu geben, wie er der wurde, der er ist.

Das kulminiert in der letzten Episode des Buches. Hummler beendet seinen Studienaufenthalt in den USA mit einer Reise nach Alaska, ehe er in die Schweiz zurückkehrt, um hier zu doktorieren. Im hohen Norden begegnet er einem Mikrobiologen, der ihn in philosophische Gespräche verwickelt und ihm zum Abschied einen Floh ins Ohr setzt. Ob er Paul Feyerabend kenne, den Philosophen aus Wien, seine Hauptaussage laute: «Anything goes.» Das war das Mantra für die Rückkehr – und für alles Weitere: Grenzen sind dazu da, überwunden zu werden.

Konrad Hummler: Aus der Frohburg. Aufzeichnungen eines Unangepassten. Edition Königstuhl, St. Gallenkappel 2021. 168 S., Fr. 27.90. – Konrad Hummler war von 2002 bis 2012 Verwaltungsrat und zuletzt Verwaltungsratspräsident der «Neuen Zürcher Zeitung».

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