Philipp Otto Runges Briefe – in vier Bänden herausgegeben von York-Gothart Mix

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Für die Romantiker v. Arnim, Brentano, Görres, Tieck, Steffens, die Brüder Schlegel und Grimm, aber auch für Goethe war Philipp Otto Runge ein epochemachender Künstler, der „alles umfassen“ konnte. Enthusiasmiert schreibt Johanna Schopenhauer 1807 an ihren Sohn Arthur, als der Hamburg besucht: Mache „doch um Gottes willen, daß Du den Runge kennen lernst; Dir kann in Hamburg nichts Interessanteres widerfahren als die Bekanntschaft“. Runge war – neben Caspar David Friedrich – nicht nur der bedeutendste deutsche Maler der Frühromantik, sondern auch einer der vielseitigsten Künstler des 19. Jahrhunderts, „ein Individuum, wie selten geboren“, wie Goethe urteilte. De facto ist Runges Wirkung unübersehbar, sie lässt sich bei Schinkel, in der Farbtheorie des Bauhauses bei Paul Klee und Johannes Itten, den Kinderportraits der Neuen Sachlichkeit bis in die Kunst der Gegenwart, etwa den Werken der Leipziger Schule, nachweisen.

Wir sind, schreibt Runge 1802, „keine Griechen mehr, können das Ganze schon nicht mehr so fühlen, wenn wir ihre vollendeten Kunstwerke sehen, viel weniger selbst solche hervorbringen, und warum uns bemühen, etwas mittelmäßiges zu liefern?“ Er verwarf jede Aktualisierung antikisierender Heroisierung oder arkadischer Idyllik, sein Ideal war eine sich in der Universalität der Kunst offenbarende Einheit von Natur und Kosmos. Als Wegbereiter einer europaweit wirksamen Romantik konkretisierte Runge seine schroff gegen den klassizistischen Akademismus gerichtete Ästhetik in seiner Kunst und in seinen Briefen. Runge redet mehr, als er schreibt, seine Briefe sind, von wenigen Ausnahmen abgesehen, nah am authentischen Sprechen und frei von den Moden zeittypischer Briefsteller. In seiner spontanen Negation jeder Manier dokumentiert sich die Freiheit des romantischen Künstlers. Materiell als nicht marktkonformer Maler zu Lebzeiten erfolglos, blieb die Unterstützung durch den weitverzweigten Familienverband für ihn eine existentielle Frage.

Die bei Brill/Ferdinand Schöningh publizierten vier Bände, herausgegeben von York-Gothart Mix, bieten erstmals alle Briefzeugnisse und stellen die im Autograf erhaltenen Quellen textkritisch nach Maßgabe editionswissenschaftlicher Kriterien vor. Damit ersetzt diese Edition auch die von K. F. Degner 1940 unter völkischen Vorzeichen publizierte Ausgabe, die aufgrund von Unstimmigkeiten und Lesefehlern die Briefe keineswegs authentisch abdruckt. Runges eigenwillige Orthografie, Zeichensetzung und Grammatik, verursacht durch seinen sporadischen Schulbesuch, wurden beibehalten und nicht, wie in anderen Publikationen verschiedener Textzeugnisse, kurzerhand modernisiert oder en passant korrigiert. Der Kommentar liefert Informationen über alle erwähnten Personen, künstlerische, literarische, wissenschaftliche oder musikalische Werke, konkrete Sachverhalte und historische Zusammenhänge. In den Briefen erwähnte Chiffren, Kosenamen, Verballhornungen oder Pseudonyme werden aufgeschlüsselt. So steht beispielsweise der Name „Mereau“ nicht für die Dichterin Sophie Mereau, sondern für die Hauskatze der Schwester Runges. Skizzen wurden berücksichtigt, erstmals werden auch Mitteilungen anderer Briefschreiber, die sich auf demselben Bogen finden, transkribiert und aufgenommen.

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Philipp Otto Runge: Briefe und Schriften Bd. 1: Briefe 1795-1803.
Hg. von York-Gothart Mix.
Ferdinand Schöningh Verlag, Paderborn 2021.
XXX+372 Seiten , 89,00 EUR.
ISBN-13: 9783506788436

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Philipp Otto Runge: Briefe und Schriften. Bd. 2: Briefe 1795-1803. Kommentar.
Hg. von York-Gothart Mix.
Ferdinand Schöningh Verlag, Paderborn 2021.
VI+295 Seiten , 89,00 EUR.
ISBN-13: 9783506793065

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Philipp Otto Runge: Briefe und Schriften. Bd. 3: Briefe 1804-1810.
Hg. von York-Gothart Mix.
Ferdinand Schöningh Verlag, Paderborn 2021.
VIII+366 Seiten, 79,00 EUR.
ISBN-13: 9783506793041

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Philipp Otto Runge: Briefe und Schriften. Bd. 4: Briefe 1804-1810. Kommentar.
Hg. von York-Gothart Mix.
Ferdinand Schöningh Verlag, Paderborn 2021.
VI+387 Seiten, 89,00 EUR.
ISBN-13: 9783506793034

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