Der Demokratieaktivist Alaa Abd el-Fattah sitzt in Kairo in Haft, aber verstummt nicht. Seine gesammelten Texte machen auf sein Schicksal aufmerksam

Er ist einer von Tausenden politischen Häftlingen in Ägypten. Freunde erhofften sich mit einer Buchveröffentlichung seine Freilassung. Bisher vergeblich.

Renate Wiggershaus 4 min
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Ein Panzer wird im Februar 2011 von Demonstranten in Kairo umzingelt während Protesten gegen den ägyptischen Staatspräsidenten Hosni Mubarak.

Ein Panzer wird im Februar 2011 von Demonstranten in Kairo umzingelt während Protesten gegen den ägyptischen Staatspräsidenten Hosni Mubarak.

Emilio Morenatti / AP

Als im November letzten Jahres in Sharm al-Sheikh die Weltklimakonferenz begann, hörte der 40-jährige Demokratieaktivist Alaa Abd el-Fattah im Tora-Gefängnis südlich von Kairo nach einem zweihunderttägigen Hungerstreik auch noch auf, Flüssigkeit zu sich zu nehmen. Es war der verzweifelte Protest eines seit 2013 wieder und wieder verhafteten Journalisten und Bloggers, der wegen angeblicher Verbreitung von Falschnachrichten seit 2019 in Präventivhaft sitzt.

Seit General Abdelfatah al-Sisi 2014 nach einem Militärputsch an die Macht kam, «erlebt Ägypten die schwerste Menschenrechtskrise seiner modernen Geschichte», konstatiert das Kairoer Institut für Menschenrechtsstudien. Tausende von politischen Gefangenen warten auf ihren Prozess; viele von ihnen sind Opfer systematischer Folter.

Der Aktivist Alaa Abd el-Fattah.

Der Aktivist Alaa Abd el-Fattah.

PD

Wie wenig Menschen- und Bürgerrechte in Ägypten zählen, hatte Abd el-Fattah bereits 2013 zu spüren bekommen. Millionen Menschen protestierten damals in Kairo gegen die Gewalt- und Willkürherrschaft von Präsident Mohammed Mursi und der Muslimbrüder. Abd el-Fattah, der 2011 bei den Protesten auf dem Tahrir-Platz eine führende Rolle gespielt hatte, half nun zusammen mit seiner Mutter bei der Bergung von Verletzten.

Wenig später stürmten bewaffnete Spezialeinheiten nachts Abd el-Fattahs Haus, schlugen und misshandelten ihn und seine Frau, nahmen ihm Handy und Laptop weg und brachten ihn in Handschellen und im Pyjama mit verbundenen Augen und nackten Füssen in die Sicherheitsdirektion. Dort liess man ihn auf dem winterkalten Kachelboden liegen, bis er anderntags dem Staatsanwalt vorgeführt wurde.

Erfahrungen eines Gefangenen

Der Bericht über diesen Vorfall gehört zu einer Auswahl von Reden, Analysen, Tweets und Facebook-Posts Abd el-Fattahs aus den Jahren 2011 bis 2021, die seine Familie und anonym bleibende Freunde zu einem Buch vereint haben. Sie wollen damit Öffentlichkeit herstellen für eine Stimme, die das Regime zum Verstummen bringen und in Vergessenheit geraten lassen möchte.

Einer der Texte sticht durch seine Länge hervor. Die zwei Dutzend Seiten unter dem rätselhaften Titel «Rache im Sieg: Eine persönliche Einführung» handeln von Abd el-Fattahs Gefängniserfahrungen. Sie zeigen aufs Eindrücklichste, wie er eigene Erlebnisse in Erkenntnisse von allgemeiner Relevanz verwandelt. Das Ergebnis ist eine Art Phänomenologie des Gefängnissystems.

Dazu gehört die Angst der Vollzugsbeamten, bei Unregelmässigkeiten zur Verantwortung gezogen zu werden. Das führt dazu, dass sie den Gefangenen das Recht auf Besuche, Kommunikation und den Zugang zu Informationen verweigern. Komplementär dazu beschreibt Abd el-Fattah die Angst der Gefangenen, die zum Beispiel einer neuen Form aussergerichtlicher Bestrafung mit der trügerischen Bezeichnung «Strafaussetzung» ausgeliefert werden: In der Folge werden sie einer quälenden Prozedur unterzogen, indem sie immer wieder pünktlich zum Arrest erscheinen und sich danach durchsuchen lassen müssen.

Die Texte – ob im Tora-Gefängnis zu einer Zeit geschrieben, als er noch Kugelschreiber und Papier zur Verfügung hatte, oder in den Pausen zwischen seinen Haftzeiten – handeln zwar auch von Abd el-Fattahs eigenem Schicksal, in ihrer Mehrzahl aber von drängenden Menschheitsfragen, um die es ihm vor allem geht. Dazu gehören Themen, die auch im Zentrum der Uno-Klimakonferenz standen, von der Klimaerwärmung bis zur ausreichenden Versorgung mit sauberem Trinkwasser. Im Blick hat er aber auch soziale und politische Konflikte sowie einen neuen Strukturwandel der Öffentlichkeit.

Alaa Abd el-Fattah (links) wartet mit seiner Familie und Freunden im März 2013 auf eine Anhörung vor einem Gericht in Kairo.

Alaa Abd el-Fattah (links) wartet mit seiner Familie und Freunden im März 2013 auf eine Anhörung vor einem Gericht in Kairo.

Ed Giles / Getty

Schon früh hatte Abd el-Fattah die potenziell von sozialen Netzwerken ausgehenden Gefahren im Blick. 2011 wurde er von Vertretern der Tech-Branche zur ersten Rightscon, der seither jährlich stattfindenden Menschenrechtskonferenz im Silicon Valley, als Hauptredner eingeladen. Man hoffte wohl, dass er sich als einer der führenden Köpfe bei den Demonstrationen auf dem Tahrir-Platz positiv über Unternehmen wie Facebook und Twitter äussern würde. Immerhin spielten diese Plattformen bei der Planung der Proteste und bei der Mobilisierung der Menschen eine wichtige Rolle.

Gegen die Angst

Doch anders als erwartet kam Abd el-Fattah auf die Gefahren zu sprechen, die von den Tech-Giganten ausgehen. «Statt Tech-Firmen als revolutionäre Genossen zu betrachten», so die kanadische Journalistin Naomi Klein in ihrem instruktiven Vorwort, richtete der Aktivist seinen Blick auf die «subtileren Auswirkungen von sozialen Netzwerken und Kommunikationsplattformen auf das tägliche Leben, die Diskurskultur sowie auf die Formation fragiler und verwundeter Identitäten».

Die Globalisierungskritikerin charakterisiert Abd el-Fattah als einen erfahrenen und umsichtigen Vorkämpfer der ägyptischen Protestbewegung. Diese müsse dem Internationalismus verpflichtet bleiben und brauche eine «bestechende Vision der Welt», für die zu kämpfen sich lohne. Denn, so Abd el-Fattah, «wenn wir uns unseren Albträumen überlassen, sterben wir vor Angst, noch ehe die Flut kommt».

So vielfältig und verschiedenartig die Themen und Texte sind – sie zeichnen sich durchgehend durch Klarheit und Anschaulichkeit, einen nüchternen Sinn fürs Relevante und Weitblick aus. Die Hoffnung, durch zusätzliche Publizität etwas für die Freilassung Abd el-Fattahs und der vielen tausend politischen Gefangenen in Ägypten erreichen zu können, erfüllte sich nicht.

Alaa Abd el-Fattah: Ihr seid noch nicht besiegt. Ausgewählte Texte 2011–2021. Mit einem Vorwort von Naomi Klein. Aus dem Englischen von Utku Mogultay. Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2022. 240 S., Fr. 34.90.

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