Mit Schriftstellern zu verreisen oder gar auf Reisen zu gehen, muss nicht immer ein glückliches Unterfangen sein. Der eine fühlt sich bei jeder von einem Wind behauchten Wasserpfütze an den zeitlosen Wellenschlag der Verse Homers erinnert, eine Dichterin kann auch im Angesicht der ägyptischen Pyramiden nicht von ihren Kopfschmerzen lassen, und wieder ein anderer findet die griechische Streichwurst erbärmlich, den rumänischen Kaffee zu bitter und die Betten außerhalb seiner eigenen vier Wände alles andere als akzeptabel.

Ich habe erlebt, wie der unglückliche sächsische Dichter Reiner Kirsch einem in dem neu eröffneten und überheizten Goethe-Institut in Riga bereits tief schlafenden Publikum eine halbe Stunde lang erklärte, was in dem Gedicht, das er demnächst vorlesen werde, sowohl metrisch wie auch inhaltlich und verstheoretisch vor sich gehe, und welchen Stellenwert es eines nicht sehr fernen Tages in der deutschen wie in der Weltliteratur einnehmen werde, weil hier, wie man gleich hören werde, der Anapäst im Sinne des anapästischen Daktylos verwendet würde. Das Gedicht, über einen Vogel, war dann so kurz, dass die Balten erschrocken aus ihrem Schlummer aufschreckten, weil sie glaubten, die Aufforderung zum Buffet verpasst zu haben.

Diese Geschichte fiel mir wieder ein, als ich in einem Marbacher Magazin das Foto sah, das eine Gruppe von deutschen Schriftstellern 1981 in Australien zeigt: Der Epigrammatiker Arnfrid Astel (geboren 1933) aus Saarbrücken; ich, der jüngste und einzig Überlebende, geboren 1943; der großartige und dauerverzweifelte Erzähler Jürg Federspiel aus der Schweiz, geboren 1931; der Dichter Peter Rühmkorf aus Hamburg-Övelgönne, geboren 1929; und vorne, kniend, Hans Magnus Enzensberger, aus München (1929 in Kaufbeuren geboren) und Reinhard Lettau aus San Diego/Berlin, ebenfalls 1929 geboren, in Karlsruhe.

Ich kann leider nicht die ganze Reise im Detail beschreiben, die Landschaften, die von der Evolution im entscheidenden Moment vergessenen Tiere, die hundert verschiedenen Eukalyptusbäume und die unwahrscheinlichen Sonnenuntergänge, sondern nur dies: Federspiel hatte sein Buch vergessen, sein Notizbuch verlegt und seine Wohnung in Zürich – wie er in einem Telefonat erfuhr – durch einen Schwelbrand verloren; Rühmkorf wurde durch eine noch unerforschte Variante eines australischen Kopfschmerzes lahmgelegt; Astel war sich die ganze Woche über nicht sicher, ob die englische Übersetzung seiner Gedichte überhaupt verständlich wäre; Lettau war untröstlich, weil er gleich am ersten Tag einen seiner Lieblingsbleistifte verloren hatte, wahrscheinlich durch Diebstahl.

Nur Magnus war bester Laune. Er wusste im Handumdrehen alles, was man über Australien wissen musste. Er konnte alle Gummibäume voneinander unterscheiden und kannte alle Tiere (Dingo, Wombat, Koala, Känguru, Schnabeltier oder Quokka) und deren Geschichte, er war der Einzige von uns, der Strehlows berühmtes Buch über die Gesänge und Märchen der Aborigines gelesen hatte und wusste sogar die Namen der englischen Schwerverbrecher, die es im 19. Jahrhundert in der Strafkolonie Australien zu Ehren gebracht hatten.

Am meisten aber interessierte ihn (und mich) ein großer schwarzer Vogel – wahrscheinlich eine Würgerkrähe, wie wir nach langen Recherchen (noch ohne Wikipedia) herausfanden –, der sich in Massen auf der Wiese aufhielt, die auf dem Foto zu sehen ist, also in Menschennähe. Dieser Vogel war der größte Nachahmungskünstler, der uns je begegnet war, die Papageien, die auch in Mengen herumflogen (meistens Sittiche, um bei der Wahrheit zu bleiben), konnten einpacken. Wenn man morgens die Fenster unserer Tagungsstätte mitten im Wald öffnete, warteten sie wie ein dunkler Chor, der zur Probe erschienen war. "Guten Morgen, Genossen!" wurden sie von Magnus begrüßt, und am dritten Tag konnten sie schon antworten, was Lettau dazu ermunterte, die Übungsaufgaben zu erweitern: "Guten Morgen, liebes Zentralkomitee, wie geht es dem Genossen Stalin", was die Vögel auch spielend schafften.

Während wir also die schwarzen Vögel zu immer neuen Leistungen anfeuerten (bis auf den armen Peter Rühmkorf, dem das Gekreische mächtig auf die Nerven ging), war Magnus schon mit dem nächsten Problem beschäftigt: Wo gab es die schönsten Opale und wo konnte man sie am günstigsten kaufen, denn er wollte seiner Frau Katharina unbedingt einen Edelstein mitbringen. Und natürlich hatte er bald alles herausgefunden und im besten Laden des Kontinents einen der schönsten und trotzdem preisgünstigen Steine gekauft. So ging es immer weiter. Magnus hatte immer schon etwas gesehen, gespürt, gerochen, ausgekundschaftet, während wir noch mit der Verarbeitung und Verwaltung des Alten beschäftigt waren.

So war es auch bei unserer gemeinsamen Reise nach Dubai. Der Herrscher von Dubai und Vizepräsident und Premier der Vereinigten Arabischen Emirate, der Spezialist für Falknerei, Rennpferde und Nabati-Poesie, Mohammed bin Raschid al-Maktum, hatte uns in einem Hotel untergebracht, das aus kleinen Häusern bestand, die einzeln auf winzigen Inseln in einem Wasserlabyrinth standen. Ich hatte einen pakistanischen Diener, der mir den Tee, den Gin, den Rotwein und den Whisky einschenkte, und dessen Freundlichkeiten ich nur entkommen konnte, indem ich ins Bett ging und das Licht löschte. Morgens wurden wir in einer Art Gondel eingesammelt und zur Tagungsstätte gebracht, wo wir mit feinen alten Schriftgelehrten aus Kairo und Katar über die Notwendigkeit einer dritten Aufklärung nachdenken sollten.

Und während wir eisgekühlt nachdachten – vergeblich, wie ich leider sagen muss, denn wenig später wurde al-Maktum von seiner eigenen Tochter (mit der sechsten Nebenfrau) angeklagt, ein grausamer Bösewicht zu sein –, hatte Magnus bereits mit dem Kultusminister der Vereinigten Emirate die Schaffung eines Hauses der Poesie besprochen und eine Kopie seines Poesieautomaten in Aussicht gestellt, der natürlich auf die poetologischen Zwecke der arabischen Dichtung umgerüstet werden musste. Und während wir am völlig sinnlosen Schlusskommuniqué arbeiteten, hatte Magnus bereits erreicht, dass binnen Jahresfrist von allen Teilnehmern ein Buch in arabischer Sprache vorliegen solle. Was auch tatsächlich geschah! Nur hatte man vergessen, dass es neben den sechshundert Banken in Dubai keinen Platz für eine Buchhandlung gab, sodass unsere schönen Bücher wahrscheinlich immer noch in den Kellern des Palastes des Kulturministers liegen.

Auf der Rückfahrt zum Flughafen – der al-Maktum gehörte, wie Magnus wusste – konnte Magnus natürlich schon die Straßenschilder lesen, und im Terminal übte er, der große Typograf, der er auch war, arabische Schriftzeichen, während wir uns an den Schaufenstern der Boutiquen die Nasen plattdrückten: Preise, die nur von Fußballern der ersten Liga, Immobilienhändlern oder Erben bezahlt werden konnten. Von den arabischen Herrschern hielt Magnus nicht viel. Allein das Steuersystem in Dubai hat ihm eingeleuchtet: Der Herrscher ist an allen Geschäften im Land mit fünf Prozent beteiligt. Ein Blick auf die Bankentürme rundum, und wir wussten, was er meinte. Und wenn keiner mehr arbeiten will, weil schon alles getan ist? Dann schreibt er eben Gedichte in der Nabati-Tradition. Und jeder von uns wusste natürlich, dass er schon ganz genau wusste, wie man das macht.

Noch eine Reise muss ich erwähnen, vielleicht die schönste, die ich mit Magnus unternommen habe. Wir trafen uns zufällig im tiefsten Winkel des brasilianischen Sertão. Mich hatte das Goethe-Institut in einen kleinen Weiher geschickt, um dort mit Eingeborenen ein Theaterstück über synkretistische Praktiken einzustudieren, eine Art Rollenspiel, wie ich es bei unserem gemeinsamen Freund Georges Tabori gelernt hatte (der nebenbei gesagt eine schöne Aufführung des Titanic-Gedichts von Magnus in den Kammerspielen inszeniert hat). Während der Generalprobe – ich war gerade dabei, einem alten widerspenstigen Dorfbewohner, der nur mitspielen wollte, wenn er als Honorar eine Flasche Schnaps kriegen würde, die Bedingungen unserer Aufführung klarzumachen, das heißt, ich war gerade dabei, den Bettel hinzuschmeißen – sah ich plötzlich, wie ein schmaler junger Mann im weißen Regenmantel und mit Hut sich vor dem Regen unter das Dach unserer Blechbehausung flüchtete.

Wenn es doch nur Magnus wäre, dachte ich, weil der Mann tatsächlich von der Ferne und in dem trüben Licht der Petroleumlampe wie Magnus aussah. Aber es war tatsächlich kein anderer als Magnus! Und weil er meine letzten, in einem löchrigen Portugiesisch vorgetragenen Bitten an den alten Säufer mitgehört hatte, sprang er flugs auf die provisorisch aufgebaute Bühne und machte dem Mann, dem vor Schreck die Augen aus den Höhlen traten, in einem reinen Brasilianisch ein für alle Mal klar, dass es keinen Schnaps gäbe, wenn er nicht vorher endlich seinen Text abliefern würde. Die Aufführung, über deren Qualität man geteilter Meinung sein konnte, war ein voller Erfolg. Magnus hat darüber in seinem Text Eine unbekannte Episode in seinem Band Über Literatur, Seite 740 ff., berichtet.

Ich werde nicht vergessen, wie wir danach mit dem Alten, der selber ein Voodoo-Priester war, aus Pappbechern den vom Goethe-Institut gestifteten deutschen Sekt tranken. Das sind Erlebnisse, die man nicht mehr vergisst.