Tsitsi Dangarembga: "Überleben"

Verinnerlichte Verachtung

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Cover des Buchs "Überleben" von Tsitsi Dangarembga.
Herausfordernd, kompromisslos und hoffnungsvoll: das neue Buch von Friedenspreisträgerin Tsitsi Dangarembga. © Deutschlandradio / Orlanda
Von Sonja Hartl · 25.09.2021
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Mit "Überleben" schließt die simbabwische Autorin Tsitsi Dangarembga ihre Trilogie um Tambudzai Sigauke ab. Für diese gibt es kein Entrinnen aus einem Leben, in dem Frauen weniger Wert sind als Männer. Das Schlimmste aber: Tambu glaubt selbst daran.
Nachdem sie ihren Job in einer Werbeagentur gekündigt hat, lebt Tambudzai Sigauke in einem Wohnheim für junge Frauen, für das sie eigentlich zu alt ist. Und nicht nur aus ihrer Unterkunft scheint sie herausgewachsen: Als unverheiratete, kinderlose, mittelalte Frau vom Dorf hat sie in Harare trotz ihrer guten Ausbildung so gut wie keine Chance auf einen Neuanfang.
Deshalb hält sie sich in Tsitsi Dangarembgas "Überleben" konstant ihr eigenes Versagen vor, während sie immer wieder neue Anläufe unternimmt, etwas aus ihrem Leben zu machen – und scheitert.

Eine entfremdete Frau

Vorwürfe und Selbsthass durchziehen Dangarembgas Roman, den dritten Teil der Trilogie über Tambudzai Sigauke. Aus dem selbstbewussten Mädchen im ersten Teil ("Aufbrechen") ist in "Überleben" eine Frau geworden, die mit einer inneren Distanz auf sich und ihr Leben blickt.
Erzählt wird überwiegend im Präsens und aus der Du-Perspektive, meistens spricht Tambu sich selbst wie von außen an, gelegentlich wird diese Ansprache aber auch von anderen Figuren übernommen. Diese faszinierend-beunruhigende und herausfordernde Erzählhaltung erzeugt eine Unmittelbarkeit beim Lesen; sie lässt an Tambus zunehmender Entfremdung von sich selbst teilhaben, ohne dass man sich entziehen kann.

Von historischen Bedingungen geformt

Für Tambu gibt es kein Entrinnen aus diesem Leben, aus einem Land, in dem Leistung und Einsatz nicht belohnt werden. Sie zieht aus dem Wohnheim aus, arbeitet als Lehrerin, landet im Krankenhaus und bekommt schließlich eine Anstellung in einem Touristikunternehmen.
Es sind Episoden aus ihrem Leben, die von gesellschaftlichen und historischen Bedingungen geformt werden. Simbabwes Regierungsapparat ist Ende der 1990er-Jahre zunehmend korrupt, die Spannungen zwischen den weißen Nachfahren der Kolonialisten und der schwarzen Bevölkerung nehmen zu. In Harare türmt sich der Müll, die Verwaltung ist überfordert und untätig.

Gegenspielerinnen im Kampf um Erfolg

Tambu verkörpert eine Generation von Frauen in Simbabwe, die jeden Tag um das titelgebende Überleben kämpfen müssen. In ihr Leben haben Kolonialismus und Sexismus den Gedanken eingeschrieben, sie seien weniger wert. Diesen Blick auf sich selbst hat Tambu verinnerlicht und schaut auf andere Frauen genauso verächtlich.
In ihnen sieht sie lediglich Gegenspielerinnen im Kampf um Erfolg und genießt ihr Scheitern. Tsitsi Dangarembgas großartiger Roman fordert gleichermaßen Respekt wie Empathie für dieses Leben ein - ein herausforderndes, kompromissloses und hoffnungsvolles Unterfangen für ein fiktionales Werk.

Tsitsi Dangarembga: "Überleben"
Aus dem Englischen von Anette Grube
Orlanda Verlag, Berlin 2021
376 Seiten, 24 Euro

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