Lateinamerikanische Kriminalromane

Der süße Duft des Mordes

56:15 Minuten
Eine Braut in weißem Hochzeitskleid mit Baseballschläger.
Die Lust am Kriminalroman ist universal. Dabei geht es nicht nur um das Lösen eines Falls. Der Krimi kann auch ein Mittel der Subversion sein. © imago images/Panthermedia
Von Peter B. Schumann · 23.01.2022
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Kriminalromane sollten natürlich spannend sein. Entstehen sie in Lateinamerika, befördern sie die Leser gern zu Ermittlern, bringen dem Machismo vernichtende Niederlagen bei – oder verärgern gar den Staatschef.
An Jorge Luis Borges kommt man in Lateinamerika nicht vorbei. Der alles überstrahlende Nestor der Literatur auf dem Kontinent begründete in 1940er-Jahren – neben einigem anderem – auch das Genre der Kriminalromane. Seine Vexierspiele stehen am Anfang der sogenannten ludischen, also spielerischen Tradition. Daneben gibt es natürlich weitere Traditionen, denen gefolgt werden kann oder auch nicht. Und manchmal fehlen sie gleich ganz, wie Mercedes Rosende meint:

In Uruguay gibt es keinerlei Krimitradition. Die Autoren lassen sich an den Fingern abzählen. Erst nach der Diktatur in den 1980er-Jahren traten einige wenige in Erscheinung. Und dann begann im letzten Jahrzehnt ein Verlag damit, Krimis zu publizieren und legte diese alten wieder auf. Doch eine bescheidene Anzahl ergibt noch keine Tradition.

Mercedes Rosende, Schriftstellerin

Zuverlässig schlampig

Vielleicht hat Mercedes Rosende beinahe im Alleingang eine Tradition begründet. Sie wurde international berühmt mit einer Trilogie über eine ungewöhnliche Heldin: Ursula ist Mitte 40, übergewichtig, übellaunig, neidisch sowie zuverlässig schlampig gekleidet. Sie schlägt sich listig mit harten Burschen herum, scheut in schwierigen Situationen auch vor einem Mord nicht zurück und vernachlässigt moralische Einwände durchaus nicht – sie fallen ihr nämlich gar nicht erst ein.

Ermittelnde Leser

In Uruguays Nachbarland Argentinien werden Autoren wie Guillermo Martínez oder Ricardo Piglia der von Borges begründeten ludischen Generation zugerechnet. In ihren Romanen ermitteln Figuren, deren Arbeit von aufmerksamen Lesern begleitet wird. Linus Guggenberger, Lektor im Verlag Klaus Wagenbach, sagt:

Beide sichern, wenn man so will, Spuren: Sie suchen nach Indizien, versuchen, Mehrdeutiges zu ergründen, und suchen manchmal bis zur Paranoia nach so etwas wie Wahrheit. Deshalb sind die Ermittelnden häufig philosophisch-literarisch sehr bewandert. Oft sind es Intellektuelle, Literaturwissenschaftler:innen oder gleich Autor:innen, weil sich ja in der Fiktion der Kriminalromane auch die Idee etabliert hat, dass Ermitteln eine sehr kreative, Talent und Scharfsinn erfordernde Tätigkeit ist.

Linus Guggenberger, Lektor

Unterhaltsame Subversion

In Ländern mit allmächtiger Zensur, die auf dem Kontinent nicht allzu selten sind, können Kriminalromane ein Mittel der Subversion sein. Im Gewand harmloser Unterhaltung benennen Autoren Zustände und Verhältnisse, die das Licht der Öffentlichkeit sonst nicht erblicken könnten.
In Kuba ist es Leonardo Padura gelungen, den Krimi aus der ideologischen Umklammerung zu lösen und ihm eine evident sozialkritische Funktion zu verleihen. In Nicaragua hat Sergio Ramírez allerdings erfahren müssen, dass das Austricksen der Zensur schön und befriedigend ist, aber nicht alles: Kaum war sein neues Werk erschienen, erließ das Regime des Staatspräsidenten Daniel Ortega einen Haftbefehl gegen ihn.
Kriminalromane müssen auch in Lateinamerika spannend sein. Wenn sie dann noch den Staatschef verärgern, ist die Frage, ob es ihnen möglicherweise an Tradition ermangelt, durchaus lässlich.
(pla)
Das Manuskript der Sendung können Sie hier herunterladen.

Es sprechen: Eva Meckbach, Ilka Teichmüller, Martin Engler, Robert Frank und der Autor
Ton: Ralf Perz
Regie Stefanie Lazai
Redaktion: Jörg Plath

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