Amerikanische Geschichte:Von Kopfgeldjägern bedroht

Lesezeit: 2 min

Die Schriftstellerin Harriet Tubman, zwischen 1860 und 1875. (Foto: H.B. Lindsley/AP; AP)

Die Geschichte der Harriet Tubman, der Vorkämpferin der Sklavenbefreiung beim legendären "Undergrund Railroad", erzählt von der Schriftstellering Ann Petry.

Von Michael Schmitt

Unter dem Eindruck der Black Lives Matter-Bewegung hat auch die Tradition der Schwarzen amerikanischen Literatur mehr Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Es sind neue Bücher erschienen, aber auch alte und klassische Texte wiederentdeckt worden. Ann Petry ist eine der Schriftstellerinnen, deren Werke nun auch in deutschen Übersetzungen vorliegen. Ihre Romane, etwa "Die Straße" oder "Country Place", sind in den späten 40er- und 50er Jahren international erfolgreich. Sie veröffentlicht aber auch Jugendbücher, von denen sich eines 1955 dem Leben von Harriet Tubman widmet, jener um 1820 geborenen und 1913 verstorbenen Vorkämpferin der Sklavenbefreiung, deren Porträt eigentlich schon seit 2016 die Zwanzig-Dollar-Note schmücken soll - was von Donald Trump jedoch hintertrieben worden ist.

Ann Petry zeichnet das Bild einer Schwarzen Frau, die oft in Männerkleidern unterwegs und stets bewaffnet ist,

Ann Petry erzählt von dieser Frau in romanhaften Szenen, reichert jedes größere Kapitel zudem mit einem Anhang zur Geschichte der Sklaverei an. So folgen Leserinnen und Leser dem Weg eines Mädchens, das in Maryland als Kind von Sklaven geboren wird und schon als Sechsjährige, zeitweise fern von ihren Eltern, hart arbeiten muss. Als junge Erwachsene flieht sie in den Norden der USA, wo seit den 1830er Jahren die abolitionistische Bewegung an Kraft gewinnt und sich im Verborgenen jene illegale "Underground Railroad" organisiert, die, getragen von Schwarzen und Weißen, auf riskanten Wegen schon lange vor dem amerikanischen Bürgerkrieg etwa 1000 Menschen pro Jahr in die Nordstaaten oder auch nach Kanada schmuggelt.

Harriet Tubman wird zu einer treibenden Kraft dieser Underground Railroad, die sich von der "Eisenbahn" nur den Namen leiht. Kaum selbst im Norden angekommen, kehrt sie nach Maryland zurück, um ihre Familie und anschließend rund 600 weitere Menschen in die Freiheit zu führen: auf nächtlichen Wegen und in Verstecken, bedroht von Kopfgeld- und Sklavenjägern, rücksichtslos gegen sich selbst, fordernd auch im Umgang mit denen, die sich ihr anvertrauen. Ann Petry zeichnet das Bild einer Schwarzen Frau, die oft in Männerkleidern unterwegs und stets bewaffnet ist, die im Bürgerkrieg auch als Spionin der Nordstaaten arbeitet - und für all das offiziell erst nach Jahrzehnten spärlichen Dank erfährt.

Plastischer als in diesem Buch kann man davon kaum erzählen - schade daher, dass die deutsche Übertragung von Hella Reese bei Nagel & Kimche bislang nicht offensiv als ein Werk für junge Menschen beworben wird. Schade auch, dass eine gewisse Halbherzigkeit den Umgang mit dem Text prägt: Einerseits liegt der Übertragung eine alte amerikanische Ausgabe von 2006 zugrunde - während in den USA schon 2018 eine neue Auflage mit einem Vorwort des radikal-aktivistischen Schwarzen Schriftstellers Jason Reynolds erschienen ist, der eine Brücke zwischen Ann Petrys Werk und der Gegenwart von #Black- Lives-Matter baut. Andererseits bemüht sich die Übersetzung jedoch um jene sprachlich-moralische Korrektheit, die neuen Texten geziemt, in diesem Fall aber einer Erzählerin die damals gebräuchlichen Vokabeln "negroes" oder "indians" korrigiert, mit denen sie jungen Menschen vor fast siebzig Jahren von der gemeinsam erfahrenen Diskriminierung berichten will.

Das kann man machen, aber 1955 ist das Jahr, in dem Emmett Till ermordet wird und in dem Rosa Parks in Montgomery ihr Recht auf ihren Sitzplatz in einem Bus verteidigt; es ist auch das Jahr, in dem James Baldwins "Von einem Sohn dieses Landes" erscheint. Muss eine Schwarze Schriftstellerin, die ebenfalls 1955 über die Unterdrückung schreibt, wirklich posthum belehrt werden, dass es "Schwarze" oder "indigene Völker" heißen soll? Die Qualitäten des Textes mindern diese Eingriffe nicht, sie zielen ja auch eher auf das heutige Lesepublikum - die Unentschiedenheit dieser Edition ist vor allem ein Beleg für den kollektiven unsicheren Umgang mit dem schlechten weißen Gewissen. (ab 12 Jahre, und junge Erwachsene)

Ann Petry: Harriet Tubman. Fluchthelferin bei der Underground Railroad. Nagel & Kimche 2022. 256 Seiten, 16,50 Euro.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: