Gabriele Riedle: "In Dschungeln. In Wüsten. Im Krieg":Die Droge Wirklichkeit

Gabriele Riedle: "In Dschungeln. In Wüsten. Im Krieg": Kann man sich in Hochglanzmagazinen angucken oder auf Google Maps, aber gesehen hat man sie dann nicht: majestätische Landschaften wie hier die Namib-Wüste.

Kann man sich in Hochglanzmagazinen angucken oder auf Google Maps, aber gesehen hat man sie dann nicht: majestätische Landschaften wie hier die Namib-Wüste.

(Foto: Imago/watchtheworld/Imago/Yay Images)

Gabriele Riedle hat als Reporterin die Welt gesehen. Jetzt erzählt sie in einem Roman von einer Frau, die ihr gleicht, der Gefahr und etwas, das eigentlich eine Liebe hätte werden sollen.

Von Frauke Meyer-Gosau

Am Ende bleibt nur ein weißer Fleck auf der Landkarte, nachdem die letzte Wanderdüne unter heftigem Getöse und Geschabe über die Wüste hinweggezogen ist. Wer hier nach Orientierung sucht, dem wird kein Atlas mehr helfen, schon gar nicht der Diercke-Weltatlas von 1973. Der hatte Gabriele Riedles Ich-Erzählerin im Roman "In Dschungeln. In Wüsten. Im Krieg" zur Vorbereitung ihrer abenteuerlichen Reisen stets gute Dienste getan.

In Berlin, in der Charlottenburger Goethestraße, auf ihrem bodentief durchgesessenen "west-östlichen Divan" liegend, hatte sie nachgesehen, wo genau sich Afghanistan befinden mochte oder Papua-Neuguinea, Liberia oder die Mongolei, Tibet, New York, aber durchaus auch die 1973 noch real existierende "Selbständige politische Einheit Westberlin". Diese Ich-Erzählerin gehörte lange Zeit zu den "Helden im Dienste von Abenteuer & Aufklärung", wie es im Buch heißt, sie verdiente ihr Geld als Verfasserin von Reisereportagen, und dies verlangte Vorbereitung.

Weil es bei derartigen Berichten in der Regel um ferne Länder und fremde Völker, kurz, um Exotismen aller Art, geht, ist zumeist auch ein Fotograf vonnöten, der alles in leuchtenden Bildern festhält, damit das in der Fremde Gesehene und Erlebte für die Leserinnen und Leser der sogenannten zivilisierten Welt in Magazinen auf Hochglanzpapier gedruckt und verkauft werden kann. Gabriele Riedles Roman handelt über weiteste Strecken davon, wie die Ich-Erzählerin, von einem Chefredakteur beauftragt und jeweils von einem Fotografen und oft auch noch einem Übersetzer begleitet, in den entlegensten Weltgegenden unterwegs ist - und wie sie danach wieder zurück in die Goethestraße kommt, zu "Hundehaufen, Ampeln, Apotheke", in ihre Wohnung gegenüber einem früheren "Postgebäude, wo jetzt vor allem russische Künstler wohnten", die "alle Bärte und Blusen wie Tolstoi" tragen.

Gabriele Riedle: "In Dschungeln. In Wüsten. Im Krieg": Die Reporterin und Schriftstellerin Gabriele Riedle schrieb aus aller Welt, lange Zeit vor allem für die Zeitschrift Geo.

Die Reporterin und Schriftstellerin Gabriele Riedle schrieb aus aller Welt, lange Zeit vor allem für die Zeitschrift Geo.

(Foto: Claudius Pratsch)

Was sie sieht und erlebt, ist auch wirklich zum Staunen. In Kabul etwa, wo die Reporterin mit Dutzenden anderer Berichterstatter in einem inzwischen notdürftig zum Hotel umgerüsteten Gefängnis untergekommen ist, stößt sie auf einen Fotografen, der im Land der strafbewehrten Bilderverbote Taliban abgelichtet hat, die innig blickend miteinander Händchen halten. Dann wieder wird es schrill witzig, wenn sie in Lagos mit aufgekratzten jungen Schwarzen in einem Auto auf dem Handy Schwulenpornos schaut, während sie mit ihrem Chefredakteur aus Hamburg telefoniert: "Hallo, ja, stehe im Stau auf der Third Mainland Bridge in Lagos, jemand will mir durchs Fenster ein Bügelbrett verkaufen, und vermutlich stürzen wir gleich alle samt Brücke ins Wasser, aber falls in der Brühe da unten Empfang ist, rufe ich später zurück."

Kuriosität reiht sich so an Kuriosität: Die Ureinwohner in Papua-Neuguinea, die zum imposanten Federschmuck stolz und selbstbewusst großkarierte Jacketts aus der internationalen Altkleidersammlung tragen. Oder der Übersetzer, der in der Wüste Gobi davon träumt, dass die Mongolei sich wegen ihres just entdeckten Übermaßes an Bodenschätzen demnächst Russland untertan machen und "die einstige sowjetische Übermacht auch dazu zwingen wird, die vertikale altmongolische Schrift" einzuführen, woraufhin dann glücklich wieder alles wäre wie im 13. Jahrhundert unter Dschingis Khan.

Neben alldem gibt es allerdings auch noch einen anderen Ton, eine gegenläufige Spur, die von der ersten Seite an hör- und sichtbar wird. "In Dschungeln. In Wüsten. Im Krieg" ist in der Tat "eine Art Abenteuerroman", wie es im Untertitel heißt. Aber zugleich ist das Buch ein Epitaph, die Totenklage um einen Geliebten.

Im New Yorker Bryant Park am Kinderkarussell hatte die Reporterin auf Anregung ihres Chefredakteurs den mit höchsten Preisen dekorierten britischen Fotografen Tim H. getroffen und ihn den Leserinnen und Lesern mit seinem offenen weißen Hemd gleich als einen romantischen Helden, eine Art Lord Byron der Kriegsfotografie, vorgestellt. Später reist sie mit ihm durch Liberia, wo sie auf ehemalige Kindersoldaten treffen, auf einen "General Nacktarsch", auf den vollkommen durchgedrehten "General Eagle" oder einen inzwischen zum Priester gewandelten Kriegsverbrecher. Sie sprechen mit reichlich dubiosen Frauen, die sich nach Jahren im amerikanischen Exil als Senatorin oder Polizeipräsidentin mit noch mehr politischen Ambitionen in staatlichen Machtpositionen installiert haben - und später schon mal, schwuppdiwupp, wegen Unterschlagung in den Knast wandern. Dazwischen bahnt sich die Liebesaffäre zwischen dem Fotografen und der Erzählerin an. Doch während alles Übrige immer wie nach Plan gelingt - daraus wird nichts. Einige Monate später wird Tim H. in Misrata von einer Granate zerfetzt - zu Beginn des Buches hört die Reporterin die Todesmeldung zu Hause im Radio.

Gabriele Riedle: "In Dschungeln. In Wüsten. Im Krieg": Gabriele Riedle: In Dschungeln. In Wüsten. Im Krieg. Eine Art Abenteuerroman. Die Andere Bibliothek, Berlin 2022. 258 Seiten, 44 Euro.

Gabriele Riedle: In Dschungeln. In Wüsten. Im Krieg. Eine Art Abenteuerroman. Die Andere Bibliothek, Berlin 2022. 258 Seiten, 44 Euro.

(Foto: Riedle/Riedle)

Es braucht tatsächlich die ganze Kunst der "Schneiderinnenseele", als die sie sich selbstironisch charakterisiert, um die ihrer seelischen Temperatur nach diametral auseinanderstrebenden knallbunten und düsteren Stränge dieses Buches so miteinander zu vernähen, dass sie am Ende ein elegant und passgenau sitzendes Stück Reportage- und Reflexions-Haute-Couture ergeben. Das Erzähltempo ist hoch, die Satzbögen schwingen mühelos über ganze Absätze, und so geht es denn über die Karl-May- wie die Karl-Marx-Straße in Radebeul, mit kurzen Unterbrechungen jeweils am Hegelplatz in Stuttgart oder Berlin, zusammen mit "Kara Bint Nemsi, der Tochter des Deutschen" sowie dem Weltgeist zu Pferde kreuz und quer durch eine Welt, die, je weiter das Erzählen vorangeht, desto bedrohlicher aus den Fugen zu sein scheint.

Die großen Vorgängerinnen im Kriegsreporter-Gewerbe, Martha Gellhorn und Lee Miller, kommen natürlich auch vor. Während Lee Miller am 30. April 1945 fotogen in Hitlers Badewanne badete, hat die Ich-Erzählerin immerhin "eine Dusche bei den bin Ladens" in Kabul vorzuweisen. Und doch, am Ende steht in einem majestätischen Wüstenbild die große Leere. Seit die journalistische Maxime für Reportagen die Erzeugung von "Wohlgefühl" ist und der Chefredakteur entlassen wurde, seit die Gelenke von all dem Durch-die-Welt-Laufen knirschen und selbst die Wanderdüne ihre Fortbewegung eingestellt hat, scheint die Reporterin auf den heimischen Divan verwiesen zu sein. Bis die Sucht nach der "harten Droge Wirklichkeit" erneut unwiderstehlich wird und alles wieder von vorn losgeht: "weiter, immer weiter, irgendwohin, nirgendwohin".

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