Auch große DichterInnenpersönlichkeiten leben „wach-erschöpft“ nach kleinen Worten

Der Briefwechsel Bachmann/Frisch: „Wir haben es nicht gut gemacht“ ist zu empfehlen, bietet jedoch kaum neue Erkenntnisse

Von Stephan WoltingRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stephan Wolting

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Sehnsüchtig erwartet und überschwänglich angekündigt erschien am 21.11.2022 mit Fotos, Faksimiles und einem tabellarischen „Beziehungslebenslauf“ der Briefwechsel von Ingeborg Bachmann (1926-1973) und Max Frisch (1911-1991). Die Zeit-Redakteurin Iris Radisch nennt die Herausgabe „sensationell“ und „ein Jahrhundertereignis“ (Die Zeit, 10.11.2022). Das Werk sollte nach Ansicht des Suhrkamp-Lektors Raimund Fellinger „das Gesamtbild dieser Beziehung völlig verändern“. Bereits hier stellt sich allerdings eine Art von „Gretchen- Frage“: Wie hältst du es mit der Herausgabe? Oder konkret: Ist eine solche Herausgabe vertretbar, eingedenk dessen, dass die beiden sie zunächst nicht veröffentlicht wissen wollten? In diesem Zusammenhang wurde darauf verwiesen, dass die Briefe Frisch rehabilitieren und ihm nicht mehr die Schurkenrolle in diesem Drama der „Selbstdestruktion“ oder die „Eigendynamik ihrer Autodestruktivität“ (Julia Enke, FAZ 19.12.2022) zuweisen.

Als im Frühjahr 1958 Ingeborg Bachmann das Hörspiel Der gute Gott von Manhattan beim NDR in Hamburg auf Sendung bringt, schreibt Max Frisch der „jungen Dichterin“, in dieser Zeit selbst mit der Inszenierung von Biedermann und die Brandstifter beschäftigt, einen begeisterten Brief nach München, was er später in Montauk. Eine Erzählung (1973) wie folgt kommentiert:

Ich hatte zu tun beim Sender in Hamburg und ließ mir das Hörspiel vorführen, dann schrieb ich einen Brief an die junge Dichterin, die ich persönlich nicht kannte; wie gut es sei, wie wichtig, dass die andere Seite, die Frau, sich ausdrückt. Sie hörte Lob genug und großes Lob, das wusste ich, trotzdem drängte es mich zu dem Brief. Ich wollte sagen: Wir brauchen die Darstellung des Mannes durch die Frau, die Selbstdarstellung der Frau.

Damit schlägt er bereits jene Saite an, die Bachmann später in Bezug auf das Werk Mein Name sei Gantenbein so verletzten wird: ein nur vorgebliches Verständnis für sie als Frau und das harte Aufwachen aus dieser Illusion, als er in ihren Augen nicht zwischen Leben und Schreiben unterscheidet und Elemente ihrer Beziehung für sein Werk „ausschlachtet“. Zuvor hatte er sich allerdings von ihren Gedichtbänden Die gestundete Zeit und Anrufung des Großen Bären begeistert gezeigt und sie der linksliberalen Zeitschrift Weltwoche in der Rubrik „Vorschläge für ein Buchgeschenk“ vorgeschlagen.

Von diesem Zeitpunkt an beginnt die Korrespondenz und Liebesgeschichte eines der größten Liebespaare innerhalb der deutschsprachigen Literatur. In 15 Jahren, von Mai 1958 bis April 1973, wechseln insgesamt „299 Briefe, Ansichtskarten, Telegramme, Notizen und Entwürfe“ in einem Verhältnis von zwei zu einem Drittel zwischen Autorin und Autor hin und her. Der Schwerpunkt liegt in den Jahren 1958-1963, zwischen 1966 und 1971 finden sich keine Briefe. Es sind viel mehr Briefe von Bachmann an Frisch als umgekehrt übriggeblieben. Von den HerausgeberInnen wird darauf hingewiesen, dass dies damit zusammenhängen könnte, dass Bachmann Briefe von Frisch zerstört haben soll. Im Grunde handelt es sich um zwei Nachlässe: jenen kleineren der Nationalbibliothek in Wien mit 43 teils mehrteiligen Dokumenten und jenen der Züricher Max-Frisch-Stiftung mit etwa 216 Positionen.

Bachmann war, was die Aufbewahrung ihrer Briefe in anderen Beziehungen betrifft, eigentlich durchaus gewissenhaft, wenn wir etwa an die Briefwechsel mit Paul Celan, Hans Magnus Enzensberger, Ilse Aichinger, Günter Eich oder Hans Werner Henze denken. Zudem hat sie Frisch mehrmals darum gebeten, ihr ihre Briefe zurückzuschicken, eine Bitte, der Frisch nicht nachkam. Frisch selbst hat allerdings ebenfalls die Herausgabe der Briefe lange verboten, was er dann schließlich in seinem Testament auf zwanzig Jahre reduzierte.

Sicherlich hing das Verwehren der Herausgabe vorwiegend mit ihrer, euphemistisch ausgedrückt, nicht unproblematischen Beziehung zusammen. Die HerausgeberInnen legen darüber hinaus nahe, dass sich durch die Herausgabe der Briefe ihre Positionen in Bezug auf die Beziehung von Bachmann und Frisch revidiert haben, wie zum Beispiel, dass insbesondere Frisch die Beziehung gewollt und Bachmann sich eher zögerlich gezeigt habe. Als Beleg ließe sich etwa der Brief vom 12. Juli 1959 aus Rom heranziehen, wo sie ihm schreibt: „Und wir wollen uns nicht täuschen. Du brauchst mich auch nicht. Und wenn du mir einen Plan in deinen Zukunftsplänen einräumst, so tust du es nur aus Anständigkeit.“

Weiter ist von KritikerInnen darauf hingewiesen worden, dass sich an der Herausgabe des Briefwechsels zeigen würde, dass Leben und Werk, Liebe und Literatur nicht zu trennen seien – einen Gedanken von Iris Radisch aufnehmend, die sagt, dass sie sich eine Liebe erschrieben haben. Wenn man die reale Beziehung oder das Zusammenleben der beiden betrachtet, so fällt auf, dass sie nur relativ kurz miteinander gelebt haben: von November 1959 bis Oktober 1960 und von April 1961 bis März 1962, also in diesem Sinne „zusammen waren“. (In dieser Zeit haben sie sich keine Briefe geschrieben.) Darin zeigen sie sich übrigens einem anderen besonderen Paar der europäischen Literaturgeschichte ähnlich, nämlich George Bernard Shaw und einer der damals berühmtesten Schauspielerinnen Englands, Beatrice Stella Campell. Es war also vor allem eine Liebe auf dem Papier, jetzt in einem anderen Sinne als gemeinhin verstanden, sodass die Beziehung ohne die Stilisierung als Literatur wahrscheinlich gar keinen Bestand gehabt hätte. Mit dieser Form von Beziehung entfiel viele Jahre jede Form von körperlichem Kontakt. Dazu passt auch, dass es von Frisch und Bachmann nur ein einziges gemeinsames Bild gibt, dass zudem noch zur Präsentation und Promotion eines Buchs von Frisch verwendet wurde, wo also wieder er im Mittelpunkt stand.

Von daher überraschen nicht zuletzt die emotionalen Ausbrüche, gerade auch dort, wo sie sich in Briefen bekämpfen oder doch gegeneinander polemisieren. Dennoch wirkt es zum Teil wie unter der Glasglocke der Mittelbarkeit der Literatur, ihrer literarischen Werke, mit denen sie auch intime Details der Beziehung schütztenIhre Beziehung immer anders wahrgenommen als etwa die Beziehung des größten Paars der französischen Geistesgeschichte, Jean Paul Sartre und Simone de Beauvoir, die in täglichem Kontakt miteinander standen. Eine der Gemeinsamkeiten besteht übrigens darin, dass beide eine offene Zweierbeziehung versuchten.

Nicht unerwähnt bleiben sollte die solide und akribische philologische Arbeit der HerausgeberInnen, die MitbegründerInnen der Salzburger Bachmann-Edition Renate Langer und Hans Höller, der Präsident des Stiftungsrates der
Max-Frisch-Stiftung
Thomas Strässle sowie die Mitherausgeberin der Werke Celans Barbara Wiedemann, die die Briefe fast minutiös kommentiert haben. Der eigentliche Briefwechsel umfasst „nur“ 584 Seiten, von Seite 585 – 609 nimmt der Kommentar von Thomas Strässle und Barbara Wiedemann unter dem Titel „Gegenseitiges Verhängnis“ 30 Seiten, das Nachwort „Ich bin ja auch ein Schriftsteller, um von anderem zu schweigen“ von Hans Holler und Renate Langer den Rest ein. Der übrige Teil ist Kommentar (ca. 400 Seiten). Strässle gibt im Deutschlandfunk Kultur ein Interview zu der Herausgabe, wo er von einem „Ziegelstein der rund tausend Seiten spricht mit den vielen sorgfältig er- und eingearbeiteten Quellen“. (Deutschlandfunk Kultur, 19.11.2022 mit Joachim Scholl). Interessant ist auch die Entscheidung der HerausgeberInnen, Briefe von Henze und Unseld und Briefe Bachmanns an Frischs frühere Geliebte Madeleine Seigner, an Frischs Mutter Lina sowie Inventarlisten aus der Trennungsphase, zu integrieren, was nach Ansicht von Strässle wie „Löschwasser“ wirke.

Kritisch sei allerdings angefragt, ob es nicht möglich gewesen wäre, ein etwas anspruchsvolleres Zitat als Titel zu benutzen. Ansonsten ist man allzu willig und vorschnell bereit, von der Voraussetzung auszugehen, dass große AutorInnen nach kleinen Worten leben. Selbst zugestanden, dass das Zitat aussagekräftig für die Beziehung sein mag, so erscheint es  doch sehr schlicht: „Wir haben es nicht gut gemacht.“

Was schließlich nicht vollständig für das Werk den Briefwechsel einnimmt, ist die so starke, überwiegende Beschäftigung mit der eigenen Beziehung, in der heutigen Zeit, die das politische Engagement der Literatur wieder stärker werden lässt. Gerade Frisch hat sich immer auch als politischer Autor verstanden. Die Beziehung wird dann allerdings mit den ihnen zur Verfügung stehenden ästhetischen Mitteln zu einer Liebesgeschichte und zu großer Literatur per se hochstilisiert. Da wird dann Tage und Monate auf einen Antwortbrief gewartet, darin großen Liebenden, aber auch ganz normalen Sterblichen, ähnlich. Für unsere Zeit der schnellen und kurzen Nachrichten erscheint dies umso befremdlicher. Zwischen den Zeilen wird zudem Bachmanns stärkere Reserviertheit als Frischs gegenüber dem Briefeschreiben deutlich.

Ein Großteil der Bemerkungen, Kommentare und Beschreibungen erscheinen zudem als ein sehr auf die Entstehungszeit bezogenes Dokument. Von daher kann ich mich, der ich mich ansonsten durchaus zum Werk Bachmanns wie Frischs „bekenne“, abschließend den Elogen nur bedingt anschließen. Dies markiert nach Meinung des Verfassers einen deutlichen Widerspruch etwa zu der oben zitierten Kritik von Fellinger. Die psychische Krise der Autorin nach der endgültigen Trennung war bereits zuvor bekannt. Innerhalb der Kritik wird noch auf Frischs Minderwertigkeitsgefühl gegenüber den schillernden Lyrik-Größen Bachmann und Celan hingewiesen, oder aber einfach gesagt, dass die Beziehung „unter einem schlechten Stern“ stand. Es wird auf eine unmögliche Liebe „zwischen der selbstbewussten, aber emotional vielleicht schwächeren Bachmann“ und Frisch hingewiesen, der die „allerletzte Epoche ungebrochener männlicher Herrschaft“ wohl voll auskostete (Radisch). Im Text findet sich der lange Brief Frischs vom 30.05.1962, in dem er über Bachmanns Abwendung von ihm „philosophiert”, „dass du einen anderen Mann (Paolo Chiarini, SW) liebst in dem Grad, der dir eine Trennung von mir nahelegt”. Ich komme insgesamt zu dem Schluss, dass der Bezug auf die Beziehung weniger dem Fokus der KritikerInnen, sondern den Briefen selbst geschuldet ist. Dennoch ist das Werk unter Berücksichtigung der „Historizität des Briefwechsels“ zur langsamen wie punktuellen Lektüre zu empfehlen.

Ich bin Herrn Professor Klaus Müller-Salget für einige Ergänzungen zu meiner Rezension  dankbar, der darauf hinwies, dass Bachmann an der Entstehung des „Gantenbein“ intensiv mitgewirkt hat, was vorher nicht bekannt gewesen sei. In der Einschätzung von Bachmanns Opferrolle sei der Widerspruch zu berücksichtigen, dass sie das Buch auch noch nach der Trennung „großartig“ fand, später aber Frisch vorgeworfen hat, sie sei für das Buch als „Studienobjekt“ missbraucht worden. Schließlich bestünden auch innerhalb der Herausgeberschaft in Bezug auf Opfer-und Täterrolle unterschiedliche Einschätzungen.

Titelbild

Ingeborg Bachmann / Max Frisch: »Wir haben es nicht gut gemacht.«. Der Briefwechsel.
Mit Briefen von Verwandten, Freunden und Bekannten. Herausgegeben von Hans Höller, Renate Langer, Thomas Strässle und Barbara Wiedemann.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2022.
1039 Seiten, 34,00 EUR.
ISBN-13: 9783518430699

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