Ohne Erwerbsarbeit, keine Demokratie, sagt der Philosoph Axel Honneth – und spricht sich gegen ein bedingungsloses Grundeinkommen aus. Und zwar zugunsten aller Schichten

Arbeit bestimmt unser Leben. Und sie präge die Demokratie grundlegend, sagt der Sozialphilosoph Axel Honneth. In seinem neuen Buch widmet er sich einem blinden Fleck der politischen Theorie.

Wolfgang Hellmich 4 min
Drucken
Arbeit muss Raum lassen für Teilhabe an der Demokratie: Blick in die Büros im World Trade Center in Zürich.

Arbeit muss Raum lassen für Teilhabe an der Demokratie: Blick in die Büros im World Trade Center in Zürich.

Alessandro Della Bella / Keystone

Dieses Buch ist ein Solitär in der philosophischen Landschaft. Der Sozialphilosoph Axel Honneth behandelt etwas, was alle angeht, womit alle ihre eigenen Erfahrungen haben: die Arbeit. Ein Thema, das meist nicht im Mittelpunkt des Interesses steht. Da geht es viel öfter um Identitätsvorstellungen und Lebenskonzepte von unterrepräsentierten und benachteiligten gesellschaftlichen Gruppen, um den Klimawandel oder um soziale Missstände und Konflikte.

Axel Honneth stellt die Berechtigung dieser Probleme nicht in Abrede. Für den Erfolg des demokratischen Zusammenlebens allerdings, statuiert er, sei vor allem die Arbeit entscheidend. Das also, was keine Demokratietheorie behandelt, obwohl es die Demokratie grundlegend prägt. Und nicht nur die Arbeit an sich, sondern vor allem ihre Organisationsform und die Frage, ob und wie sie die Bedürfnisse des demokratischen Souveräns erfüllt.

Das Buch entwickelt zunächst einen normativen Begriff von Arbeit. Überraschend beruft sich Honneth dabei auf einen der Väter des Marktliberalismus, nämlich auf Adam Smith. Anderseits aber auch auf den Philosophen, der bei Honneth nie fehlen darf: Hegel. Arbeit, hält Honneth fest, dürfe nicht zu einer geistigen und seelischen Verarmung der Menschen führen, die sie ausüben. Deshalb dürfe die Arbeitsteilung nicht zu weit getrieben werden. Arbeit muss Sinn ergeben und als sinnvolle Einheit verstanden werden können.

Wer arbeitet, braucht auch Zeit

Dem Arbeitenden müsse eine gewisse Verantwortung über seine Arbeit übertragen werden, fordert Honneth, gestützt auf Smith. Nur wer einem Beruf nachgehe, der ihm Anerkennung einbringe, werde von seiner Arbeit erfüllt und könne Selbstbewusstsein aufbauen, lautet eine weitere Forderung, die auf Hegel verweist. Die Unabhängigkeit der Menschen, die eine Arbeit verrichten, ist für Honneth allerdings kein ausreichendes Kriterium für eine gute Arbeit. Ein Arbeitsverhältnis sei nur dann wohlgeordnet, wenn es genügend Zeit für die Familie, ein Ehrenamt, für politische Partizipation zulasse.

Honneth will die Diskrepanz zwischen politischer Demokratie und einem zermürbenden, unselbständigen Arbeitsleben aufheben. Arbeit müsse beim Arbeitenden Selbstanerkennung und Selbstachtung wecken. Nur wer sich selbst achte, fühle sich so stark, eine eigene politische Meinung zu äussern. Honneths Kernthese ist, dass sich demokratische Partizipation und eine freie, menschengerechte Organisation von Arbeit wechselseitig bedingen.

Distanz zu und Ablehnung der demokratischen Ordnung resultiere auch aus unzureichenden Bedingungen für Selbstermächtigung bei der Arbeit. Nach Honneth gibt es zwei wesentliche Instanzen, menschliche Verhaltensmuster in einem kooperativen Sinne zu beeinflussen: die Schule und die Arbeit.

Sich in andere hineinversetzen

Die Arbeit ist für Honneth deshalb die entscheidende Kraft, weil sie Menschen unterschiedlicher Herkunft und aus verschiedenen Milieus zusammenführt. Bei der Arbeit und rund um sie herum lernen sie einander kennen und tauschen sie Erfahrungen aus. So werde der «Geist demokratischen Miteinanders» erst geweckt. Zum Ende hin spitzt Honneth dieses Argument zu und schlägt eine ein oder zwei Jahre andauernde staatliche Dienstverpflichtung zu gemeinwohlorientierten Tätigkeiten vor. Nur so, sagt Honneth, sei «die demokratische Grundtugend des Hineinversetzens in unvertraute Existenzformen und Lebensschicksale zu erlernen».

In einem historischen Exkurs lässt Honneth die Arbeitsverhältnisse der vergangenen zwei Jahrhunderte Revue passieren und kommt zu dem Schluss, dass zwar grundlegende Verbesserungen erreicht worden seien, die Arbeitswelt jedoch noch immer von Abhängigkeit, fehlender Partizipation der Arbeitenden und mangelnder Anerkennung bestimmt sei. Sie bilde damit eine «krasse Gegenwelt» zum Erfahrungsraum einer Demokratie.

In einem Exkurs zur Geschichte des Arbeitsbegriffs verblüfft Honneth mit dem Nachweis, dass über lange Zeit nur das als Arbeit galt, was mit einem Produkt oder einem bearbeiteten Gegenstand in Verbindung steht. Von John Locke über Hegel und Marx bis zu Max Weber und Hannah Arendt – sorgende Tätigkeiten, Kochen, Putzen, Transportieren galten nicht als Arbeit. Erst mit dem Ersten Weltkrieg ändert sich dies, als Krankenschwestern Kriegsverwundete pflegen. Dass diese Tätigkeiten lange nicht als «echte» Arbeit galten, erklärt auch die schlechtere Entlöhnung.

Soziale Gemeinschaft aller Schichten

Honneth lehnt das «bedingungslose Grundeinkommen» ab, mit der Begründung, Bezüger eines solchen Einkommens würden abgeschrieben, fielen aus dem Gesellschaftlichen heraus. Dafür plädiert er für einen kleinteiligen, in Kooperativen organisierten zweiten Arbeitsmarkt als Ergänzung. Der bestehende Arbeitsmarkt müsse weiter demokratisiert werden. Honneth setzt auf die Mitarbeit von Sozialverbänden, Kirchen und Gewerkschaften. Ein staatlich subventionierter alternativer Arbeitsmarkt soll Langzeitarbeitslosen eine Perspektive bieten.

Axel Honneth stammt aus der Ruhrgebietsstadt Essen und lehrt heute an der Columbia University in New York. Mit diesem Buch legt er eine Sozialphilosophie der kleinen Leute vor. Er wirbt für die Anerkennung der Leistungen von Arbeitskräften auf den unteren Stufen der gesellschaftlichen Leiter und will diese politisch ertüchtigen. Er denkt und fühlt sich in die Lebens- und Arbeitswelt derjenigen ein, auf die oft herabgeblickt wird, und definiert Demokratie als solidarische Gemeinschaft aller sozialen Schichten.

Axel Honneth: Der arbeitende Souverän. Eine normative Theorie der Arbeit. Suhrkamp-Verlag, Berlin 2023. 397 S., Fr. 40.90.