Angst kennen wir alle. Doch wie lässt sich angemessen über ein Gefühl sprechen, das einem den inneren Raum stark einschränkt und nicht selten die Sprache verschlägt? Heute ist mitten in der Nacht der 1980 in Lübz geborenen Kerstin Preiwuß ist ein Buch über genau diese Fragen. Das Buch der Autorin der Romane Restwärme und Nach Onkalo und der Gedichtbände Gespür für Licht und Taupunkt, der Linguistin und Professorin für literarische Ästhetik am Deutschen Literaturinstitut Leipzig widersetzt sich dabei klaren Gattungszuschreibungen –  ebenso, wie sich Angst nicht selten der Anstrengung widersetzt, sie zu bezähmen oder zu ergründen. Essayistische Notizen oder Tagebucheinträgen ähnliche Abschnitte wechseln sich ab mit eigenen Gedichten und einem der österreichischen Dichterin Christine Lavant, mit Briefen an die Autorinnen Emily Dickinson und Simone de Beauvoir, und mit Briefen, die an Unbekannte gerichtet sind.

In Heute ist mitten in der Nacht bekennt die Autorin, die als unerwünschtes Kind einer alleinerziehenden Mutter bereits vor ihrer Geburt die Erfahrung gemacht hat, abgelehnt worden zu sein, schon immer mit und in Angst zu leben. Es ist eine Existenz "ohne Vertrauen" und "mit dem Mangel". Lange Zeit, so Preiwuß, sei sie dieser Angst mit Distanz begegnet, mit Strenge, mit Kühle, mit Schweigen und mit dem sich selbst auferlegten Zwang, sich jegliche Erwartungen an andere und das Leben zu versagen, aus Angst vor weiterer Ablehnung und Enttäuschung.

Dass Preiwuß nun ihre bislang ins Private und ins Schweigen verbannte Erfahrungen mit diesem mächtigen Gefühl publik macht, geht auf die grundstürzenden gesellschaftlichen Veränderungen der jüngsten Vergangenheit zurück. Die angsteinflößenden Folgen von Corona und dem Krieg gegen die Ukraine sind die Auslöser. Ihretwegen setzt Preiwuß die Ursachen und Facetten ihrer eigenen lebensbeherrschenden Angst in ein Verhältnis zu der Angst, die auf die Gesellschaft, auf wohl alle einwirkt: "Zum ersten Mal habe ich das Gefühl, über etwas, das mich betrifft, so sprechen zu können, als ginge es alle etwas an. Weil ich schon lange in der Welt lebe, in die jetzt alle geraten sind. Ich bin ruhig in diesem Ausnahmezustand, mir ist alles, was ich fühle, bekannt."

Durch ihre im Grunde extreme, zur Gewohnheit gewordene Erfahrung mit, durch die vielgestaltigen Erinnerungen an die eigene Angst, fühlt Preiwuß sich angehalten, ihre persönliche Angst und deren kollektive Verwandte schreibend zu ergründen und ihre Erfahrungen zu teilen – und wenn hier von Angehaltensein die Rede ist, dann deshalb, weil sich durch die permanente Erinnerung an die Angst auch die Wahrnehmung von Zeit massiv ändert: "Die Angst ist wie ein eigenes Organ, sie kennt meinen Takt, aber sie atmet nicht danach. (…) Was kann Angst noch? Sie lässt die Zeit gerinnen. Sie stellt den Ton ab. Sie stellt sich zwischen mich und das erleben, sie schneidet mich vom Erleben ab."

Es sind so ungewöhnliche, zugleich sofort vertraut klingende Beschreibungen der Angst, die in ihrer Präzision und Härte etwas Tröstliches haben, deren reflexionsgesättigte Sprache den Umschlag vom Allzupersönlichen ins Verallgemeinerbare bewirken. Durch die Sprache löst sich ein Widerspruch, den die Autorin so formuliert: "Das Persönliche bleibt besser privat. Als wäre jede Erinnerung eine Zurschaustellung." Das Zurschaustellende und Bekenntnishafte schmilzt durch die heiße Sorgfalt einer Sprache, die sowohl körperlich als auch künstlich ist. Sie macht das Verschwiegene und häufig tabuierte Gefühl plastisch und rückt es zugleich in einen Abstand. Die eigene, altvertraute Angst verwandelt sich so in eine "hellsichtige Eigenschaft, fast eine Utopie", sie wird teilbar.