In seiner Geschichte hat der Klagenfurter Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb sicherlich schon einige wunderbare letzte Sätze gehört, doch Juan S. Guse fügte in seiner Lesung an diesem Samstag noch einen besonders schönen hinzu: "Noch nie hatte sie so viel Angst vor einer Stange Toblerone."

In Guses Text Im Falle des Druckabfalls findet sich eine obskure Expeditionsgruppe im Taunus wieder, angeblich wurde dort eine neue Zivilisation entdeckt, nackt, nur mit Helm bekleidet, und am Ende betritt diese Forschungsgruppe den "Nachbau" des Frankfurter Flughafens, der womöglich in Wahrheit der echte Frankfurter Flughafen ist, und plötzlich stellen sich alle Grundprämissen der ohnehin koketten, ironisch-absurden Erzählung auf den Kopf: Die Beobachtenden sind die Beobachteten und man weiß nicht, wer hier am Ende so hübsch die ganze Zeit über alte Menschheit gespielt hat und wer tatsächlich schon dazugehörte. Guses Text, von der ohnehin oft treffsicheren Jurorin Mara Delius geladen, war mit einigem Abstand der stärkste Beitrag des Wettbewerbs, löste das ein, was bisweilen von der Jury zuvor oft zu anderer Gelegenheit bloß dahinbehauptet wurde: Originalität, sprachliche Souveränität, Offenheit, Mehrdeutigkeit und existenzielle Komik. Angesichts seiner Erzählung fiel das Feld der anderen Texte bis auf wenige Ausnahmen leider überwiegend in Biederkeit und Unerheblichkeit zusammen.

Doch bevor man nun wieder in die allfällige, rituelle Klage über das selbstbewusste Mittelmaß und die plattgetrampelten Erzählpfade der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur verfallen kann, in die Fragen, was überhaupt ein "wichtiger Text" sei (irgendwas mit weltanschaulicher Betriebsamkeit) und was um Himmels willen ein "Gänsehauttext" (irgendwas mit berührenden Gefühlen), kann man erst einmal sagen: Schön, dass alles wieder da ist. Die 14 Autorinnen und Autorinnen, die sieben Jurymitglieder, das ORF-Theater mit Außenbereich, der Wörthersee, die Wörter "Bewerb" und "heuer" und das grundlegende Einverständnis darüber, dass stundenlang Literatur im Fernsehen doch ganz festlich ist, selbst wenn es dabei recht erschütterungsfrei zugeht.

Nach zwei Jahren coronabedingtem Mindestprogramm waren die 46. Tage der deutschsprachigen Literatur wieder im Normalbetrieb, sogar mit einigen Neuerungen in Ablauf und Lese- und Diskutierlogistik. Die Jury saß im Studio vor Publikum, die Autorinnen und Autoren vor dem ORF-Theater im Garten und diese Zweiteilung ließ offen, wer nun die Hauptattraktion sein sollte. Das Eigentümliche am Klagenfurter Wettbewerb ist seit seiner größeren Medialisierung, dass es um die Texte ungefähr in dem Maße geht wie um die Performanz von deren Kritik und dem allgemeinen Gerede vor der Tür, am See und im Internet.

Der Bachmannpreis ist so vor allem eine ganzheitlich soziale Literaturveranstaltung, die einerseits das Gespräch über Literatur glücklicherweise für ein paar Tage stärker ins Bild rückt, als eine Zeitungsbeilage zur Buchmesse es je könnte, andererseits sich robust am schmalen Grat des puschelig Lesetantenhaften und der verklärten Literaturandacht entlang organisiert. Die Qualität des Gelesenen spielt am Ende wohl eine untergeordnete Rolle, die Hauptsache sind die Texte, egal, wie die sind. Und das ist auch in Ordnung. "Hätten wir das Wort, hätten wir die Sprache, wir bräuchten die Waffen nicht" – dass Ingeborg Bachmanns zittriges Pathos von der Ohnmacht der Literatur gegen die Verhältnisse, selbst bereits zum Kalenderspruch heruntergekommen, dann auch auf den Liegestühlen vor dem Klagenfurter ORF-Theater steht, ist dann gar nicht mehr so schlimm. Vielleicht war es aber nicht nur eine sonderbare, sondern auch ästhetisch eine fragwürdige Entscheidung, die Autorinnen und Autoren nach draußen zu verlegen, schließlich sagt kaum etwas so laut "Und jetzt liest Onkel Hartmut noch ein paar selbst geschriebene Limericks fürs Brautpaar vor" wie eine Gartenbühne.

Gegen diesen Eindruck mussten die Autoren dann auch noch antreten, was manchen immerhin gelang: Alexandru Bulucz' Beitrag Einige Landesgrenzen weiter östlich, von hier aus gesehen erzählte auf sprachschöpferische, stilbewusste Weise von Heimat und Heimatlosigkeit. In ihrem farbigen, still komischen Text Wechselkröte befragte Ana Marwan den Mythos des Landidylls und der Einsamkeit aus dem Dazwischenreich einer Frau, die ihr Leben am Fenster verbringt und Blusen bestellt. Und die Österreicherin Barbara Zeman restaurierte Ingeborg Bachmanns Undine-Erzählung mit etwas zu viel Zitattrödel und Stimmungsmalerei, aber auch in kraftvoller Lakonie: "Wir sehen nicht Wasser, nicht Land und wo ist der Himmel. Abseits der Nacht sind wir."

Die Jury, deren Zusammensetzung dieselbe war wie in den vorigen Jahren, war noch überwohlwollender als zuvor. Sie war froh, wenn sie "das Politische" an Texten entdecken konnte, auch wenn die Texte von selbst bisweilen gar nicht so viel davon hergaben. Die Jurorin Vea Kaiser fand auf ratlose Weise sehr viel "großartig", Philipp Tingler, in seiner inzwischen Folklore gewordenen Rolle als Bad Guy, verhaute "die Literatur" an sich gern mit Forderungskatalogen und Modalverben, dass man sie jetzt gerne eine Weile in Franzbranntwein einlegen möchte. Doch überwiegend war Harmonie. An den Großmütterleinklischees im Text von Eva Sichelschmidt über das Sterben einer alten Frau fand die Jury einhelliges Gefallen. Auch die aus allseits bekannten Genreversatzstücken zusammengeschaufelte Gangsterknasterzählung von Behzad Karim-Khani kam überraschend zu mehrheitlichem Lob. Selbst nachdem der wohl misslungenste Beitrag des Wettbewerbs, Leona Stahlmanns Dieses ganze vermeidbare Wunder, in Körperschwulst und Mutterkitsch, rousseauscher Naturüberhöhung, Klimakrisenerwartung und stilistischer Umständlichkeit luxuriert hatte, konnte ein Großteil der Jury noch "Souveränität" darin entdecken. Es war letztlich Tingler, der daran die "Konfektionsreize einer Innerlichkeit" bemängelte, "die im Moment gefragt ist".

Gemessen an der Begeisterung der Jury dürften zu den Favoriten nun Juan S. Guse, Ana Marwan, Alexandru Bulucz und vermutlich auch der Autor Elias Hirschl gehören, der als letzter Autor des Wettbewerbs eine Satire auf die deformierte Sprache der Start-up-Industrie, seiner hysterischen Heilsversprechen und Verdorbenheit vortrug, vielleicht zu lang, aber immerhin gelang ihm alles, was er damit vorhatte. Die fünf Preisträgerinnen und Preisträger werden nun traditionell am Sonntag verkündet. In der Nacht, so heißt es, wird die Jury im Geheimen Punkte vergeben, auch das ist neu. In den vergangenen Jahren durften die Zuschauer vor der Vergabe quälend mitansehen, wie die Jury sich einig wurde, indem sie im Wesentlichen wieder und wieder dieselben Namen sagte, bis der Abstimmungsprozess beendet war. Dass dieses zähe Schauspiel reformiert wurde, ist eine gute Nachricht. Hinterzimmer sind ja manchmal gar doch nicht so schlecht.