Geschrieben am 1. Februar 2023 von für Crimemag, CrimeMag Februar 2023

Megan Abbott: Textauszug „Aus der Balance“

Megan Abbott: Aus der Balance (The Turnout, 2021). Übersetzt aus dem Amerikanischen von Karen Gerwig und Angelika Müller. Herausgegeben von Frank Nowatzki. Pulp Master, Band 58, Berlin 2023. 420 Seiten, 16 Euro. – Hier der Link zur Direktbestellung beim Verlag, ohne Versandkosten.

„Zurichtungen“ überschreibt Thekla Dannenberg ihr lesenswertes Nachwort zu einer beträchtlichen publizistischen Sensation dieses Frühjahrs. Es ist nämlich ein kleiner Independent – Frank Nowatzkis Ein-Mann-Verlag Pulp Master – der uns endlich mit der Autorin Megan Abbott bekannt macht. Eine Erzählung gab es bisher von ihr bei uns: „Burlesque„, dt. von Frauke Czwikla, in: Nighthawks. Stories nach den Gemälden von Edward Hopper; Droemer, München 2017. Und einen Roman: Das Ende der Unschuld (The End of Everything), dt. von Isabel Bogdan; Kiepenheuer & Witsch, Köln 2012. Und sonst Schweigen im Walde…

Legendär ist ihre Herausgeberschaft für A Hell of a Woman: An Anthology of Female Noir (2007), vielversprechend war bereits ihre Promotionsschrift von 2002: The Street Was Mine: White Masculinity in Hardboiled fiction and Film Noir. Megan Abbott ist Autorin von nunmehr zehn Romanen; ihre Texte erschienen in der New York Times, im Guardian, im Wall Street Journal und im Los Angeles Times Magazine. Sie wurde für zahlreiche Preise nominiert und ausgezeichnet. 

Wir präsentieren Ihnen hier mit freundlicher Genehmigung des Verlags einen kleinen Ausschnitt aus dem Vorwort und dann den Beginn des ersten Kapitels. Zuerst Thekla Dannenberg:

Die Welt des Pulp Master Verlags war immer eine Männerwelt, abgründig, dunkel und voller Härte. Zu seinen Autoren gehören Legenden des Noirs wie Derek Raymond und Charles Willeford, Jim Nisbet und Dave Zeltserman, Garry Disher und Tom Franklin. Oft blicken diese Autoren auf ein langes Leben voller Erfahrungen zurück, viele davon bitter, und aus ihren Romanen schlägt einem die Schwärze des Lebens mit voller Wucht entgegen. Manche sind furchterregend in ihrer Finsternis, andere geradezu berührend in ihrer altersweisen Milde. In den Erzählungen dieser Autoren kämpfen Männer gegen eine grausame Welt und die eigenen noch böseren Dämonen. Sie haben gelernt, Schläge ein- zustecken und mit der ganzen Macht der eigenen Verzweiflung auszuteilen. Wenn diese Männer ihre Körper trainieren, dann beim Boxen. Ihre Musik stellt man sich genauso hart vor. 

Die Amerikanerin Megan Abbott ist die erste Autorin, die bei Pulp Master erscheint. Es ergibt eine hübsche Punchline, dass der Verlag ausgerechnet mit dem Roman Aus der Balance beginnt, einem Roman über das Ballett, die Welt von Tüll und Tutu, Satin und Spitzenschuhen, in der alles zart und rosa erscheint. Wenn schon, denn schon, könnte man denken, aber tatsächlich passt Megan Abbott in diesem Kosmos aus Pulp und Noir wie die Faust aufs Auge. Ihr Ballett-Roman ist ein echtes Schauerstück, eine dunkle Fantasie von Verlangen, Verführung und Verrat. Ballett und Sex verbinden sich in diesem Thriller wie in einem Pas de deux, dessen Schönheit darin besteht, wie wir lernen, dass man nie allein tanzt: »Aber ihr dürft nie vergessen, beim pas de deux geht es auch um Macht, sie zu gewinnen, sie zu verlieren, sie abzugeben.« 

Megan Abbott führt uns mit ihrem Roman in das Haus Durant in einer namenlosen amerikanischen Kleinstadt. Nach dem frühen Tod ihrer Eltern haben die Schwestern Dara und Marie ein altes viktorianisches Haus und die Ballettschule ihrer Mutter geerbt. Dunkel und kühl die eine, hell und feurig die andere, beide mit Hälsen wie Schwäne und Beinen wie Fohlen, voller Anmut und Kraft. Beide wissen, wie viel harte Arbeit, Ausdauer und Disziplin es erfordert, auf einer Bühne den Anschein von tänzerischer Leichtigkeit zu erwecken. Wie blutig und zerschunden der Körper einer Ballerina ist. 

Die Mutter hat ihren beiden Töchtern nicht nur die Hingabe zum Ballett mitgegeben, sondern auch Lektionen fürs Leben. Über die Liebe lehrte sie die Mädchen, dass sie Opfer erfordert. Mit Anziehung, Lust oder Begehren habe das nichts zu tun … 

Hier nun unser Textauszug. Mit freundlicher Genehmigung des Verlages. Es ist der Romanbeginn:

Kindheit ist der glühende Schmelzofen, in dem wir auf das Wesentliche zusammengeschmolzen werden und wo dieses Wesentliche für alle Zeiten geformt wird. – Katherine Anne Porter 

I

Wir drei 

Sie tanzten. Fast ihr ganzes Leben lang. Sie tanzten, sie unterrichteten Tanz, und sie unterrichteten gut, wie es vor ihnen auch schon ihre Mutter getan hatte. 

»Jedes Mädchen möchte Ballerina werden …« 

Das stand in ihrer Broschüre, auf ihren Postern, auf ihrer Webseite; der Satz rollte in eleganter Schreibschrift über den Bildschirm. 

Die Ballettschule Durant, gegründet 1986 von ihrer Mutter, einer ehemaligen Solistin des Alberta Ballet, nahm die oberen beiden Stockwerke eines gedrungenen, rostfarbenen Ziegelbaus im Stadtzentrum ein. Das Gebäude gehörte ihnen, seit ihre Eltern in einer Blitzeis- Nacht vor über zehn Jahren ums Leben gekommen waren, als ihr Auto über den Mittelstreifen des Highway geschleudert war. Als ein ambitionierter Lokalreporter erfuhr, dass es ihr zwanzigster Hochzeitstag gewesen war, schrieb er einen Artikel über sie und behauptete, sie hätten sich selbst im Tod noch an den Händen gehalten. 

Hat einer von ihnen in diesen letzten Momenten die Hand nach dem anderen ausgestreckt, fragte der Reporter sich und seine Leserschaft, oder haben sie sich schon vorher an den Händen gehalten? 

Nach all diesen Jahren hatte die wie eine Sage weitergetragene Geschichte vom Tod der Eltern für die Schülerinnen noch immer etwas unsagbar Romantisches – weniger für Marie, die, nachdem sie während der Beerdigung neben ihrer Schwester Dara heftig geschluchzt hatte, beharrlich behauptete: 

Ich habe sie nicht ein einziges Mal Händchen halten sehen

***

Doch die Familie Durant hatte immer exotisch auf andere gewirkt, selbst damals, als Dara und Marie noch kleine Mädchen waren, die die Vortreppe dieses großen, alten Hauses mit den wegfaulenden Holzornamenten auf der Sycamore auf- und abschwebten, des Hauses, das alle das Pfefferkuchenhaus nannten. Dara und Marie mit ihren langen Hälsen und den leisen Stimmen. Beide mit dem gleichen Haarknoten und dem entenhaften Gang, in kratzige Wintermäntel gehüllt, ihre rosa Strumpfhosen Farbtupfer im Schnee. Selbst ihre Namen stellten sie heraus: Sie klangen elegant und europäisch, obwohl ihr Vater Elektriker und Wohnzimmertrinker und ihre Mutter mit Mayonnaisesandwiches zu jeder Mahlzeit aufgewachsen war, wie sie ihren Töchtern immer mit wehmütigem Kopfschütteln erzählte. 

Vom Kindergarten bis in die fünfte oder sechste Klasse waren Dara und Marie auf eine gruslige, alte katholische Schule auf der East Side gegangen, worauf ihr Vater bestanden hatte. Bis zu dem Tag, an dem ihre Mutter ver- kündete, ab sofort werde sie sie zu Hause unterrichten, damit sie nicht die primitiven Lebensauffassungen der Schule verinnerlichten. 

Anfangs sperrte sich ihr Vater dagegen, doch dann kam er sie eines Tages vor der Schule abholen und sah einen Jungen – den gemeinsten aus der fünften Klasse mit einem Muttermal wie eine frische Verbrennung über dem linken Auge —, wie er versuchte, Marie die Hose herunterzuziehen, lila Cordsamt, passend zu Daras rosafarbenem. Marie stand einfach da, starrte ihn an, berührte ihre Stirn mit den Fingern, als wäre sie verwirrt, fasziniert. 

Ihr Vater scherte so schnell aus, dass sein Buick auf Bordstein und Gras zum Stehen kam. 

Alle sahen es. Er packte den kleinen Jungen am Hosenboden und schüttelte ihn, bis die Nonnen herbeigeeilt kamen. Was für eine Schule führen Sie hier eigentlich?, beschwerte er sich. 

Auf der Fahrt nach Hause verkündete Marie laut, es habe ihr überhaupt nichts ausgemacht, was der Junge gemacht habe. 

Davon hat mein Bauch gekribbelt, sagte sie dann auf dem Rücksitz wesentlich leiser zu Dara. 

Ihr Vater sprach tagelang nicht mit Marie. Er rief die Rektorin an und wetterte so laut, dass sie ihn oben in ihrem Stockbett hören konnten. Maries Gesicht glänzte im Mondlicht von Tränen. Marie und ihr Vater waren Dara beide ein Rätsel. Ein Rätsel und irgendwie gleich. Primitiv, nannte ihre Mutter sie insgeheim. 

Sie gingen nie wieder hin. 

Zu Hause war der Unterricht jeden Tag anders. Man wusste nie, was drankam. An manchen Vormittagen holten sie den riesengroßen Globus aus dem Arbeitszimmer ihres Vaters, Dara und Marie drehten ihn und ihre Mut- ter erzählte ihnen dann etwas über das Land, auf dem ihr Finger landete. (Singapur ist das sauberste Land der Welt. Die Strafe für Vandalismus sind Stockhiebe.) Manchmal musste sie im Arbeitszimmer etwas in dem stockfleckigen Lexikon nachschlagen, dessen Einband vom Alter weich ge- worden war. Oft schien es, als erfände sie Sachen (In Frankreich gibt es zwei Sorten von Toiletten …), und sie lachten darüber, alle drei, es waren Witze, die nur ihnen gehörten. 

Wir sind drei, pflegte ihre Mutter zu sagen. (Sie waren drei, und dann irgendwann vier, aber das war, bevor Charlie kam und vor allem anderen.) 

Aber hauptsächlich ging es den ganzen Tag – jeden Tag – ums Ballett. 

Ihr Vater war wegen der Arbeit so oft und so lange weg. In diesem Umspannwerk oder auf jenem Flugplatz, machte Sachen mit Glasfaser – keine von ihnen wusste es so genau. 

Wenn er nicht da war, trugen sie den ganzen Tag Ballettanzüge und tanzten Stunde um Stunde im Übungsraum, über den Flur im ersten Stock, im von Gestrüpp überwucherten Hinterhof. Sie tanzten den ganzen Tag, bis ihre Füße glühten, kribbelten, taub wurden. Es war egal. 

So erinnerte sich Dara jetzt daran. 

Hauskatzen. So nannte ihre Mutter sie immer, was lustig war, wenn man darüber nachdachte, denn ihre Mutter war diejenige, die sie bei sich zu Hause behielt. Nicht eine einzige Übernachtung bei Freundinnen, kein Cam- pingausflug, keine Geburtstagsfeier einer Nachbarin, ihre ganze Kindheit lang nicht. 

Sie sorgten selbst für ihren Spaß. An einem Valentinstag schnitten sie gemeinsam Karten aus verblasstem Tonpapier aus, und ihre Mutter erteilte ihnen eine Unterrichtsstunde über die Liebe. Sie sprach über all die ver- schiedenen Arten der Liebe und wie sie sich veränderte und drehte und dass man sie nicht aufhalten konnte. Liebe ändere sich immer für einen. 

Ich bin verliebt, sagte Marie, wie immer, und meinte damit den Jungen aus der Fünften mit dem Muttermal, der ihr die Hose heruntergezogen und der sich einmal unter ihrem Pult versteckt und versucht hatte, ihr einen Stift zwischen die Beine zu stecken. 

Das ist keine Liebe, sagte ihre Mutter und streichelte Maries babyweiche Haare, strich mit der Handfläche über Maries ewig rosige Wangen. 

Dann erzählte sie ihnen ihre Lieblingsgeschichte, die von der berühmten Ballerina namens Marie Taglioni, deren Anhängerschaft ihr derart ergeben war, dass sie zweihundert Rubel – seinerzeit ein Vermögen – für ein Paar ihrer ausrangierten Spitzenschuhe bezahlte. Nach dem Erwerb kochten sie die Spitzenschuhe, richteten sie an und aßen sie mit einer besonderen Soße. 

Das, erklärte ihnen ihre Mutter, ist Liebe

Jetzt, mehr als zwei Jahrzehnte später, gehörte die Ballettschule Durant ihnen. 

Den ganzen Tag, sechs Tage die Woche in den letzten über zehn Jahren unterrichteten Dara und Marie in den beengten, heimeligen Räumen desselben aschgrauen Gebäudes, in dem einst ihre Mutter regiert hatte. Feucht-heiß und mit stechendem Geruch im Sommer und eisig, mit vom Schnee getrübten Fenstern im Winter, blieb das Studio immer gleich und verfiel langsam, aber stetig. Oftmals schimmelte es, und nächtlicher Regen bildete an der Decke nässende Blasen in allen Ecken, aus denen es den Schülerinnen und Schülern auf die Nasen tropfte. 

Doch das spielte keine Rolle, denn die Schülerschar kam immer. Über hundert Mädchen und ein paar Jungen, von drei bis fünfzehn Jahren, Ballett-Einführung I bis Fortgeschrittene IV. Und eine Warteliste für den Rest. In den vergangenen sechs Jahren hatten sie vierzehn Mädchen und drei Jungen auf erstklassige Ballettschulen weitergeschickt und sechsunddreißig auf wichtige Wettbewerbe vorbereitet. 

Jeden Sommer stellten sie zwei zusätzliche Lehrkräfte ein, für die Wochenenden sogar drei, aber während des Schuljahrs waren es nur Dara und Marie. Und natürlich Charlie: einst der Vorzeigeschüler ihrer Mutter, ihr Sohn-Ersatz, ihr Seelensohn. Und jetzt Daras Ehemann. Charlie, der wegen seiner Verletzungen keinen Unterricht mehr geben konnte, der aber vom Büro aus die Geschäfte führte. Charlie, in den so viele Schülerinnen vorübergehend verliebt waren, ein Initiationsritus wie das erste Mal, wenn sie sich mit einer Rasierklinge an die Hornhaut ihrer Füße machten, oder wie das erste Mal, wenn sie einen Turnout schafften, wenn sie ihre Beine aus ihren Hüftpfannen drehten, die Körper zur Verrenkung getrieben. So weit verdreht, dass es sich ekstatisch anfühlte. Bei ihrem ersten Mal hatte sich Dara wie aufgeplatzt gefühlt, bloßgelegt. 

Die Ballettschule Durant war eine Institution. Kinder, Teenager kamen aus drei Countys, um Unterricht bei ihnen zu nehmen. Sie kamen mit lebhaften Träumen und biegsamen Körpern, mit harten, kleinen Muskeln und hungrigen, schlanken Bäuchen und der Sehnsucht, einzutauchen in das Märchen, das der Tanz für kleine Mädchen und ein paar besondere kleine Jungen darstellt. Sie alle wollten teilhaben an der berühmten Tradition der Durants, die ihre Mutter vor dreißig Jahren oder mehr begründet hatte. Encore, échappé, echappéachte auf deine Knie. Ihre Mutter – die Stimme gedämpft, doch stählern –, die über den Boden schritt, alles anleitete, alles beherrschte. 

Doch jetzt waren es Daras und Maries Stimmen – Daras leise und erbarmungslos (Schultern runter, heb das Bein, höher, höher …) und Maries leicht und fröhlich, Marie, die ihren Fünfjährigen Hier kommt der Mäusekönig! zurief und ihre Füße und Hände zu Klauen bog, was die Mädchen vor Vergnügen quietschen ließ …

Im Büro hörte sich Charlie die Klagen der Eltern über die mangelnde Disziplin ihrer Kinder an, über die exorbitanten Preise der Spitzenschuhe, den Ferienplan; Charlie, der geduldig nickte, wenn Mütter mit gedämpfter Stimme über ihre einstigen Ballettsehnsüchte sprachen, über verrückte Vorstellungen von Tutus und Geigenharz auf Ballettschuhen, Satin und Tüll, über Scheinwerferlicht und strahlende Gesichter, über endloses Springen in die wartenden Arme eines Geliebten. 

Alles funktionierte, nichts änderte sich je. 

Und doch war die Ballettschule Durant Jahrzehnte nach ihrer Eröffnung in einer ehemaligen Kurzwarenhandlung mit durchhängenden Decken zu einem großen Erfolg geworden. 

»Ich habe immer gewusst, dass es machbar ist«, sagte Charlie. 

Bei wem ist Ihre Tochter? Bei Dara oder Marie? 

Sie sehen sich so ähnlich, aber Dara ist so dunkel wie Marie hell ist. Sie sehen sich so ähnlich, aber Dara hat den langen Schwanenhals und Marie die langen Fohlenbeine. Beide bewegen sich mit solcher Selbstsicherheit. Sie zeigen unseren Töchtern Anmut und Haltung. 

Sie biegen und drehen unsere zappeligen, hühnerbrüstigen kleinen Mädchen zu geschmeidigen, ranken Tänzerinnen. Unsere Mädchen betreten die Durant-Schule schrill und lärmend, mit dem Gewirr der Handys und dem Platschen von Flip-Flops, und binnen einer Stunde wird all das in die tiefe, wenn auch erschöpfte Ruhe einer Kaiserin, einer Zarin, einer Durant verwandelt. 

Unsere Töchter lieben beide, vor allem Marie. 

Marie, weil sie die Jüngeren unterrichtete. Weil sie sich zu ihnen auf den Boden setzte, ihre losen Zöpfe in Ordnung brachte und ihnen, wenn sie in Tränen ausbrachen, heimlich Erdbeer-Zuckerwaffeln gab. Nach dem Unter- richt brachte sie ihnen vielleicht sogar diesen gewissen Tanz ihres Lieblings-Popstars bei, wenn sie ihn Marie auf ihren Handys zeigten. Am Abend warf Dara einen Blick in Maries Saal, auf pastellene Waffelkrümel, vergessene Haargummis und verbogene Haarnadeln, und fragte sich, ob Marie kleine Mädchen zu gut verstand. 

Dara folgte dem Vorbild ihrer Mutter. In ihrem Saal stand sie königinnengleich, das Kinn vorgereckt wie das einer Wölfin — so beschrieb es Charlie —, schnell dabei, sie zu korrigieren, sie zusammenzustauchen, die Mädchen mit der trägen Streckung, die Mädchen, die mit gebeugten Knien Pirouetten drehten. 

Jemand musste die Tradition der Strenge aufrechterhalten, die stramme Disziplin, und es fiel unweigerlich Dara zu. Oder passte am besten zu ihr. Das war schwer auseinanderzuhalten. 

Doch meistens waren Dara und Marie für all die kleinen Mädchen mit den erhobenen Gesichtern, in den gleichen rosa Strumpfhosen und abgestoßenen Ballettschläppchen aus Leder – und noch mehr für ihre Eltern, die sich im Vorraum drängten, sodass die Fenster beschlugen, die ihre Kinder aus flauschigen, bauschigen Mänteln schälten und sie sanft ins Studio schubsten – gleich, aber verschieden. 

Dara war kühl, Marie war heiß.
 Dara war dunkel, Marie war hell.
 Dara und Marie, gleich und doch verschieden. 

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